Ärzteschaft
Vertragsärzte üben heftige Kritik an Kassenaufsicht
Montag, 9. Dezember 2019
Berlin – Mit Blick auf die Vergütungsvereinbarungen für 2020 hat die KBV-Vertreterversammlung (VV) am vergangenen Freitag in Berlin das Bundesversicherungsamt (BVA) heftig kritisiert. Das BVA übt die Aufsicht über alle Krankenkassen aus, die in mehr als drei Bundesländern vertreten sind.
Nach Ansicht der VV überschreitet das Amt die Grenzen seiner Rechtsaufsicht, indem es sich „mit selbst definierten Anforderungen“ steuernd in die Honorarverhandlungen von Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und Krankenkassen einmische.
Betroffen seien insbesondere Vereinbarungen über Zuschläge für besonders förderungswürdige Leistungen oder Leistungserbringer. Die VV forderte deshalb den KBV-Vorstand auf, an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) heranzutreten, damit diese das BVA in seine Schranken weisen.
Bereits seit 2019 blockiere das BVA in allen KV-Bezirken die Honorarverhandlungen. Die Folge: Es kämen entweder gar keine Vergütungsvereinbarungen zustande, weshalb direkt das Schiedsamt angerufen werden müsse. Oder bereits einvernehmlich zwischen KVen und Kassen geschlossene Vereinbarungen müssten wieder geändert werden.
Für das Jahr 2020 seien aufgrund des Vorgehens des BVA – „trotz erfolgreicher Verhandlungen mit einvernehmlichen Ergebnissen in einzelnen KV-Bezirken“ – keine Vergütungsvereinbarungen unterzeichnet worden, heißt es in einem Beschluss der KBV-Vertreterversammlung.
Mehr Geld für bessere Versorgung
Zum Hintergrund: Nach § 87 a SGB V können die KVen mit den Krankenkassen Zuschläge auf den Orientierungswert für besonders förderungswürdige Leistungen sowie für Leistungen von besonders zu fördernden Leistungserbringern vereinbaren. Ziel ist, damit die Versorgung der Patienten zu verbessern.
Der Bewertungsausschuss, der die Rahmenbedingungen für die vertragsärztliche Vergütung festlegt, hat dafür im Oktober 2012 die entsprechenden Kriterien bestimmt. Danach können KVen und Kassen die Förderung einzelner Leistungen vereinbaren, wenn Veränderungen in Art und Häufigkeit der Erbringung den Behandlungserfolg steigern.
Der Bewertungsausschuss legte zudem fest, dass die Vertragspartner in ihren Vereinbarungen darlegen müssen, welche Versorgungsmängel bestehen und inwieweit diese durch die Förderung bestimmter Leistungen beseitigt werden können.
Zuschläge auf den Orientierungswert können zudem für die hausärztliche Behandlung von Patienten vereinbart werden, die an mindestens drei chronischen Erkrankungen leiden. Grundlage ist eine auf Landesebene von den Vertragspartnern festgelegte Liste von chronischen Erkrankungen.
Außerdem können nach dem Beschluss des Bewertungsausschusses Ärzte gezielt gefördert werden, in deren Fachgebiet eine Unterversorgung eingetreten ist, in absehbarer Zeit droht oder in denen zusätzlicher lokaler Versorgungsbedarf besteht.
Vertragsärzte und Kassen setzen sich über Vorgaben hinweg
Das Bundesversicherungsamt hatte am 13. September 2018 in einem Schreiben an die Kassen bemängelt, dass bei den Vereinbarungen über förderungswürdige Leistungen oder Leistungserbringer die gesetzlichen Grenzen zum Teil nicht beachtet würden.
Mehrfach hätten Leistungen gefördert werden sollen, die über die Regelversorgung hinausgingen, erklärte das BVA. Die Gelder aus der Gesamtvergütung seien aber auf den im Einheitlichen Bewertungsmaßstab abgebildeten Leistungskatalog beschränkt. Das BVA habe zudem festgestellt, dass die Kassen zum Teil schlicht Fördertöpfe zur Verfügung gestellt und die Verteilung mehr oder weniger den KVen überlassen hätten.
Das sei kein gesetzeskonformer Umgang mit Versichertengeldern. Die Spielräume der Vertragspartner seien durch § 87 a SGB V und den Beschluss des Bewertungsausschusses vom 22. Oktober 2012 abschließend geregelt. Darüber könnten sich KVen und Kassen nicht „unter Bezugnahme auf ihre allgemeine Kompetenz zur Regelung der Vergütung“ hinwegsetzen.
Für nicht nachvollziehbar hält der KBV-Vorstandsvorsitzende Andreas Gassen die Begründung des BVA für die Beanstandungen der Honorarverträge. Diese seien einer „skurrilen Auslegung“ des Beschlusses des Bewertungsausschusses von Oktober 2012 geschuldet, sagte er bei der VV in Berlin.
Nach zähen Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband sei es der KBV gelungen, im November einen neuen Beschluss zu fassen. Mit diesem würden die bisherigen Vorgaben deutlich gelockert. Die regionalen Gesamtvertragspartner erhielten dadurch wieder Spielräume für die Verhandlungen zur Förderung bestimmter Leistungen oder Leistungserbringer.
„Wir gehen davon aus, dass dies positive Effekte auf die Honorarverhandlungen der KVen in den Regionen haben wird“, erklärte Gassen. „Wir glauben aber, dass das Bundesgesundheitsministerium dem BVA hier im Rahmen eines normenerläuternden Gespräches einmal die Grenzen der Rechtsaufsicht aufzeigen sollte, damit nicht alle im Sinne der Versorgung mit den Krankenkassen vor Ort geeinten Regelungen abgebügelt werden.“
Das BVA könne und dürfe keine allgemeine Versorgungsbehörde werden, sagte Gassen, der zugleich betonte, er werde sich in dieser Sache noch vor Weihnachten gemeinsam mit seinen Vorstandskollegen an die Politik wenden.
73 Millionen Euro drohen verloren zu gehen
Die regionalen Auswirkungen der Beanstandungspolitik des BVA beschrieb in einem leidenschaftlichen Diskussionsbeitrag der Vorsitzende der KV Baden-Württemberg, Norbert Metke. KV und Kassen zielten darauf, die Patientenversorgung zu verbessern, indem im Kollektivsystem die Behandlung spezifischer Erkrankungen und im Selektivsystem die Versorgungssteuerung gefördert würden.
Dieses Modell sei akut hochgradig gefährdet, sagte Metke. Das BVA habe einen mit den Kassen konsentierten Honorarvertrag, der Geld für bestimmte Zusatzleistungen vorsieht, vorab geprüft und angekündigt, diesen beanstanden zu wollen. Dabei würden diese Leistungen bereits seit acht Jahren gefördert.
Im Übrigen teile das baden-württembergische Sozialministerium, das für die regionalen Krankenkassen AOK und BKK verantwortlich sei, die Rechtsauffassung des BVA nicht. In Baden-Württemberg gehe es um Zusatzleistungen von rund 73 Millionen Euro, die der Versorgung schlicht entzogen werden sollten, sagte Metke. © HK/aerzteblatt.de

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