Ärzteschaft
Generationendialog: Gemeinsam gegen die Kommerzialisierung
Montag, 11. November 2019
Berlin – Ein steigender ökonomischer Druck erschwert es Ärzten zunehmend, freie Entscheidungen zu treffen. Darin waren sich Ärzte verschiedener Generationen einig, wie eine Debatte der Fokusveranstaltung „Zukunft des Arztberufes: Angestellt und trotzdem frei?“ des Vereins der Akkreditierten Labore in der Medizin (ALM) deutlich machte.
Dass der Arztberuf frei bleiben müsse, war Konsens des Abends in der Berliner Landesvertretung von Rheinland-Pfalz. Doch was mit Einstimmigkeit begann, entwickelte sich zusehends zu einem Dialog zweier Generationen und ihrer Arbeitskonzepte.
Ellen Lundershausen, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, und Kevin Schulte, Sprecher des Bündnisses Junge Ärzte, positionierten sich klar gegen die Kommerzialisierung im Gesundheitswesen. Jedoch betonten sie die unterschiedlichen Auswirkungen dieser Entwicklung auf selbstständige Niedergelassene und angestellte Krankenhausärzte sowie auf das Privatleben.
Lundershausen, die seit 1991 mit ihrer HNO-Praxis in Erfurt niedergelassen ist, beschrieb den Kostendruck als erlern- und handhabbare Notwendigkeit der Praxistätigkeit. Die 68-Jährige monierte, die Selbstständigkeit sei jahrzehntelang schlechtgeredet worden und junge Ärzte würden nun „bei der Praxisgründung nicht ausreichend an die Hand genommen“.
Sie bekräftigte, alle Formen der ärztlichen Tätigkeit müssten im Rahmen freiberuflichen Arbeitens möglich sein. Sie verteidigte mehrfach das Selbstverständnis der Ärzte als Freiberufler, hinterfragte jedoch, ob jeder Arzt heute seinen Beruf als frei begreife.
Schulte, junger Facharzt für Innere Medizin an der Universitätsklinik Schleswig-Holstein, beklagte besonders die Trennung von Entscheidung und Verantwortung im Krankenhaus. „Es ist einfach jemanden nach Hause zu schicken, wenn man ihm nicht in die Augen schauen muss“, meinte er mit Bezug auf den Druck, regelmäßig entgegen medizinischer Sorgfaltspflicht Bettenkapazitäten freigeben zu müssen.
Medizin ist Führungsfrage
Zudem merkte der 33-Jährige an, junge Ärzte würden sich mit der Aufgabe, das System verbessern zu wollen, häufig allein gelassen fühlen. Seiner Ansicht nach würden sie zwar ihre Freiheiten wahrnehmen, sich jedoch beim Versuch, idealistisch zu handeln, selbst verletzen. Er schlussfolgerte „Medizin ist Führungsfrage“ und forderte Politik wie Ärztekammern zur Unterstützung des Medizinernachwuchses auf.
In der anschließenden Podiumsdiskussion kamen neben den Ärztevertretern auch Krankenkassen und Politik zu Wort. Hierbei wurde mehrfach der Vergleich des Arztbildes „von damals“ und heute gezogen, wobei jede Generation für sich argumentierte. Besonders Schulte wehrte sich gegen die Auslegung, junge Ärzte wären weniger leistungsbereit. Er diskutierte mit Lundershausen über die Frage, ob sich die Rahmenbedingungen oder die Einstellung der Ärzte verändert hätten.
Schulte stellte vor allem die vielfach befristeten Arbeitsverträge ins Zentrum seiner Kritik. Die Erwartung der Arbeitgeber zur Aufopferungsbereitschaft sei Quelle der Unzufriedenheit vieler junger Ärzte.
Stephan Pilsinger, CSU-Bundestagsabgeordneter im Gesundheitsausschuss und Mediziner, sieht die Papierarbeit sowie häufige nicht ärztliche Tätigkeiten als Hauptgründe. Dem pflichtete sein Ausschusskollege Andrew Ullmann (FDP), Medizinprofessor an der Universität Würzburg, bei. Er glaube zudem, interdisziplinäres Arbeiten sei der jüngeren Generation besonders wichtig.
Michael Weller, Verantwortlicher des Stabsbereiches Politik des GKV-Spitzenverbands, wie auch Florian Reuther, Geschäftsführer vom Verband der privaten Krankenversicherung, betonten die Wichtigkeit freier ärztlicher Entscheidungen und einer daraus resultierenden Qualität der Versorgung. „Ein guter Arzt braucht Zeit für eine gute Beziehung zu den Patienten“, fasste Reuther zusammen.
Weller stellte die Frage, ob die aktuelle Vergütungssystematik dies gewährleisten könne. Ullmann und Michael Müller, Vorsitzender der ALM, erhielten Beifall für die Aussage, die Solidarität unter verschiedenen Ärztegenerationen sei essenziell für eine gemeinsame Verbesserung des Systems. „Junge Menschen darf man nicht ausbeuten“, schloss Lundershausen, sonst würden sich diese von der Medizin abwenden. © jff/aerzteblatt.de

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