Medizin
Zweifel an Gleichwertigkeit von Bypass und Stent bei Hauptstammstenose
Donnerstag, 12. Dezember 2019
London – Ein am Montagabend ausgestrahlter Bericht des britischen Fernsehsenders BBC weckt erhebliche Zweifel an den Ergebnissen der EXCEL-Studie. Diese hatte gezeigt, dass bei einer koronaren Herzerkrankung (KHK) mit Hauptstammstenose eine Behandlung mittels koronarer Bypass-Operation und eine Stentimplantation gleichwertig sind.
Die Deutsche Gesellschaft für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie (DGTHG) befürchtet „eine Verunsicherung der Patienten durch die Berichterstattung“ und fordert in einer Eilmeldung, „dass die Studiendaten von unabhängiger Seite erneut analysiert werden“ müssen.
Auf den Ergebnissen der EXCEL-Studie basiert auch die Empfehlung der europäischen Leitlinie zur myokardialen Revaskularisierung: Sie empfiehlt für KHK-Patienten mit Hauptstammstenose beide Behandlungsmethoden gleichermaßen. Der BBC liegen dem TV-Beitrag zufolge allerdings Informationen vor, dass die Autoren einen Teil der Ergebnisse der EXCEL-Studie zurückgehalten haben.
Nach der Sendung des Beitrags entzog die European Association of Cardio-Thoracic Surgery (EACTS) dem Kapitel zur Hauptstammstenose der gemeinsamen EACTS-ESC Leitlinie die Zustimmung. Sollten die Information über die EXCEL-Studie korrekt sein, sei die Empfehlung nicht sicher, heißt es in einem Statement der Fachgesellschaft. „Es bereitet uns ernsthafte Sorgen, dass einige Ergebnisse der EXCEL-Studie offenbar verschwiegen wurden und dass einigen Patienten deshalb möglicherweise zu einer falschen Behandlung geraten wurde“, betonte Domenico Pagano, Generalsekretär der EACTS.
In der EXCEL-Studie wurden fast 2.000 Patienten mit KHK und Hauptstammstenose entweder mittels Bypass oder mit einem Stent behandelt und für 3 Jahre nachbeobachtet. Die Endpunkte waren Myokardinfarkt, Schlaganfall und Tod. Nach Auswertung der Daten publizierten die Autoren um Gregg Stone vom New York Presbyterian Hospital und dem Columbia University Medical Center in New York die Ergebnisse. Im New England Journal of Medicine berichteten sie, dass Bypass und Stent hinsichtlich des kombinierten Endpunkts aus Tod, Myokardinfarkt und Schlaganfall gleich gut abgeschnitten hätten.
Myokardinfarkt-Definition bestimmt das Ergebnis
Allerdings: Als die Studie aufgelegt wurde, war geplant gewesen, das Auftreten von Myokardinfarkten anhand 2 verschiedener Definitionen zu messen: Die gängige universelle Definition, die einen Anstieg kardialer Biomarker, vor allem Troponin, vorsieht, und zusätzlich Auffälligkeiten in EKG oder Bildgebung erfordert, und die als liberaler geltenden Definition der Society for Cardiovascular Angiography and Interventions (SCAI), die nur auf Blutwerten basiert. Welche Definition besser geeignet ist, um Herzinfarkte nachzuweisen, ist umstritten.
Doch veröffentlicht wurden von den Studienautoren letztlich nur die Daten zur SCAI-Definition des Myokardinfarkts – nach denen der Stent dem Bypass nicht unterlegen war.
Die nicht veröffentlichten, nun aber der BBC zugespielten Daten zur universellen Definition zeichnen ein ganz anders Bild: Laut dieser Definition hätten in der mit einem Stent behandelten Gruppe 80 % mehr Patienten einen Myokardinfarkt gehabt als in der Bypass-Gruppe, heißt es in dem Beitrag.
Die EXCEL-Studie wurde von Abbott Vascular finanziert. Von den Journalisten der BBC mit den unveröffentlichten Daten konfrontiert, habe sich das Unternehmen von der Art und Weise, wie Studie durchgeführt worden sein, distanziert. Die Studienautoren geben derweil an, dass der BBC falsche Informationen vorlägen.
Die EXCEL-Studie war entscheidend für die Empfehlung für diese spezielle Patientengruppe mit niedrigem bis moderatem Risiko und Hauptstammstenose. Nicholas Freemantle, Direktor der Comprehensive Clinical Trials Unit am University College London
Besonders brisant macht die Angelegenheit, dass die EACTS und die European Society of Cardiology kurz nach Veröffentlichung der EXCEL-Daten ihre Leitlinie zur myokardialen Revaskularisierung aktualisierten. Und „die EXCEL-Studie war entscheidend für die Empfehlung für diese spezielle Patientengruppe mit niedrigem bis moderatem Risiko und Hauptstammstenose“, sagt Nicholas Freemantle, Direktor der Comprehensive Clinical Trials Unit am University College London und damals Mitglied im Leitlinienkomitee, gegenüber der BBC.
„Hätten die Daten zur Universal Definition zur Verfügung gestanden, hätte ich nie einer Gleichwertigkeit der beiden Verfahren zugestimmt.“ Freemantle ist sich sicher, dass die Daten zur universellen Definition dazu geführt hätten, dass die Studie anders beurteilt worden wäre.
Autoren übergehen Warnung vor erhöhter Sterberate
Doch bei möglicherweise zurückgehaltenen Daten blieb es nicht. E-Mails, die der BBC vorliegen, zeigen: Noch während an der europäischen Leitlinie gearbeitet wurde, warnte das Data Safety Monitoring Board der EXCEL-Studie, dass in der Stent-Gruppe auffällig viele Patienten versterben würden – und empfahl dies möglichst rasch publik zu machen, auch im Licht der gerade entstehenden Leitlinie. Doch keiner der Studienautoren gab die Warnungen des Data Safety Monitoring Board weiter. So sei es gekommen, dass das Leitlinienkomitee mit unvollständigen Daten und ohne über die Sicherheitsbedenken informiert zu sein, die Empfehlungen formuliert habe, so die BBC.
„Das Ergebnis ist, dass Patienten, die Stents erhalten haben, gestorben sind, die möglicherweise länger gelebt hätten, wenn sie einen Bypass erhalten hätten“, sagte Freemantle in dem TV-Beitrag. Allerdings sind sich darüber nicht alle Experten einig: Während die EACTS der Leitlinienempfehlung ihre Unterstützung entzogen habe, gehe die ESC davon aus, dass sich die Beurteilung der EXCEL-Studie auch mit den unveröffentlichten Daten nicht verändert hätte. Die kardiologische Fachgesellschaft verwehrt sich dagegen, dass die Leitlinie Patienten geschadet haben könnte.
Mittlerweile (11. Dezember) ist auf der Website der ESC zu lesen, dass man plane, die neue Evidenz zusammen mit den chirurgischen Kollegen auf ihre Relevanz für die aktuellen Empfehlungen hin zu überprüfen. Auch bei der Veröffentlichung der 5-Jahres-Daten der EXCEL-Studie Anfang des Jahres berichteten die Autoren erneut, dass es keinen signifikanten Unterschied zwischen Stentimplantation und Bypass-Operation gegeben habe.
Selbst Studienautoren sind sich uneins
Allerdings gilt dies nicht für alle beteiligten Studienautoren: David Taggert von der Universität Oxford zog seine Autorenschaft zurück. Denn nach 5 Jahren sei in der Stentgruppe ein eindeutiger Überschuss an Todesfällen zu erkennen, sagt er im BBC-Interview. Dieser würde dazu führen, dass man pro 100 Todesfällen unter Bypass-Patienten mit 135 Todesfällen bei gestenteten Patienten rechnen müsse.
Taggert ist – anders als seine ehemaligen Koautoren – besorgt, dass eine Sterberate von 10 % in der Bypass-Gruppe und 13 % in der Stentgruppe ein bedeutsamer Unterschied sein könnte. Insbesondere angesichts dessen, dass die Patienten in der Studie relativ jung und gesund gewesen seien, deshalb sei das „ein wirklich alarmierendes Signal“.
Patienten, die durch die Berichterstattung verunsichert seien, raten sowohl die EACTS als auch die DGTHC, in die Entscheidung für eine Behandlungsmethode „unbedingt ein interdisziplinäres Herzteam einzubeziehen, um die notwendige Therapie auf größtmögliche herzmedizinische Expertise zu stützen“. © nec/aerzteblatt.de
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