Medizin
Studie: Frühe Nutzung von Bildschirmgeräten führt bei Vorschulkindern zu „Kabelstörung“ im Gehirn
Mittwoch, 6. November 2019
Cincinatti/Ohio – Vorschulkinder, die lange Zeiten vor dem Fernseher oder an Computer und Smartphone verbrachten, wiesen in einer Querschnittstudie in JAMA Pediatrics (2019; doi: 10.1001/jamapediatrics.2019.3869) in der Magnetresonanztomografie Veränderungen in der Diffusions-Tensor-Bildgebung auf, die die Forscher als mögliche Störung der Hirnentwicklung deuten.
Die Sorge, dass ein allzu freizügiger Konsum von Fernsehen und elektronischen Geräten in den ersten Lebensjahren den Kindern einen langfristigen Schaden zufügt, ist groß. Die American Academy of Pediatrics (AAP) rät Eltern, die Nutzung auf maximal eine Stunde zu beschränken (und in dieser Zeit die Inhalte gemeinsam zu betrachten). Die Weltgesundheitsorganisation sprach sich in den ersten 5 Lebensjahren sogar für ein vollständiges Verbot aus.
Ob die intensive Nutzung den Kindern tatsächlich schadet oder auch eine Möglichkeit bietet, das Gehirn zu trainieren, ist unklar. Ein Team um John Hutton vom Cincinnati Children's Hospital Medical Center hat 47 Kinder im Alter von 54 Monaten untersucht, die median mit 18 Monaten erstmals Kontakt zu Bildschirmgeräten hatten und pro Tag 1,5 Stunden dahinter verbrachten, wobei es Kinder mit völligem Verbot gab und solche mit bis zu 12 Stunden am Bildschirm.
Der von den Forschern selbst entwickelte „ScreenQ“ lag zwischen 1 und 19 Punkten. Der „ScreenQ“ misst die Einhaltung der AAP-Empfehlungen, was mit steigender Punktzahl immer weniger der Fall ist (Maximalwert 21 Punkte).
Haushaltseinkommen beeinflusst Sprach- und Lesefertigkeiten
Zunächst absolvierten die Kinder drei Sprachtests, die Vokabular, Aussprache und erste Lesefertigkeiten untersuchten. In allen 3 Tests schnitten Kinder mit einem hohen ScreenQ schlechter ab. Die Ergebnisse waren jedoch nicht ganz eindeutig, da sie stark vom Haushaltseinkommen beeinflusst wurden (Kinder aus wohlhabenderen Familien lernen häufig früher sprechen).
Als nächstes wurden die Kinder in einem Magnetresonanztomografen (MRT) untersucht. Dabei wurden jeweils 61 diffusionsgewichtete Aufnahmen gemacht. Mit der Diffusions-Tensor-Bildgebung lässt sich (anhand der an Zellmembranen verminderten Diffusion von magnetisch „bewegten“ Molekülen) der Verlauf und die Integrität von Nervenbahnen darstellen. 2 häufig verwendete Parameter sind die Radiale Diffusivität und die Fraktionale Anisotropie.
Sprachzentren im MRT unabhägig vom Haushaltseinkommen beeinträchtigt
Beide Parameter wiesen bei Kindern mit erhöhten ScreenQ-Werten Veränderungen auf, die auf eine Reifestörung des Gehirns hindeuten, und zwar im Sinn einer verminderten Myelinisierung der Neuronen. Und sie waren laut den von Hutton vorgestellten Abbildungen besonders ausgeprägt in den Nervenverbindungen zu den sensorischen und motorischen Sprachzentren (Wernicke- und Broca-Areale). Dieses Mal blieben die Assoziationen auch dann signifikant, wenn das Haushaltseinkommen der Eltern bei der Auswertung berücksichtigt wurde.
Für Hutton werfen die Ergebnisse die Frage auf, ob zumindest einige Aspekte der bildschirmbasierten Mediennutzung in der frühen Kindheit zu einer „suboptimalen Stimulation während dieses schnellen, prägenden Stadiums der Gehirnentwicklung“ führen könnten.
zum Thema
- Abstract in JAMA Pediatrics 2019
- Pressemitteilung des Cincinnati Children's Hospital Medical Center
- Empfehlungen der American Academy of Pediatrics
- Expertenbewertung im Science Media Center
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aerzteblatt.de
Beweisen lässt sich dies in einer Querschnittstudie allerdings nicht. Eine höhere Evidenz würde durch Beobachtungsstudien erreicht, die die sprachliche Entwicklung der Kinder über einen längeren Zeitraum untersuchen würde. Dorothy Bishop, Professorin für Entwicklungsneuropsychologie an der Universität Oxford, hat starke Zweifel an der Aussagekraft der Untersuchung. Ihrer Ansicht nach war die Zahl der Kinder zu gering, um zu sicheren Erkenntnissen zu gelangen.
Die meisten Kinder der Studie stammten zudem aus bildungsnahen Haushalten (78 % der Mütter hatten zumindest einen Collegeabschluss) und keines der Kinder schnitt in den Tests so schlecht ab, dass von einer relevanten Störung der Entwicklung die Rede sein könne, meinte die Wissenschaftlerin gegenüber dem Science Media Center in London. © rme/aerzteblatt.de
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