Ärzteschaft
Leitlinie soll Über- und Unterversorgung beim Hausarzt ein Ende setzen
Donnerstag, 28. November 2019
Berlin – Eine neue Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) hat zum Ziel, die Über- und Unterversorgung bei Hausärzten abzubauen. Bei der Vorstellung der Empfehlungen in Berlin betonte Dagmar Lühmann, eine der Autorinnen der Leitlinie, dass diese als „Instrument zur Umsetzung evidenzbasierter Medizin“ dienen soll.
Die Leitlinie mit dem Titel „Schutz vor Über- und Unterversorgung“ könne den Hausarzt, „der mit dem Patienten in einen Aushandlungsprozess eintritt“ unterstützen, so Lühmann, die am Institut und der Poliklinik für Allgemeinmedizin und dem Zentrum für Psychosoziale Medizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf als Wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig ist.
Ein Kondensat aus 26 Empfehlungen haben die Leitlinienautoren der DEGAM aus eigenen Leitlinien, S3-Leitlinien anderer Fachgesellschaften und Nationalen Versorgungsleitlinien herausgearbeitet. 21 der Empfehlungen beschäftigen sich mit Aspekten der Überversorgung. Hier finden sich unter anderem die nicht indizierte Behandlung mit Antibiotika bei Halsschmerzen oder Husten. Aber auch Injektionen mit Schmerzmitteln, Lokalanästhetika oder Glukokortikoiden bei nicht spezifischen Kreuzschmerzen, deren Verabreichung keine Evidenz zugrunde liegt, werden angeführt.
Drei der Empfehlungen zur Vermeidung von Überversorgung beziehen sich auf Screeningprogramme, die der Hausarzt nicht durchführen beziehungsweise von denen er Patienten abraten sollte. Dies ist zum einen das generelle Hautkrebs-Screening, aber auch ein Screening auf schädlichen Alkoholkonsum anhand von Fragebögen.
Und zum Dritten – hier weicht die DEGAM-Leitlinie von der zugrundeliegenden Prostatakrebs-Leitlinie ab – sollen Männer nicht aktiv auf eine Früherkennungsuntersuchung mittels PSA angesprochen werden. Sollte ein Patient selbst einen entsprechenden Wunsch äußern, soll der Hausarzt ergebnisoffen über Vor- und Nachteile aufklären.
Empfehlungen gegen Unterversorgung
Mit fünf Empfehlungen widmet sich die Fachgesellschaft dem Problem der Unterversorgung im hausärztlichen Bereich. Sie erinnern den Hausarzt unter anderem daran, bei primär ungeklärter Müdigkeit an eine Depression oder Angststörung zu denken, aber auch eine vorherige Infektion zu eruieren.
Martin Scherer, Präsident der DEGAM, wies darauf hin, dass Unter- und Überversorgung häufig beim gleichen Krankheitsbild zu beobachten seien. So würden zum Beispiel Rückenschmerzen zu häufig operativ behandelt, wogegen multimodale Therapieprogramme – wie sie von der NVL Nicht-spezifischer Kreuzschmerz empfohlen werden – vernachlässigt würden.
Scherer sprach sich für ein hausärztliches Primärarztsystem aus. Hans-Otto Wagner, langjähriger Hausarzt und ebenfalls einer der Leitlinienautoren, kritisierte in diesem Zusammenhang, dass der Hausarzt heute viel zu wenig in die ärztlichen Behandlungen seiner Patienten involviert sei. „So bleiben kaum noch Möglichkeiten, vorher über Nutzen, Schaden und Ziele zu sprechen“, sagte er.
Er ist überzeugt, dass der „unübersichtliche Markt der Überversorgung, speziell der Selbstzahlerleistungen“, kranke Menschen überfordere. Das gelte insbesondere für ängstliche und depressive Patienten oder Menschen mit psychosomatischen Beschwerden.
Wäre der Besuch beim Hausarzt den höheren Versorgungsebenen vorgeschaltet, könnte dies der Über- und Unterversorgung begegnen, waren sich die Vertreter der DEGAM einig. Er könnte – „nach entsprechender Qualifizierung und bei kontinuierlicher Weiterbildung“, wie Scherer einräumte, - als Lotse durch das Gesundheitssystem fungieren. © nec/aerzteblatt.de

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