Politik
Rabattverträge für AOK nicht Ursache von Lieferengpässen bei Arzneimitteln
Donnerstag, 5. Dezember 2019
Berlin – Arzneimittelrabattverträge seien nicht die Ursache von Lieferengpässen. Sie leisteten vielmehr einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit der Patienten und zur finanziellen Stabilität des Gesundheitssystems. Das erklärten der AOK-Bundesverband, die AOK Baden-Württemberg und das Wissenschaftliche Institut der AOK (WIdO) heute vor Journalisten in Berlin.
Die anhaltende Kritik von Pharma- und Apothekerverbänden an den Rabattverträgen bezeichnete der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Martin Litsch, als „gezielte Desinformationskampagne“, bei der es nur ums Geld gehe.
Mit Rabattverträgen über Generika habe die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) im vergangenen Jahr Einsparungen von 4,5 Milliarden Euro erzielt, erklärte Litsch. Das entspreche 0,3 Beitragssatzpunkten und sei damit eine relevante ökonomische Größenordnung.
„Leider gehen Teile der Politik der Pharma-Inszenierung auf den Leim“, sagte er. Denn Lösungsansätze konzentrierten sich meist auf Rabattverträge und gingen an den wahren Ursachen von Lieferengpässen komplett vorbei.
So hatte beispielsweise der Arzneimittelexperte der CDU, Michael Hennrich, vorgeschlagen, die Vergabe von Rabattverträgen grundsätzlich auf mehrere Anbieter zu verteilen. Das solle dazu dienen, möglichst viele Hersteller im Markt zu halten und damit das Risiko von Lieferausfällen zu verringern.
Pharmafirmen sind aus Profitstreben gegen Rabattverträge
„Nicht Liefersicherheit, sondern Profitstreben ist der Anlass für Pharmafirmen, wenn sie exklusive Rabattverträge abschaffen wollen“, sagte Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg und Chef-Verhandler der Rabattverträge der AOK-Gemeinschaft.
„Was soll sich verbessern, wenn drei Unternehmen den Zuschlag erhalten, deren Produkte aber alle aus derselben Fabrik kommen“, fragte er. Denn bei europäischen Generikaanbietern sei es die Regel, dass diese ihre Wirkstoffe von anderen Unternehmen herstellen ließen.
Von den 193 Rabattvertragspartnern der AOK, die in Europa tätig seien, produzierten nur elf ihre Wirkstoffe selbst. Dazu komme, dass Deutschland nur einen Anteil von vier Prozent am globalen Markt patentfreier Arzneimittel habe.
Damit sei der Einfluss der deutschen Rabattverträge auf die unternehmerischen Entscheidungen global agierender Pharmaunternehmen gering. Die Konzerne ließen, wie alle anderen Branchen auch, ihre Wirkstoffe so produzieren, „dass die Gewinnmarge möglichst groß ist“, meinte Hermann.
Auch der AOK-Chef-Verhandler vertrat die Ansicht, dass die Mehrfachvergabe bei Rabattverträgen die Lieferfähigkeit nicht verbessert. Die Hersteller verlören vielmehr ihre Kalkulationssicherheit und ihre Abnahmegarantien. Hermann betonte, dass jeder AOK-Rabattvertrag Sanktionen für den Fall vorsehe, dass der Vertragspartner nicht im vereinbarten Umfang liefern könne.
Außerdem müssten die Unternehmen ihre Lieferketten offenlegen und nachweisen, dass ihr Angebot „auskömmlich“ sei. „Es gibt keine Dumpingangebote“, erklärte Hermann. Das werde von unabhängigen Wirtschaftsprüfern kontrolliert. Denn nur ein auskömmliches Angebot stelle langfristig die Lieferfähigkeit eines Unternehmens sicher. „Lieferengpässe sind ein weltweites Problem“, sagte Hermann. „Das lässt sich nicht im deutschen Bundestag lösen.“
Exklusivverträge schaffen Planungssicherheit
Pharmafirmen könnten mit Exklusivverträgen ihre Absatzmengen und damit ihre wirtschaftlichen Grundlagen besser planen, erklärte auch der stellvertretende WIdO-Geschäftsführer Helmut Schröder. Denn bei Mehrfachvergaben verteile sich der Markt nicht gleichmäßig auf die zwei oder drei Vertragspartner.
Nach den Analysen des WIdO entfielen bei Wirkstoffen, die von drei Rabattpartnern beliefert würden, im Schnitt 60 Prozent der Verordnungen auf den verordnungsstärksten Partner, knapp 28 Prozent auf den zweiten und 12 Prozent auf den verordnungsschwächsten Partner.
Zu den Ursachen von Lieferengpässen gehören Litsch zufolge technische Probleme im Produktionsablauf, Rohstoffengpässe, ein unvorhergesehener Mehrbedarf, aber auch Qualitätsmängel und intransparente Lieferketten. Um die Versorgung zu sichern, benötige man vor allem Transparenz und eine Meldepflicht für Lieferengpässe – und zwar auf allen Ebenen: vom Hersteller über den Großhandel bis zur Apotheke.
Litsch warnte zudem davor, das Problem zu dramatisieren. Anfang September 2019 seien immerhin 99,3 Prozent der Arzneimittel, die zulasten der GKV verordnet wurden, lieferbar gewesen.
Während das AOK-System auf Exklusivverträge setzt, favorisieren die Ersatzkassen Mehrpartnermodelle bei Rabattverträgen. Aber auch dort will man an den bestehenden Ausschreibungs- und Vergabemodalitäten festhalten, wie der Verband der Ersatzkassen (vdek) heute in Berlin erklärte.
Der Verband legte zugleich ein Papier vor, wie mögliche Lieferengpässe in Zukunft vermieden oder besser gemanagt werden können. Wie die AOK fordert auch der vdek, mehr Transparenz über das Liefer- und Marktgeschehen zu schaffen und umfangreiche Meldepflichten einzuführen. Für Großhändler und Apotheken mit Großhandelserlaubnis solle es zudem Exportbeschränkungen oder Exportverbote im Falle bestehender Lieferengpässe geben.
Der Preisdruck ist massiv gestiegen
Pharmaverbände widersprachen unterdessen der Sichtweise der Kassen. Lieferengpässe hätten zwar viele, auch globale Ursachen, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie, Kai Joachimsen: „Die Rabattverträge sind aber für die Arzneimittelversorgung in Deutschland ein zentrales Problem.“
Durch die Vergabe von exklusiven Rabattverträgen sei der Preisdruck auf die Hersteller massiv gestiegen. Die Folge sei eine drastische Zunahme der Marktkonzentration. Das werde von der AOK einfach ignoriert. Bei Generika dürfe es keine Exklusivverträge mehr geben, forderte Joachimsen.
„Rabattverträge hätten sehr wohl einen Anteil an Engpässen, weil diese zu weniger Marktteilnehmern führten, sagte auch Hubertus Cranz, Hauptgeschäftsführer des Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller. Es sei eine wirtschaftliche Logik, dass sich bei den Rabattvertragsausschreibungen mit jeweils einem Exklusivpartner der Anbietermarkt verengen könne, weil unterlegene Bieter nicht mehr zum Zuge kämen und de facto die Arzneimittel nicht mehr aktiv anbieten könnten.
Union und SPD wollen das Problem der Lieferengpässe im Rahmen des Faire-Kassenwettbewerb-Gesetzes angehen, das sich zurzeit in der parlamentarischen Beratung befindet. © HK/aerzteblatt.de

Wie "wissenschaftlich" ist das WIdO?
Wenn die AOKen mit ihrem "wissenschaftlichen" Institut heute wiederholt behaupten, ihre Rabattverträge seien "Nicht Ursache der Versorgungsausfälle mit Arzneimitteln", so ist das in keinem Fall glaubwürdig.
Da hilft auch keine Polemik gegen Politiker oder die Pharmaindustrie.
Fakt ist, wer mit Monopolmacht aus Pharmaherstellern über Einzelverträge bis zu 90 %. Rabatt herausquetscht, der hat auch miserable Arzneimittelqualitäten, Monopolbildung auf der Seite der asiatischen Produzenten und Lieferausfälle zu verantworten.
Monopole sind immer schlecht. Aber besonders in der Krankenversicherung. Deshalb ist es auch unfair, dass Menschen unterhalb der Beitragsbemessungsgrenze gezwungen sind, sich in das öffentlich-rechtliche Gesundheitssystem einzuschreiben und sich für eine bessere Versorgung nicht privat versichern können.

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