Politik
Globale Regeln für Eingriffe in menschliche Keimbahn erforderlich
Dienstag, 19. November 2019
Berlin – Genscheren wie CRISPR/Cas sollten beim heutigen Stand von Wissenschaft und Technik nicht zur Geneditierung von Keimbahnzellen eingesetzt werden. Und sollten die wissenschaftlichen Voraussetzungen für die genetische Veränderung von Embryonen künftig einmal gegeben sein, dann sind internationale Standards erforderlich, die den Einsatz dieser Technik regeln. Zu diesem einhelligen Fazit kamen Experten aus Medizin, Ethik und Gesundheitspolitik heute bei einer Dialogkonferenz des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) in Berlin.
Die gezielte Veränderung des Genoms von Menschen, Tieren und Pflanzen sei eine „wirkmächtige Technik“, deren großes wissenschaftliches Potenzial aber auch mit viel Verunsicherung einhergehe, sagte Thomas Rachel, Parlamentarischer Staatssekretär im BMBF. So stellt sich nach der Gleichstellung geneditierter Nutzpflanzen mit gentechnisch veränderten Organismen durch den Europäischen Gerichtshof zum Beispiel die Frage, in wieweit das EU-Recht an die neuen Entwicklungen angepasst werden müsse.
„Ist jeder Eingriff in die Keimbahn einer Instrumentalisierung oder einem Angriff auf die Würde des Menschen gleichzusetzen?“ Diese und andere Fragen machten den hohen Gesprächsbedarf deutlich, so Rachel – und dies nicht nur unter Experten, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit.
Toni Cathomen, Direktor des Instituts für Transfusionsmedizin und Gentherapie am Universitätsklinikum Freiburg, wies darauf hin, dass bei der Geneditierung zwischen der Veränderung somatischer Zellen und Keimbahnzellen unterschieden werden müsse. Mit der Geneditierung somatischer Zellen seien bereits erste Erfolge bei der Behandlung von Krankheiten erzielt worden. Diese Veränderungen beträfen nur die Zellen eines Organs, zum Beispiel Blutstammzellen, und seien nicht an die nächste Generation vererbbar.
Der Eingriff in die Keimbahn habe dagegen Konsequenzen für alle nachfolgenden Generationen und sei bis dato mit Risiken behaftet, für die es heute noch keine technischen Lösungen gebe. Der Freiburger Molekularbiologe erinnerte an Off-Target-Effekte von Genscheren, aber auch daran, dass sich nicht überprüfen lasse, ob die Genveränderung in allen Zellen stattgefunden oder sich ein genetisches Mosaik gebildet habe.
Auch der Deutsche Ethikrat vertritt den Standpunkt, dass die Sicherheit und Wirksamkeit von Eingriffen in die menschliche Keimbahn aktuell nicht gegeben sei. Er sehe die menschliche Keimbahn aber auch nicht als „kategorisch unantastbar“ an, wie Peter Dabrock, Vorsitzender des Deutschen Ethikrates, mitteilte.
Dabrock warnte vor einem Schwarz-Weiß-Denken bei ethischen Fragestellungen zur Keimbahnveränderung. Es sei vielmehr ein globaler Diskurs erforderlich, an dem nicht nur die wissenschaftliche Gemeinde beteiligt ist – der letztlich gegebenenfalls in globale Regelungen münde.
Einen ersten Schritt, Standards für die klinische Anwendung der Geneditierung zu entwickeln, ist die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gegangen. Eine internationale und interdisziplinäre Arbeitsgruppe aus 18 Experten erarbeitet derzeit Empfehlungen zum Umgang mit Geneditierung sowohl von somatischen als auch von Keimbahnzellen.
„Wir müssen eine Welt verhindern, in der man außen vor ist, wenn man nicht genverändert ist“, sagte Ewa Bartnik von der Universität Warschau, die an der WHO-Arbeitsgruppe beteiligt ist. Deshalb sehe sie es als Aufgabe der Arbeitsgruppe an, diejenigen, die für die Überwachung der Genomeditierung zuständig seien, mit den dafür notwendigen Instrumenten und Richtlinien zu versorgen. © nec/aerzteblatt.de

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