Politik
Union und SPD sehen riesigen Bedarf an Kurzzeitpflegeplätzen
Freitag, 13. Dezember 2019
Berlin – In Deutschland gibt es flächendeckend viel zu wenig Kurzzeitpflegeplätze. Darauf haben Lothar Riebsamen (CDU) und Heike Baehrens (SPD), beide Mitglieder im Gesundheitsausschuss des Bundestags, heute vor Journalisten im Bundestag hingewiesen.
Sie stellten dort offiziell einen gemeinsamen Antrag der Fraktionen von Union und SPD vor, mit dem diese die Kurzzeitpflege voranbringen wollen. Der Antrag soll bereits am kommenden Donnerstag im Bundestag behandelt werden.
Im Januar 2020 soll die Anhörung dazu stattfinden. Riebsamen und Baehrens rechnen im Anschluss mit einer schnellen Verabschiedung im Plenum und einer breiten Zustimmung – auch der Opposition – für die Pläne.
Bereits im Koalitionsvertrag hatte die Große Koalition vereinbart, pflegende Angehörige besser zu unterstützen. Neben der Kurzzeit- oder auch Verhinderungspflege wurde auch eine Verbesserung der Tages- und Nachtbetreuung vereinbart. Mit dem Antrag wollen Union und SPD im Bundestag nun den Druck auf die Bundesregierung erhöhen, schnell Verbesserungen in der Kurzzeitpflege anzugehen.
Die Zahl der fehlenden Plätz in Deutschland ließe sich zwar nicht beziffern, aber der Bedarf sei „riesig“, begründete Riebsamen heute. „Wir wissen, dass es kein einziges Bundesland gibt, in dem es eine flächendeckende, ausreichende Versorgung gibt“, ergänzte Baehrens.
Die telefonieren sich die Finger wund. Lothar Riebsamen (CDU)
Die SPD-Politikerin erläuterte, sie erhalte von Verbänden der pflegenden Angehörigen und auch aus Krankenhäusern vielfach das Signal, dass Kurzzeitpflegeplätze fehlten. Der Krankenhaussozialdienst wisse oftmals nicht mehr, wie er Betroffene unterbringen könne, erklärte sie. „Die telefonieren sich die Finger wund“, sagte auch Riebsamen. Es brauche 40 bis 50 Anrufe, bis sie vielleicht einen Kurzzeitpflegeplatz in 40 Kilometern Entfernung erhalten könnten.
Baehrens wies auch darauf hin, dass von den pflegebedürftigen Menschen in Deutschland rund zwei Drittel von Angehörigen gepflegt würden. Dazu käme noch der Bedarf von Menschen, die sich nach einem Krankenhausaufenthalt nicht allein zu Hause versorgen könnten und eine Überleitungspflege benötigten.
Der SPD zufolge ist unter Berufung auf das Statistische Bundesamt die Zahl der Einrichtungen der Kurzzeitpflege in den vergangenen Jahren rückläufig. So sank die Anzahl der solitären Einrichtungen bundesweit von 227 (2011) auf 148 (2017). Auch Heime oder Krankenhäuser, die Plätze einstreuen, haben von der Kurzzeitpflege Abstand genommen. Gab es 2015 noch 1.093 Einrichtungen mit diesem Angebot, waren es 2017 noch 764.
Den Daten zufolge bestehen große Unterschiede in den Bundesländern. Während es in Baden-Württemberg 248 Einrichtungen mit Kurzzeitpflegeplätzen gibt, sind es in Mecklenburg-Vorpommern elf, in Sachsen-Anhalt zwölf und in Berlin 18.
Vergütung unzureichend
Riebsamen und Baehrens erklärten einstimmig, dass ein Grund für den Abbau von Plätzen die derzeit nicht wirtschaftliche Vergütung der Kurzzeitpflege ist. Das ist ein Punkt, der mit dem Antrag, der bereits in der vergangenen Woche im politischen Berlin durchgesickert war, angegangen werden soll.
Unter anderem wollen die Regierungsfraktionen damit künftig eine „wirtschaftlich tragfähige Vergütung“ für die Kurzzeitpflege schaffen. Baehrens und Riebsamen schwebt ein Auslastungsgrad von 70 Prozent vor, damit eine Einrichtung, die Kurzzeitpflege anbietet, wirtschaftlich überleben kann. Derzeit sind 95 Prozent notwendig, wie Trägerverbände, die beim Pressegespräch dabei waren, erläuterten.
Schaffen wollen Union und SPD auch ein jährliches Entlastungsbudget, das die Leistungsbeträge der Pflegeversicherung für die Kurzzeit- und Verhinderungspflege sowie den Entlastungsbetrag aus dem Sozialgesetzbuch XI umfassen soll. Ziel sei es, die bisherigen Leistungen zu bündeln und den Zugang für die Betroffenen zu vereinfachen, sagte Baehrens.
Appell an die Länder
Genaue Zahlen dazu, wie viel Geld zusätzlich benötigt wird, um die Kurzzeitpflege zu stärken, wurden heute nicht genannt. Riebsamen wies aber darauf hin, dass es insgesamt günstiger sei, die Kurzzeitpflege zu fördern. Dadurch könnten nicht nur Kosten bei der teureren stationären Pflege, sondern auch Pflegepersonal eingespart werden.
Mit dem Antrag wollen Union und SPD auch an die Verantwortung der Pflegeversicherung und der Länder appellieren. Beide hätten in der Kurzzeitpflege einen Sicherstellungsauftrag, hieß es. Die Länder seien in der Pflicht, ihrer Investitionsverantwortung nachzukommen und mehr zu tun.
„Wir brauchen so etwas wie eine Investitionsoffensive der Bundesländer, um den Aufbau von Kurzzeitpflegeplätzen zu schaffen “, erläuterte Baehrens. Dass der Einfluss in der Frage auf die Länder begrenzt ist, wissen aber auch Baehrens und Riebsamen. „Wir tun uns schwer im Föderalismus Druck auf die Länder auszuüben“, sagte Riebsamen. Eventuell bewegten sich diese aber, wenn der Bund vorangehe und Verbesserungen bei der Pflegeversicherung anstoße.
Vom Netzwerk Kurzzeitpflege, deren Vertreter beim Pressegespräch anwesend waren, hieß es heute, man sehe dringenden Handlungsbedarf. Die Nachfrage sei so groß, dass man sich heute kümmern müsse, wenn man einen Platz im Dezember 2020 erhalten wolle. Auch sei es so, dass etwa die Kliniken in Mecklenburg-Vorpommern Kurzzeitpflegeplätze in Brandenburg anfragen müssten, weil das Angebot im Land selber nicht in der notwendigen Zahl vorhanden sei.
Das Netzwerk plädierte wie Baehrens auch im wesentlichen für neue solitäre Kurzzeitpflegeplätze. Diese stünden anders als eingestreute Kurzzeitpflegeplätze in Heimen dauerhaft als Kurzzeitpflegeplätze zur Verfügung. Notwendig seien dafür finanzielle Anreize von den Bundesländern und eine auskömmliche Finanzierung der Einrichtungen.
Die Freien Wohlfahrtsverbände begrüßten heute die Initiative. Betroffene suchten oft händeringend einen Platz, sagte der Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege, Gerhard Timm, in Berlin.
Menschen würden nach einem Krankenhausaufenthalt oft genauso wenig ein Angebot in ihrer näheren Umgebung finden wie pflegende Angehörige, die selbst Entlastung brauchten und den Pflegebedürftigen für einige Wochen in professionelle Betreuung geben wollten. Laut Timm mussten viele auf Kurzzeitangebote spezialisierte Pflegeeinrichtungen in letzter Zeit wieder aufgeben, weil sie nicht wirtschaftlich arbeiten konnten.
Die in der Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossenen Verbände haben selbst ein Konzept für eine Finanzierungsstruktur in dem Bereich entwickelt. Zudem fordern sie die Einführung eines Entlastungsbudgets für pflegende Angehörige, das verschiedene Leistungen zusammenführen soll. © may/kna/aerzteblatt.de

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