Politik
Lob und Kritik für Gesetzentwurf zur Reform der Notfallversorgung
Donnerstag, 9. Januar 2020
Berlin – Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hat heute einen Referentenentwurf zur Reform der Notfallversorgung in das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren eingebracht.
Ziel ist es, die ambulante, stationäre und rettungsdienstliche Notfallversorgung, die zurzeit noch weitgehend voneinander abgeschottet existiert, zu einem verbindlichen System der integrierten Notfallversorgung auszubauen, wie es in dem Entwurf von gestern heißt, der dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt.
Denn zurzeit nähmen viele Patienten die Notfallambulanzen der Krankenhäuser in Anspruch, deren Beschwerden keine stationäre Versorgung erforderten und die ebenso gut in den Praxen der Vertragsärzte oder vom kassenärztlichen Bereitschaftsdienst versorgt werden könnten.
Nach dem Gesetzentwurf sollen Patienten künftig bereits am Telefon in die angemessene Versorgungsebene gesteuert werden. Die zentrale Lotsenfunktion soll ein Gemeinsames Notfallleitsystem (GNL) übernehmen, das in lebensbedrohlichen Notsituationen unter der von den Rettungsleitstellen betriebenen Rufnummer 112 und in allen anderen Fällen unter der von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) betriebenen Rufnummer 116117 rund um die Uhr erreichbar ist.
Auf der Basis eines standardisierten Ersteinschätzungsverfahrens werden über das GNL je nach Schwere der Erkrankung des Anrufers die Notfallrettung alarmiert, Krankentransporte organisiert, telemedizinische Konsultationen ermöglicht oder der Fahrdienst des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes aktiviert.
Wesentliche Voraussetzung für eine reibungslose Versorgung von Notfallpatienten ist dem Gesetzentwurf zufolge die digitale Vernetzung der Beteiligten. Die Errichtung der GNL und deren digitale Vernetzung sollen die Krankenkassen mit 25 Millionen Euro fördern.
Eine Anlaufstelle für Notfallpatienten
Zudem soll es künftig an bestimmten Krankenhäusern zentrale, jederzeit zugängliche Einrichtungen für Notfallpatienten geben, sogenannte Integrierte Notfallzentren (INZ). Dort soll nach dem Willen des BMG ebenfalls eine qualifizierte Ersteinschätzung des Behandlungsbedarfs stattfinden.
Die Zentren sollen von den Krankenhäusern und den KVen gemeinsam unter fachlicher Leitung der Kassenärzte betrieben werden. Räumlich sollen sie so in ein Krankenhaus eingebunden werden, dass sie von den Patienten als erste Anlaufstelle wahrgenommen werden.
Die Leistungen der INZ werden dem Entwurf zufolge von den Krankenkassen außerhalb des Budgets vergütet. Über die Zahl und die Standorte von INZ entscheiden die erweiterten Landesausschüsse aus Vertretern der Kassenärzte, der Krankenkassen und der Krankenhäuser auf Grundlage der Planungsvorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA).
Grundsätzlich sollen dabei bestehende Portalpraxen und Notfallambulanzen sukzessive in INZ überführt werden. Nach einem Diskussionsentwurf zur Reform der Notfallversorgung aus dem vergangenen Juli sollten noch die Länder die Planung und Gestaltung der INZ übernehmen. Dagegen hatten sich Kassenärzte und Krankenkassen jedoch heftig gewehrt.
Rettungsfahrten werden künftig gesondert vergütet
Der Rettungsdienst wird dem Gesetzentwurf zufolge als eigener Leistungsbereich in die gesetzliche Krankenversicherung integriert. Die medizinische Notfallversorgung am Notfallort durch die Rettungsdienste der Länder sowie die Rettungsfahrt werden als eigenständige Leistungen anerkannt.
Konkret bedeutet das, dass Rettungsdienste künftig auch solche Einsätze vergütet bekommen, die nicht mit einer Fahrt ins Krankenhaus enden. Damit komme man einer langjährigen Forderung der Länder nach, heißt es in dem Entwurf.
Von einer Reform der Notfallversorgung verspricht sich das BMG insbesondere eine bedarfsgerechtere und damit auch wirtschaftlichere Versorgung der Patienten, wie es im Gesetzentwurf heißt.
Viele Schritte in die richtige Richtung
Die unmittelbaren Reaktionen der Betroffenen auf den Gesetzentwurf aus dem BMG fielen unterschiedlich aus. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) bescheinigte dem Vorhaben „viele Schritte in die richtige Richtung“.
Positiv wertete der KBV-Vorstand, dass dem Gesetzgeber offenbar bewusst sei, dass die KVen gut funktionierende Strukturen für den ärztlichen Bereitschaftsdienst aufgebaut hätten und er „das Prinzip ambulant vor stationär“ aufgreife. „Damit wird die Versorgung der Patienten verbessert“, erklärte der KBV-Vorstandsvorsitzende Andreas Gassen. Folgerichtig sei es auch, dass die Idee eines „dritten eigenständigen Sektors“ bei der Notfallversorgung nicht mehr verfolgt werde.
Einige Details seien jedoch noch zu klären, ergänzte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KBV, Stephan Hofmeister. „Die KVen haben zahlreiche regional passende Angebote und Strukturen auch an Krankenhäusern bereits eingerichtet. Es muss immer darauf geachtet werden, dass bei der Notfallreform auf diese bestehenden Strukturen aufgebaut wird.“ Die KBV setze auf eine gute Kooperation mit den Krankenhäusern.
Vom Hartmannbund hieß es heute, man nehme „vor allem wohlwollend zur Kenntnis, dass – gegenüber ersten Planungen – die Sicherstellung der Notfallversorgung in ärztlicher Hand bleiben und nicht an die Länder übertragen werden soll“, wie Sprecher Michael Rauscher sagte.
Zu begrüßen sei darüber hinaus, dass der Referentenentwurf eine extrabudgetäre Honorierung der Notfallversorgung vorsehe. Dies begünstige die Chancen, einvernehmlich zu den im Entwurf vorgesehenen Kooperationsvereinbarungen zwischen KVen und Krankenhäusern zum gemeinsamen Betrieb von Integrierten Notfallzentren gelangen zu können.
Trotzdem dürfe man gespannt sein, in welchem Ausmaß es gelinge, die im Referentenentwurf sehr allgemein formulierten Regelungen zu betrieblichen und wirtschaftlichen Aspekten des Betriebes der Integrierten Notfallzentren konfliktfrei umzusetzen, heißt es vom Hartmannbund. In keinem Falle dürften an dieser Stelle entstehende Konflikte auf dem Rücken von Ärzten im ambulanten und stationären Bereich ausgetragen werden.
MB spricht von Konstruktionsmängeln
Ähnlich, doch in Teilen deutlich kritischer, argumentierte der Marburger Bund (MB). Die Idee der INZ folge dem richtigen Ziel einer Zentrierung der Strukturen und einer Koordinierung der Behandlung. Sie habe aber große Konstruktionsmängel, kritisierte die 1. Vorsitzende des MB, Susanne Johna.
Anstatt die bereits bestehenden regionalen Kooperationen zwischen Krankenhäusern und KVen gesetzlich zu flankieren, sollten nun wirtschaftlich und organisatorisch abgetrennte Einrichtungen an den Kliniken entstehen, ohne dass die Krankenhausärzte an der Ausgestaltung beteiligt würden, erklärte Johna.
„Somit sind die Krankenhausärzte gleich doppelt gekniffen. Denn es steht zu befürchten, dass sie einen erheblichen Anteil der Arbeitsbelastung in den INZ schultern müssen, obwohl die fachliche Leitung bei den KVen liegt. So erreicht man keine vertrauensvolle Zusammenarbeit, wie sie gerade in der ambulanten Notfallversorgung unabdingbar ist“, sagte Johna.
Krankenhäusern ohne INZ drohen Abschläge
„Die bestehenden Probleme in der Notfallversorgung löst man auch nicht dadurch, dass Krankenhäuser in Zukunft für Leistungen in ihren Notfallambulanzen bestraft werden, wenn sie kein INZ-Standort sind“, meinte Johna. Kein Krankenhaus könne einen Patienten abweisen, der als Notfall in die Notaufnahme komme.
Nicht immer könne man vor einer Untersuchung und Behandlung entscheiden, ob der Patient danach ambulant weiter betreut werden könne. Deshalb sei es völlig inakzeptabel, Krankenhäuser ohne reguläres INZ mit einem 50-prozentigen Vergütungsabschlag für ambulant erbrachte Notfall-Leistungen zu bestrafen.
Diesen Punkt mahnte auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) an. Sie hält den Referentenentwurf insgesamt für einen Affront gegen die deutschen Krankenhäuser. Deren zentraler Beitrag zur Sicherstellung der Notfallversorgung werde mit diesem Konzept in geradezu diskriminierender Weise den Interessen von Krankenkassen und KVen preisgegeben.
„Statt, wie im ursprünglichen Konzept aus dem BMG noch vorgesehen, den Sicherstellungsauftrag den KVen, die ihn bislang nicht erfüllen konnten, wegzunehmen, sollen diese nun dominant Leistungen, die die Krankenhäuser bislang im Rahmen ihrer ambulanten Notfalleinrichtungen erbracht haben, bestimmen“, erklärte DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum heute in Berlin.
Er kritisierte insbesondere, dass mehrheitlich Krankenkassen und KVen künftig darüber entscheiden würden, an welchen Krankenhausstandorten INZ ambulante Notfallleistungen erbringen dürften. Dabei seien verfassungsrechtlich die Länder für die Krankenhausplanung zuständig. Die Regelung sei ein Kniefall vor dem KV-System. © HK/aerzteblatt.de

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