Ärzteschaft
Ärzte besorgt über wirtschaftlichen Druck auf Patientenversorgung
Montag, 25. November 2019
Berlin – Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt, hat vor wachsendem wirtschaftlichen Druck auf die Behandlung von Patienten gewarnt. „Wir wollen ein humanes Gesundheitswesen haben, das nicht so durchökonomisiert ist wie ein Industriebetrieb“, sagte der Chef der Bundesärztekammer in Berlin.
„Das ist unangemessen für die Versorgung von Kranken und mit dem ärztlichen Ethos nicht vereinbar.“ Er verwies auf zunehmend problematische Bedingungen in Krankenhäusern, die zu „Effizienzdruck“ führten. Es verschärfe sich auch der Trend zu einer Kommerzialisierung durch Finanzinvestoren, die medizinische Einrichtungen als Geldanlagen in den Blick nehmen.
„Die Strukturen im Gesundheitswesen müssen auch nach wirtschaftlichen Kriterien ausgerichtet sein, keine Frage“, sagte Reinhardt. „Es ist aber auch dem berechtigten Anspruch der Erkrankten zu entsprechen, dass sie in einem Staat wie Deutschland angemessen behandelt werden. Nicht nur technisch, sondern auch menschlich.“
Investitionen in Kliniken sollten eigentlich die Bundesländer finanzieren, erläuterte der BÄK-Präsident. Da dies oft nur unzureichend passiere, versuchten viele Häuser, es aus den Betriebserlösen zu stemmen und engagierten Unternehmensberater. Diese versuchten dann mit Methoden wie aus der Autoindustrie, Krankenhausversorgung zu rationalisieren.
Das beibe nicht ohne Folgen. „Der Zeitmangel verschärft sich, vor allem die so wichtige Kommunikation zwischen Arzt und Patienten kommt oft zu kurz“, erklärte Reinhardt. Es gebe teils auch nicht genug Ärzte und Pflegekräfte, damit Wartezeiten zumutbar bleiben würden. „Dass daraus bei Patienten auch Unbehagen gegenüber dem Gesundheitswesen erwächst, kann keinen verwundern.“
Reinhardt forderte, dass dringend Abhilfe geschaffen werden müsse, „um das Vertrauen der Menschen in das System zu sichern“. Dafür müsse sich auch die Kommunalpolitik Gedanken machen, ob wirklich alle Klinikstandorte erforderlich seien.
„Wenn Krankenhäuser in benachbarten Landkreisen allein nicht überlebensfähig sind, könnte man doch beide Standorte zusammenführen – und zwar mit dem gesamten Personal.“ Das brächte Freiraum für Investitionen und vernünftige Arbeitsbedingungen. Es müsse aber auch Schluss damit sein, dass Standortentscheidungen in der Politik sofort angeprangert werden.
GKV auf Arztseite
Beim bedenklichen Trend zur Kommerzialisierung gehe es nicht um private Krankenhausträger oder Ärzte, die sich zu mehreren zu einer Gruppenpraxis zusammentun. „Aber es ist problematisch, wenn Finanzinvestoren oder Pensionsfonds in Einrichtungen wie Medizinische Versorgungszentren (MVZ) einsteigen mit dem einzigen Ziel der Kapitalanlage“, sagte Reinhardt. „Es gibt Grund zur Sorge, dass dann Ärzte zur Erfüllung von Renditezielen bedrängt werden, gezielt medizinische Leistungen vorzunehmen.“
Auch die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) betonten die gemeinsame Verantwortung dafür, dass Menschlichkeit und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen Hand in Hand gehen. „Technik, Chemie und Biologie sind wichtig für die Behandlung kranker Menschen“, sagte der Sprecher des GKV-Spitzenverbands, Florian Lanz, in Berlin. „Aber der professionellen Pflege, dem Ärztin-Patienten-Gespräch und einem vertrauensvollen Miteinander muss immer eine herausragende Bedeutung zukommen.“
In einer Resolution hatte auch die Delegiertenversammlung der Landesärztekammer Hessen am vergangenen Wochenende eine Umkehr gefordert. Das Gesundheitswesen müsse endlich wieder an den Bedürfnissen der Patienten ausgerichtet werden müsse. Eine seit Jahren unzureichende Personalausstattung führe zu Arbeitsverdichtung für Ärzte, Pflegefachkräfte und weitere Gesundheitsberufe.
Daraus resultierten nicht nur Überlastung und Demotivation, sondern auch Zeit- und Zuwendungsmangel für die Patienten. Die Delegierten kritisierten, dass der ökonomische Druck seit Jahren durch die fortdauernde Unterfinanzierung steige. Ausdrücklich forderten sie, dass die Länder ihren Investitionsverpflichtungen bei der stationären Versorgung nachkommen müssten.
Die Delegiertenversammlung rief dazu auf, Grundleistungen wie ärztliche Gespräche und Beratungen, klinische Untersuchungen und interdisziplinärer Austausch in Klinik und Praxis adäquat zu finanzieren. Dazu sei eine grundlegende Überarbeitung des bestehenden Vergütungssystems notwendig. Im jetzigen System bestehe oftmals ein Konflikt zwischen der patientengerechten Therapie einerseits und einer erlösoptimierten Therapie andererseits.
Der zunehmende Einfluss von Kapitalgesellschaften auf die medizinische Versorgung der Bevölkerung war ebenfalls ein Thema, das am vergangenen Samstag in der Vertreterversammlung (VV) der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) diskutiert wurde.
Unter Vorsitz von Petra Reis-Berkowicz übten die gewählten Repräsentanten der bayerischen Vertragsärzte und -psychotherapeuten insbesondere Kritik an der Bundespolitik und der Gesetzgebung. Gerade Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sorge mit hohem Zeitdruck und rigiden Vorgaben dafür, dass das vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis zusehends ausgehöhlt werde, hieß es. © dpa/aerzteblatt.de

Überall im System ist Renditeoptimierung zum Schaden der Patienten

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