Politik
Organspende: Leichter Rückgang 2019, Bundestagsentscheidung weiter offen
Montag, 13. Januar 2020
Frankfurt am Main – Die Zahl der Organspender in Deutschland ist im vergangenen Jahr leicht zurückgegangen. Das teilte heute die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) mit. Unterdessen geht die Debatte um die Reform der Organspende weiter: Widerspruchs- oder erweiterte Entscheidungslösung darüber soll am Donnerstag der Bundestag abstimmen.
Der DSO zufolge haben im vergangenen Jahr 932 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet. 2018 waren es 955 Organspender; 2017 kam es mit 731 Spendern zum bisherigen Tiefststand. Deutschland ist mit einer Spenderrate von 11,2 Spendern pro eine Million Einwohner nach wie vor eines der Schlusslichter im europäischen Vergleich.
Bundesweit wurden 2019 in den 46 Transplantationszentren 3.192 Organübertragungen durchgeführt. Deutschland profitierte damit erneut von Organspenden aus dem Ausland. Insgesamt wurde 3.023 schwerkranken Patienten ein oder mehrere Organe übertragen. Im Jahr zuvor gab es in Deutschland 3.264 Organtransplantationen.
Im vergangenen Jahr übermittelte die DSO 2.995 gespendete Organe an die internationale Vermittlungsstelle Eurotransplant (ET). In der Stiftung Eurotransplant arbeiten acht europäische Länder zusammen: Belgien, Deutschland, Kroatien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, Ungarn und Slowenien. Die Kooperation ermöglicht es, die Spenderorgane einem möglichst geeigneten Empfänger zuzuordnen.
Gute Kooperation mit Kliniken
Als erfreulich bezeichnete die DSO die Zusammenarbeit mit den Kliniken. Die Zahl organspendebezogener Kontaktaufnahmen habe mit 3.020 um mehr als sieben Prozent höher gelegen als im Vorjahr. Gleichzeitig waren zum Jahresende mehr als 9.000 Menschen für eine Transplantation registriert.
Die Stiftung erklärte, dass die öffentlichen Diskussionen um die Organspende dazu beitrügen, das Bewusstsein in den Kliniken zu verbessern. Gleichzeitig begännen die strukturellen Maßnahmen, die mit der Reform des Transplantationsgesetzes zum 1. April 2019 verabschiedet wurden, erste Wirkungen zu zeigen, sagte der Medizinische DSO-Vorstand Axel Rahmel.
Die DSO warb heute erneut für die Einführung einer Widerspruchslösung. Sie würde die Auseinandersetzung mit der Organspende am besten fördern. Bei der derzeit gültigen Entscheidungslösung seien es mehrheitlich die Angehörigen, auf denen die Bürde einer Entscheidung laste.
Eine schriftliche Willensbekundung liegt laut DOS derzeit nur bei 15 Prozent der möglichen Organspender vor. In rund 40 Prozent entschieden die Angehörigen nach dem mutmaßlichen Willen des Verstorbenen und in rund 19 Prozent nach ihren eigenen Wertvorstellungen. „Der Anteil der Ablehnung einer Organspende ist im letztgenannten Fall besonders hoch“, teilte die DSO mit. 2019 beruhten 41 Prozent der Ablehnungen auf einer alleinigen Entscheidung der Angehörigen.
Abstimmungsergebnis offen
Der Bundestag will am Donnerstag frei jedes Fraktionszwanges über die Gesetzentwürfe zur Organspende abstimmen. Für die Debatte stehen zwei Stunden zur Verfügung, es wird mindestens zwei namentliche Abstimmungen geben.
Bei der Widerspruchslösung geht man davon aus, dass grundsätzlich jeder Bürger ein potenzieller Organspender ist – außer, er hat ausdrücklich widersprochen. Bei der Alternative, der erweiterten Entscheidungslösung, können nur dann Organe und Gewebe entnommen werden, wenn die verstorbene Person einer Organspende zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt hat. Die AfD-Fraktion verlangt zudem in einem weiteren Antrag eine Vertrauenslösung für die Organspende.
Bei der abschließenden Abstimmung im Parlament zeichnet sich ein knappes Rennen ab. Befürworter der Entscheidungslösung und Anhänger Widerspruchslösung unter den Abgeordneten halten sich bislang die Waage. Laut der Neuen Osnabrücker Zeitung wollen von den 709 Parlamentariern bisher 252 für die Widerspruchslösung stimmen, den Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) propagieren.
Dagegen befürworten 221 Abgeordnete den Entwurf von Grünen-Chefin Annalena Baerbock und Linken-Chefin Katja Kipping, der eine ausdrückliche Zustimmung des Spenders fordert und zugleich eine bessere Information der Bürger vorsieht. Der dritte Entwurf, den die AfD vorgelegt hat, gilt als chancenlos.
Viele sind unentschlossen
Viele Abgeordnete sind aber auch noch immer unentschlossen. Befürworter von Widerspruchs- und Entscheidungslösung werben derzeit mit Briefen und Interviews um ihre Stimmen. Auch Spahn versandte nochmals Briefe an die Abgeordneten. Der Bild am Sonntag sagte er: „Mehrere tausend Patienten verlieren in Deutschland jedes Jahr aufgrund fehlender Spenderorgane ihr Leben.“
Dazu zählten nicht nur die, die bereits auf der Warteliste für ein Spenderorgan stünden, aber nicht rechtzeitig eine Spende erhielten. „Hinzu kommen diejenigen, die gar nicht erst auf der Liste aufgenommen werden, weil sie ohnehin kaum Chancen auf ein Spenderorgan haben“, so der CDU-Politiker: „Und außerdem diejenigen, die nach langem Warten so krank geworden sind, dass sie wieder abgemeldet werden. Das ist eine humanitäre Katastrophe.“
Auch Karl Lauterbach, Gesundheitspolitiker der SPD, spricht sich seit Jahren für die radikalere Lösung einer Widerspruchslösung bei Organspende aus. „Sie ist die einzige Möglichkeit die Zahl der gespendeten Organe zu erhöhen“, sagte er heute vor der Presse im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages. Alle anderen Versuche seien gescheitert.
Die Selbstbestimmung der Bürger werde durch die Regelung nicht eingeschränkt, betonte er. Da die Mehrzahl der Bürger, nämlich 85 Prozent, spendebereit sei, sei der Weg einer Widerspruchslösung unbürokratischer. Die Widerspruchslösung sei zudem zuverlässig und wenig anfällig für Fehler, Aussagen seien jederzeit widerrufbar. Lauterbach verwies auf europäische Nachbarländer, in denen die Widerspruchslösung bereits gelte: „Dort hat ihre Einführung auch zu keiner Verletzung der Grundrechte geführt, obwohl diese Länder eine ähnliche Verfassung wie wir haben“, betonte er.
Für den ehemaligen Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) verstößt die Widerspruchslösung jedoch gegen das in der Verfassung verbriefte Selbstbestimmungsrecht. „Ich wünsche mir, dass sich jeder Mensch mit dem Thema Organspende beschäftigt“, sagte der CDU-Politiker gestern im Bericht aus Berlin, „aber wer das nicht tut, (...) der verliert nicht plötzlich sein Selbstbestimmungsrecht und wird gleichsam nach dem Tode zum Gemeineigentum, dessen Organe zur Verfügung gestellt werden können.“ Eine Organspende müsse eine Spende bleiben.
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Linken-Chefin Katja Kipping verwies dagegen in der Bild am Sonntag auf rechtliche Probleme. „Die Widerspruchsregelung ersetzt die bewusste und informierte Zustimmung durch eine sogenannte ,fiktive Zustimmung', die einfach angenommen wird, sobald kein dokumentierter Widerspruch aufgefunden wird.“ Das sorge für Misstrauen und weiteren Ängsten gegenüber dem Organspendesystem.
„Grundsätzlich bedeutet Schweigen nicht Zustimmung“, erklärte auch Kirsten Kappert-Gonther von der Grünen-Fraktion, die den Brief der Abgeordneten unterzeichnete, die für eine Entscheidungslösung plädieren. In diesem heißt es, der Ansatz der Widerspruchslösung „setzt auf die Trägheit oder Entscheidungsunfähigkeit der Menschen und nimmt Angehörigen die Möglichkeit der Entscheidung“.
FDP-Chef Christian Lindner ist ebenfalls gegen die Widerspruchslösung. „Ich habe einen Organspendeausweis und werbe dafür, dass sich mehr Menschen zu einer Organspende bereit erklären. Dies ist allerdings eine höchst persönliche Entscheidung, die bewusst getroffen werden sollte.“ Die Menschen sollten stattdessen regelmäßig nach ihrer Spendenbereitschaft gefragt und daran erinnert werden, ihre Entscheidung in einem Spenderregister zu dokumentieren.
Im Bundeskabinett gibt es laut Welt am Sonntag klare Prioritäten für die Widerspruchslösung. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sei das einzige Kabinettsmitglied, das gegen den Spahn-Entwurf stimmen will.
Dagegen haben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Außenminister Heiko Maas (SPD), Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), Forschungsministerin Anja Karliczek und Kanzleramtsminister Helge Braun (beide CDU) sowie die CSU-Minister Gerd Müller (Entwicklung) und Andreas Scheuer (Verkehr) den Gesetzentwurf für eine Widerspruchslösung unterschrieben.
In der Bevölkerung gibt es derzeit keine klaren Mehrheiten. Laut einer Kantar-Umfrage im Auftrag der Bild am Sonntag sind 49 Prozent der Meinung, dass Organspenden nur erlaubt sein sollten, wenn der Verstorbene sich zu Lebzeiten eindeutig dafür ausgesprochen hat (Zustimmungslösung). Ebenfalls 49 Prozent finden hingegen, dass es reicht, wenn sich der Verstorbene zu Lebzeiten nicht ausdrücklich dagegen ausgesprochen hat (Widerspruchslösung). © dpa/kna/afp/ER/aerzteblatt.de

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