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Politik

Digitalisierung im Krankenhaus: Kein Fortschritt ohne Plattformen

Donnerstag, 14. November 2019

/megaflopp, stock.adobe.com

Berlin – Wie bereiten sich Krankenhäuser auf den digitalen Wandel vor? Diese Heraus­forderung, die ausnahmslos alle Häuser betrifft, wird durchaus strate­gisch unterschied­lich angegangen. Als ein Trend zeichnet sich jedoch ab, dass alle Strategien sich in Rich­tung übergreifende Plattformen hinbewegen, über die strukturierte Daten ge­nutzt wer­den können.

„Wir haben vor 2,5 Jahren das Thema Digital Health auf die Fahnen geschrieben“, meinte Thomas Lemke, Vorstandsvorsitzender der Sana Klinken AG, kürzlich bei einer Handels­blatt-Ta­gung. Laut Lemke versorgt Sana 2,2 Millionen Patienten jährlich sowie zusätzlich etwa 800.000 ambulante Patienten.

Der Einstieg in das Thema umfasste zunächst eine Bestandsanalyse: „Was gibt es zurzeit im Ökosystem der Digital-Health-Anwendungen?“ Vor dem Hintergrund tausender An­wen­dungen und unterschiedlichster Systeme, sei zu fragen, wie sich daraus einerseits ein Geschäftsmodell für Sana gewinnen lasse und wie sich das Unternehmen andererseits in den Kliniken und den Ambulanzzentren weiterentwickeln könne, erläuterte Lemke.

Der Alltag, die Basics, die Regulatorik
Wesentlich sei es, die Mitarbeiter auf dem Weg der Digitalisierung mitzunehmen und ein klares Verständnis von Digitalisierung zu gewinnen. „Wir haben als erstes ein Investi­ti­ons­programm zur IT-Infrastruktur aufgelegt, um für die Mitarbeiter, die Ärzte und Pflege­kräfte, erlebbar zu machen: Es ändert sich einiges“, erläuterte Lemke.

Anschließend ging es ihm zufolge um die Frage, wie die vielen analogen Daten in struk­tu­rierte digitale Daten, umgewandelt werden können, um auch Auswertungen zu ermög­li­chen. Der dritte Faktor war die Beschäftigung mit regulatorischen E-Health-Vorgaben wie etwa der elektronischen Patientenakte. „All das umfasst die digitale Transformation: den Alltag, die Basics, die Regulatorik“, betonte er.

Wichtige Fragen dabei: „Wie schaffen wir es, neue digitale Angebote im Unternehmen zu implementieren?“, „Wie schaffen wir es, das Arzt-Patienten-Verhältnis auf eine neue Plattform zu heben?“, „Wie kommunizieren wir zukünftig?“ und „Können wir mit anderen Angeboten wirtschaftlich arbeiten und Geld verdienen?“.

Ansatzpunkt war ihm zufolge nicht eine große Lösung, sondern „viele kleine Piloten im Unternehmen, um erlebbaren Erfolg für Pflegekräfte und Ärzte zu schaffen“. Die digitale Pathologie habe es beispielsweise ermöglicht, das Know-how der Pathologen in zwei großen Zentren zusammenzuführen und so auch das Thema Fachkräftemangel umzuset­zen.

Eine große Herausforderung bestehe indes darin, dass sich die vielen Anwendungen auf der Wertschöpfungskette in unterschiedlichen Phasen befänden. „Wie lassen sich künftig all diese Anwendungen auf eine ,patient journey‘ digitalisieren oder auch auf eine auto­matische Plattform aufladen? Daran werden wir arbeiten.“

Personalisiert, barrierefrei und digital
Wie kann Digitalisierung Positives in der Versorgung bewirken? „Das Rezept ist einfach: Gesundheitsversorgung sollte künftig konsequent nach den Bedürfnissen der Menschen organisiert werden und nicht nach den Partikularinteressen der Organisationen“, konsta­tierte Francesco De Meo, CEO Helios Health. Das Ideal einer solchen Versorgung laute „personalisiert, barrierefrei und mit qualitätsfördernder digitaler Unterstützung“. Deutsch­land stehe bei dieser Transformation nicht vorne.

Nach De Meo zeigen sich drei unterschiedliche Ebenen der Digitalisierung mit jeweils spezifischen Wertschöpfungsstufen. Deutschland sei vorrangig noch mit der ersten Ebene beschäftigt, stark fokussiert auf Basisthemen, die die digitale Transformation erst möglich machen. Helios steht dabei laut De Meo im Vergleich gut da. Nach dem EMRAM-Modell (Electronic Medical Record Adoption Model) zur Bewertung des Digitalisierungsgrades liege Helios Deutschland bei knapp 4 von 7 erreichbaren Punkten, Europa im Durch­schnitt bei 3, und der deutsche Durchschnitt bei knapp 2 von 7 Punkten.

Patientenportale für Service
Genutzt werden hierfür vor allem Servicemodelle, beispielsweise Patientenportale mit Tools etwa zur Terminvergabe oder zur Essensbestellung in der Klinik. „Die Patientenpor­tale hat Helios selbst entwickelt“, meinte De Meo.

In Deutschland sei man zudem dabei, im Joint Venture mit dem kanadischen Start-up Dia­logue eine Telemedizin-Plattform aufzubauen, über die Patienten bei gesundheitlichen Beschwerden per Video Kontakt mit einem Arzthelfer aufnehmen können. Anschließend werde ihnen je nach Bedarf eine Video­sprechstunde, das Aufsuchen der Notfallambulanz oder ein Facharztbesuch empfohlen.

Ihm zufolge geht es jedoch um mehr als Telemedizin oder die Nutzung von Apps. „Künf­tig wird der Dialog mit dem Patienten begleitet von einem Algorithmus und von künstli­cher Intelligenz (KI)“, meinte er. Dies ermögliche zunehmend verbesserte, weil an die echten Bedürfnisse der Menschen angepasste gesundheitliche Versorgungsangebote.

Der digitale Dialog mit den Menschen sei zwar dem Gespräch Arzt – Patient nachgebil­det, aber zugleich unterstützt mit dem medizinischen Wissen und den Diagnoseerfahrun­gen zigtausender Ärzte. Es bleibe mehr Zeit für die Anamnese und eine evidenzbasierte personalisierte Therapie. Der Patient sei jederzeit interaktiv informiert. Das Behandlungs­geschehen sei nicht an bestimmte Leistungsanbieter oder Systemstrukturen gebunden. „Das ist digital.“

Auf der Ebene 2 geht es danach um die Nutzung von Know-how und um die Analyse von Versorgungsdaten, die nach dem Prinzip der Real World Evidenz herangezogen werden können und mit deren Hilfe am Ende eine qualitative und quantitative Weiterentwicklung von Versorgungsmodellen in Kooperation mit digitalen Partnern ermöglicht werden soll.

Digitaler persönlicher Gesundheitsassistent
Ebene drei folgt der Zukunftsvision einer „Software as a Drug“. Dabei gehe es darum, jetzt und künftig verfügbare Elemente der Informationsschulung, Behandlung, Nachsorge und Steuerung von Patienten in digitalen Plattformen zusammenzuführen. Helios hat De Meo zufolge mit „Curalie“ eine solche offene Plattform entwickelt, die Patienten umfassend begleiten und sie durch das Dickicht der Anbieter steuern soll.

Curalie sei entstanden aus dem Helios Hub und aus Projekten bei Smart Helios, so De Meo. „Mittlerweile ist sie als ein eigenständiges digitales Unternehmen organisiert.“ Be­gonnen habe man ganz praktisch mit der häuslichen Therapie für Patienten bei orthopä­dischen Eingriffen. Technik, Software und Algorithmen sind laut De Meo bereits so konzi­piert, dass sie für andere Behandlungsfälle weiterentwickelt werden können.

„Geplant ist das für Anwendungsfälle der Kardiologie, der Nephrologie und der Onkolo­gie. Wir zielen ganz bewusst auf chronische Patienten.“ Curalie sei als Medizinprodukt zertifiziert und zugelassen. Die Ergebnisse werden in einer Studie kontinuierlich analy­siert und evaluiert.

In eine Digitalisierungsstrategie muss laut Peter Gocke, Chief Digital Officer (CDO) der Charité, einfließen, dass Gesundheitseinrichtungen immer mehr Daten generieren. „Seit einiger Zeit haben wir zudem eine völlig neue Qualität von klinischen Daten, nämlich Daten, die eigentlich ein Life-Cycle-Management brauchen“, betonte er. Bei den Ärzten gebe es die größte Angst, dass Patienten mit sieben oder acht Apps kommen und mit vielen Dokumenten, die sie in kürzester Zeit bewältigen müssen. „Das wird nicht funktio­nieren“, sagte er.

„Die Daten, mit denen wir heute arbeiten, sind nicht strukturiert, von schlechter Qualität, oft redundant. Zudem gibt es aus der Perspektive der Ärzte die Fallakte, die Gesundheits­akte und demnächst die elektronische Patientenakte. All das sind Struktu­ren, die wegen fehlender Standards schlecht handhabbar sind.“

Daten brauchen ein Zuhause
Die klinischen Daten werden ihm zufolge inzwischen auf Plattformen überführt, um ge­meinschaftlich nutzbar gemacht zu werden. Angestrebt werde, auch strukturierte Daten, die in Studien generiert werden, mit diesen Patientendaten zusammenzuführen. „Wir ha­ben aktuell etwa 2.700 Studien an der Charité, auch da entstehen immense Datenmen­gen.“

Darüber hinaus betreibe die Charité Forschungsverbünde mit der Medizininformatik und anderen Unikliniken. „Auch das geht nur, wenn ich eine Plattform habe, auf der ich diese Daten aufbewahren kann, denn Systeme werden kommen und gehen. Für die Daten brauche ich ein Zuhause“, so der CDO.

Nur mit strukturierten Daten ließen sich zudem Algorithmen betreiben. So gibt es etwa in der Charité einen bestimmten Algorithmus, der nach Patienten mit Niereninsuffizienz sucht. „Wenn man diesen Algorithmus auf einer Datenbankplattform laufen lässt, dann findet man auch bis zu zwei, drei Patienten pro Woche, die verlegt werden müssen, weil in der Peripherie, wo kein Nephrologe vor Ort ist, solche Konstellationen schnell über­sehen werden“, meinte Gocke.

Die Anstrengungen, Daten strukturiert zusammenzuführen, lohnten sich im Krankenhaus, „weil sich damit Medizin ganz konkret drastisch verbessern und mehr Sicherheit für den Patienten generieren lässt. Wir gehen davon aus, dass man bis zu 20 oder 30 Dialysen pro Jahr damit einsparen kann“.

Nicht sinnvoll sind aus seiner Sicht Plattformen, über die nur PDFs ausgetauscht werden können. „PDF-Dokumente entstehen immer erst am Ende von Behandlungsschritten. Das ist also viel zu spät für eine gemeinsame Versorgung“, meinte er. Häufig werden zudem die Daten nicht freigegeben.

„Was wir brauchen, sind gemeinsame Plattformen. Ich frage mich schon lange, warum wir in Deutschland jedes Krankenhaus zwingen, seine eigenen Systeme zu betreiben, statt zu­mindest zu regionalen Datenplattformen zu kommen.“ Die Anforde­rungen an IT-Sicher­heit könnten kleinere Krankenhäuser zudem wirtschaftlich sinnvoll überhaupt nicht mehr stemmen.

Digitalisierung ist kein IT-Projekt
Die Charité befasse sich derzeit mit mehr als 100 Projekten, um digital voranzukommen, darunter Infrastrukturthemen, W-LAN, IT-Sicherheit, Nutzung von neuen Systemen und besseres Datenmanagement.

„Das sind alles keine IT-Projekte, sondern das ist ein Charité-Projekt, daher haben wir die IT-Projektleitung, die früher bei der IT verortet war, heraus­genommen und daraus eine zentrale Projektleitung gemacht“, erläuterte er. Das führe auch zu neuen Bereichen innerhalb der Charité, wie klinisches Projekt- und Ressourcenmanage­ment, denn „IT follows Process“. Es mache keinen Sinn, einen bestehenden analogen Prozess einfach digital nachzubilden, denn dadurch werde er nicht besser, sondern allenfalls teurer.

Was ist aus seiner Sicht digitale Medizin? „Eine hoffentlich möglichst breit KI-unterstüt­zte gemeinsame Nutzung strukturierter Daten, und das in Echtzeit.“ Nötig sei dabei, die Daten von den Systemen zu trennen, mit denen sie erzeugt worden seien.

„Das ist für mich der Plattformgedanke. Wir werden nicht verhindern können, dass Pa­tienten sich ihre Daten erkämpfen und sie dem geben, der ihnen den besten Service gibt. Das kann Amazon oder Google sein, wenn wir nicht aufpassen. Daten müssen auch EU-weit genutzt werden können, deswegen brauche ich strukturierte Daten, unabhängig von Systemen.“ © KBr/aerzteblatt.de

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