Medizin
Nichtinvasive Pränataltests: Warum diagnostische Tests oft fehlinterpretiert werden
Mittwoch, 29. Januar 2020
Köln – Diagnostische Tests sollen Ärzten und Patienten bei der Entscheidungsfindung helfen. Um die Genauigkeit der Tests zu erfassen, werden meist die Spezifität oder die Sensitivität kommuniziert – so auch bei nichtinvasiven Pränataltests (NIPT).
Weit seltener ist die Rede vom prädiktiven Vorhersagewert. Dabei hätte vor allem der positiv prädiktive Wert bei diesem Bluttest für Schwangere „eine wesentliche Bedeutung“, sagt Klaus Koch vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblatts.
Sensitivität und Spezifität hätten ihre Berechtigung, würden aber oft fehlinterpretiert, warnt Koch. „Ohne ausführliche Erläuterung führen sie leicht dazu, dass ein Test überschätzt wird und weitere Untersuchungen deshalb als überflüssig angesehen werden.“
Im Falle des NIPT, für den Krankenkassen künftig bei Risikoschwangerschaften die Kosten übernehmen werden, ist daher eine detaillierte Patienteninformation beim IQWiG in Arbeit. Ein Vorbericht mit dem Entwurf dieser Versicherteninformation zur Stellungnahme soll laut IQWiG in den kommenden Wochen erscheinen.
Die Sensitivität eines klinischen Tests bezieht sich auf die Fähigkeit des Tests, die Patienten mit einer Krankheit korrekt zu identifizieren (richtig-positiv). Die Spezifität eines klinischen Tests gibt dagegen die Fähigkeit des Tests an, die Patienten ohne die Krankheit korrekt zu identifizieren (richtig-negativ).
Der prädiktive Vorhersagewert trifft im Gegensatz dazu eine Aussage über die Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient bei positivem Testergebnis auch wirklich krank ist und bei negativem Ergebnis gesund. Dafür wird die Prävalenz der Erkrankung hinzugezogen, die abhängig vom Alter oder anderen Faktoren schwanken kann. Diese zusätzliche Variable führt bei diagnostischen Tests zu stark abweichenden Risikowerten.
Ein Beispiel: Der NIPT erreicht bei gesunden Kindern von Schwangeren in 99,91 % der Fälle ein richtig-negatives Testergebnis für das Trisomie-21-Risiko – unabhängig vom Alter (Spezifität). Die Sensitivität liegt bei 99,2 % (richtig-positive Ergebnisse bei Schwangeren für Trisomie-21 des Kindes).
Anbieter von NIPT-Tests kommunizieren fast ausschließlich diese beiden Werte. Auch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) argumentiere einzig über Sensitivität und Spezifität, kritisiert Alexander Weichert, Perinatalmediziner an der Charité Berlin – Campus Virchow-Klinikum. „Prävalenz in Abhängigkeit vom mütterlichen Alter bleiben im G-BA-Beschluss zum NIPT unerwähnt. Dabei spielen sie eine entscheidende Rolle.“
Der Berufsverband niedergelassener Pränatalmediziner (BVNP) ist mit dem G-BA-Beschluss nicht zufrieden: Die praktische Aussagekraft des Bluttests in dieser Form sei deutlich geringer als darin kommuniziert.
Pränataldiagnostiker sehen gravierende Mängel im G-BA-Beschluss zum pränatalen Bluttest
Hürth/Berlin – Der Berufsverband niedergelassener Pränatalmediziner (BVNP) hat den Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zur Änderung der Mutterschaftsrichtlinien kritisiert. Die praktische Aussagekraft des Bluttests in dieser Form sei deutlich geringer als darin kommuniziert, so der BVNP. Die Pränataldiagnostiker fordern, dass neben den nichtinvasiven pränatalen Tests (NIPT) [...]
Selbst einer der Anbieter (Harmony, Roche Diagnostics) bestätigt auf Anfrage: „Grundsätzlich ist der positiv prädiktive Wert (PPV) in der Beschreibung des Risikos aussagekräftiger als Spezifität und Sensitivität.“ Die Berechnung des PPV sei jedoch abhängig vom Vortestrisiko (beispielsweise Alter der Frau, andere Risikofaktoren) und müsse sehr individuell berechnet und besprochen werden. Im White Paper des Unternehmens zum Test findet man eine Tabelle dazu.
Die Eurofins LifeCodexx GmbH betont hingegen auf Anfrage und auch in seinem Faktenblatt, dass der PraenaTest mit der Zielsetzung entwickelt wurde, einen negativen prädiktiven Wert nahe 100 % über alle Kollektive aufzuweisen, um somit die Schwangeren mit einem negativen Testergebnis sicher entlasten zu können. „Sein hoher negativer prädiktiver Wert kann zudem helfen, unnötige invasive Eingriffe zu verhindern.“
Gerade für NIPT sei daher der prädiktive Wert ein wichtiger Parameter für die genetische Beratung von Schwangeren, da er aufzeigt, wie zuverlässig ein negatives oder positives Testergebnis für zum Beispiel Niedrig- oder Hochrisikokollektive sei. Der Testhersteller schreibt aber auch, dass der PPV in Abhängigkeit von Prävalenz und Alter variiere – ohne dies jedoch zu bewerten.
Das Deutsche Ärzteblatt hat 3 von 6 NIPT-Anbietern angefragt.
Positiv-prädiktiver Wert für Trisomie 21 bei jungen Schwangeren unter 50 %
Tatsächlich zeigt sich in Abhängigkeit des Alters eine weit schlechtere Vorhersagekraft, als es Sensitivität und Spezifität vermuten lassen. Die Prävalenz der Trisomie 21 in der 16. Schwangerschaftswoche für eine Frau im Alter von 20 Jahren beträgt 1 von 1.177 Frauen.
Bei einem positiven Test auf Trisomie 21 liegt die Wahrscheinlichkeit, dass das Testergebnis richtig-positiv ist bei nur 48 % (PPV, positiv prädiktiver Wert). Ist das Testergebnis negativ, ist es mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 99 % tatsächlich korrekt (Quelle: NIPT-Rechner).
Risiken mit der Vierfeldertafel berechnen
Test positiv: a (ja) – b (nein)
Test negativ: c (ja) – d (nein)
Sensitivität (Sens.) = a/(a+c)
Spezifität (Spez.) = d/(b + d)
PPV = (Sens. x Prävalenz) / ((Sens. x Prävalenz) + (1 - Spez.)(1 - Prävalenz))
NPV = Spez. x (1 - Prävalenz) / ((1 - Sens) x Prävalenz + Spez. x (1 - Prävalenz))
„Beim NIPT hat insbesondere der positiv-prädiktive Wert eine wesentliche Bedeutung, weil er die Aussage vermittelt, dass ein positiver NIPT keine sichere Diagnose ist“, erklärt Koch. Je nach Risiko der Frau weise ein erheblicher Teil der Kinder trotz positivem Ergebnis doch keine Trisomie auf. Zur Abklärung seien daher weitere Untersuchungen nötig.
„Nach dem Test muss jede Frau mit einem positiven Testbefund verstehen, dass das Ergebnis falsch sein kann und ihr Kind unter Umständen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit keine Trisomie aufweisen wird.“
Roche Diagnostics teilt mit, dass positive Testergebnisse „immer durch diagnostische Verfahren, wie zum Beispiel eine Fruchtwasseruntersuchung, bestätigt werden“ müssten.
Mit zunehmendem Alter steigt auch der PPV. Denn mit zunehmendem Alter steigt auch die Prävalenz einer Trisomie. Die Prävalenz der Trisomie 21 in der 16. Schwangerschaftswoche bei einer 40 Jahre alten Frau beträgt 1 zu 86. Bei einem positiven Test auf Trisomie 21 liegt die Wahrscheinlichkeit, dass das Testergebnis richtig-positiv ist bei 93 % (PPV).
Trisomie 18- und 13-Test nur selten richtig-positiv bei jungen Schwangeren
Weit weniger aussagekräftig sind positive Ergebnisse des Bluttests für Trisomie 18 und 13. Während Spezifität und Sensitivität unabhängig vom Alter bei 99,87 % beziehungsweise 96,3 % liegen, zeigt der PPV auch hier weit niedrigere Werte.
Für eine 20 Jahre alte schwangere Frau liegt die Prävalenz, ein Kind mit Trisomie 18 zu bekommen, bei 1 zu 4.584. Bei einem positiven Test auf Trisomie 18 liegt die Wahrscheinlichkeit, dass das Testergebnis richtig-positiv ist bei 14 % (PPV), für Trisomie 13 sogar nur bei 6 %.
Für eine Frau im Alter von 40 Jahren steigt der PPV auf 69 % – fast jedes dritte Kind ist demnach bei Geburt trotz positivem Ergebnis doch nicht krank.
Seitdem der NIPT immer günstiger wird, erleben wir zudem regelmäßig schwangere Frauen, die einen NIPT ohne humangenetische Beratung über die Aussagekraft und Limitationen und ohne differenzierten vorherigen Ultraschall haben durchführen lassen.Alexander Weichert, Klinik für Geburtsmedizin, Charité Berlin
Trotz der schlechten Vorhersagekraft in bestimmten Altersgruppen hält der Berliner Perinatalmediziner Weichert von der Klinik für Geburtsmedizin der Charité Berlin den NIPT für einen „hervorragenden Test“.
„Es gibt jedoch diverse Fallstricke. Das tatsächliche Risiko wird in der Öffentlichkeit und auch von Herstellern oft nicht realistisch kommuniziert.“ Viele Schwangere würden den Bluttest als Alternative zu Ultraschalluntersuchungen verstehen, obwohl weit mehr als nur das Trisomierisiko untersucht werde, berichtet der Ultraschallexperte.
„Seitdem der NIPT immer günstiger wird, erleben wir zudem regelmäßig schwangere Frauen, die einen NIPT ohne humangenetische Beratung über die Aussagekraft und Limitationen und ohne differenzierten vorherigen Ultraschall haben durchführen lassen.“
Im Falle eines auffälligen Ultraschalls sei weiterhin die invasive Abklärung mittels Fruchtwasserentnahme (Amniozentese) indiziert, sofern die Schwangere das Recht auf Wissen wahrnehmen möchte.
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Weichert plädiert daher dafür neben den „oft irreführenden Werten für Spezifität und Sensitivität“ auch den prädiktiven Wert zu vermitteln. Dieser prävalenzabhängige Vorhersagewert sei nicht nur im Falle eines NIPT aussagekräftiger für Ärzte und Patienten.
Zudem ist Weichert der Ansicht, dass ausschließlich Experten die komplexen Ergebnisse des nichtinvasiven Pränataltests vermitteln sollten. Eine gute Aufklärung über das tatsächliche Risiko und die Aussagekraft statischer Risikowerte sei essenziell, um Kurzschlussreaktionen wie etwa einen Schwangerschaftsabbruch zu vermeiden.

Aussagekraft bei Altersangabe wenn Eizellspende

Statistik für Ärzte
"Die Eurofins LifeCodexx GmbH betont hingegen auf Anfrage, dass der PraenaTest mit der Zielsetzung entwickelt wurde, einen negativen prädiktiven Wert nahe 100 % über alle Kollektive aufzuweisen, um somit die Schwangeren mit einem negativen Testergebnis sicher entlasten zu können." - genau darum geht es. Bei den im Artikel genannten Zahlen fehlen noch die Angaben zu den jeweiligen Mengen: bei wie viel Frauen im Alter von xx Jahren fällt der Test negativ bzw. positiv aus?
Bei einer ICSI, Alter über 40 Jahre, im 2. Versuch schwanger, keine PID, da diese in Deutschland nur in Ausnahmefällen möglich ist konnte bisher nur eine Fruchtwasseruntersuchung das bestehende hohe Risiko einer Trisomie 21 verifizieren. Mit dem Risiko, die mühsam herbeigeführte Schwangerschaft dabei zu beenden. Der Präna-Test ist in diesen Fällen ein Segen, da ein negatives Testergebnis eine Trisomie 21 praktisch ausschließt. Damit können viele Fruchtwasseruntersuchungen entfallen.
@ Heli Lange:
Wie genau findet eine "ungefragte Ultraschall-Untersuchung" statt? In Narkose?

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