Medizin
TAVI: Rivaroxaban vermeidet Thromben auf neuer Herzklappe, erhöht aber Sterberisiko
Mittwoch, 20. November 2019
Kopenhagen und Bern – Ein Jahr nach dem Abbruch der Phase-3-Studie GALILEO ist weiter unklar, warum das Antikoagulans Rivaroxaban das Sterberisiko nach einer kathetergestützten Aortenklappen-Implantation (TAVI) erhöht hat, obwohl es die Bildung von Thromben auf den Bioklappen verhindern kann.
Die abschließenden Ergebnisse der Studie wurden jetzt auf der Jahrestagung der American Heart Association in Philadelphia vorgestellt und im New England Journal of Medicine (2019; doi: 10.1056/NEJMoa1911425 und NEJMoa1911426) publiziert.
Im Oktober des vergangenen Jahres hatte der Hersteller von Rivaroxaban in einem Rote-Hand-Brief den Abbruch der GALILEO-Studie mitgeteilt. Die Studie hatte untersucht, ob die Behandlung mit dem direkten oralen Antikoagulans Rivaroxaban Patienten nach einer erfolgreichen TAVI besser vor thromboembolischen Komplikationen schützt als eine duale Plättchenhemmung.
Die Patienten benötigen nach Einschätzung von Experten einen Schutz, da sich auf der implantierten Aortenklappe Thromben bilden könnten, die dann als Embolus beispielsweise einen Schlaganfall verursachen könnten. Derzeit werden den zu einer dualen Plättchenhemmung geraten gefolgt von einer Dauerbehandlung mit Acetylsalicylsäure (ASS).
In der GALILEO-Studie wurde die Hälfte der Patienten auf diesen Standard randomisiert. Sie erhielten in den ersten 90 Tagen eine Kombination aus ASS (75-100 mg/die) plus Clopidogrel (75 mg/die) und danach nur noch ASS. Die andere Hälfte der Patienten erhielt in den ersten 90 Tagen Rivaroxaban (10 mg/die) plus ASS (75-100 mg) und danach nur noch Rivaroxaban.
Die Erwartung war, dass Rivaroxaban die Patienten vor einem Tod oder thromboembolischen Ereignissen schützt. Dies war der primäre Endpunkt der Studie, an der an 136 Standorten in 16 Ländern 1.644 Patienten teilgenommen hatten. Doch die Ergebnisse einer Zwischenauswertung im August 2018 ergab, dass es in der Rivaroxaban-Gruppe häufiger zu Todesfällen und thromboembolischen Ereignissen gekommen war.
Nach den jetzt von einem Team um Stephan Windecker vom Inselspital Bern vorgestellten Ergebnissen einer Intention-to-Treat-Analyse trat der primäre Endpunkt in der Rivaroxaban-Gruppe bei 105 Patienten auf gegenüber 78 Patienten, die eine duale Plättchenhemmung erhalten hatten. Die Hazard Ratio von 1,35 war mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 1,01 bis 1,81 signifikant.
Da auch die Zahl der Todesfälle (64 versus 38) mit einer Hazard Ratio von 1,69 (1,13 bis 2,53) signifikant erhöht war, besteht kein Zweifel, dass die duale Plättchenhemmung die bessere Wahl für die Patienten war. Vor einer Antikoagulation mit Rivaroxaban nach TAVI wird inzwischen auch vom Pharmakovigilanz-Ausschuss PRAC der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA gewarnt.
Ausgenommen von der Kontraindikation sind vorerst Patienten, die aus anderen Gründen, etwa einem Vorhofflimmern, von einer oralen Antikoagulation profitieren könnten. Die optimale Behandlungsstrategie bei diesen Patienten ist derzeit Gegenstand von klinischen Studien (NCT02247128, NCT02664649, NCT02943785 und NCT02735902).
Die anfängliche Vermutung, dass die Patienten in der Rivaroxaban-Gruppe an schweren Blutungen starben, der wichtigsten Komplikation des Antikoagulans, hat sich nicht bestätigt. Zwar kam es tendenziell häufiger zu schweren Blutungen (46 versus 31 Patienten, Hazard Ratio 1,50; 0,95 bis 2,37), doch diese waren nur selten für die Todesfälle verantwortlich.
Die meisten Patienten starben laut der Publikation nach dem Absetzen der Medikamente und die Todesfälle waren selten auf Herz-Kreislauf-Ereignisse zurückzuführen. Die Gründe für die höhere Mortalität bleiben letztlich unklar, schreiben die Autoren. Die Vermutungen gehen dahin, dass das hohe Alter von im Durchschnitt 80,6 Jahren die Verträglichkeit von Rivaroxaban verschlechtert haben könnte. Möglicherweise war die Dosis von 10 mg/die für diese Altersgruppe zu hoch gewählt.
Eine Subgruppen-Analyse, die GALILEO 4D-Studie, zeigt, dass Rivaroxaban im Prinzip in der Lage ist, die neuen Aortenklappen vor Thrombosierungen und anderen Beschädigungen zu schützen. Bei 231 Studienteilnehmern war im Mittel 90 Tage nach der TAVI eine vierdimensionale Untersuchung der Herzklappen mit einer Computertomografie durchgeführt worden.
Wie Ole De Backer vom Rigshospitalet in Kopenhagen und Mitarbeiter berichten, wurde nur bei zwei von 97 Patienten (2,1 %) der Rivaroxaban-Gruppe eine eingeschränkte Beweglichkeit (Grad 3 oder höher) in den einzelnen Segeln der neuen Aortenklappe entdeckt. In der Gruppe mit dualer Plättchenhemmung wurde der Befund bei 11 von 101 Patienten (10,9 %) gefunden. Die Differenz von 8,8-%-Punkten war mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 1,9- bis 16,5-%-Punkten hoch signifikant.
Eine Verdickung in mindestens einem Klappensegel wurde in der Rivaroxaban-Gruppe bei 12 von 97 Patienten (12,4 %) gefunden gegenüber 33 von 102 Patienten (32,4 %) in der Vergleichsgruppe (Differenz 20,0; 8,5 bis 30,9-%-Punkte). Trotz dieser günstigen Wirkung bleibt es allerdings vorerst bei der Kontraindikation – zumindest bis die Gründe für die erhöhte Mortalität gefunden und abgestellt wurden. © rme/aerzteblatt.de
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