Politik
Medizinproduktegesetz: Experten sehen Nachbesserungsbedarf in einzelnen Punkten
Mittwoch, 15. Januar 2020
Berlin – Der Entwurf des Medizinprodukte-Anpassungsgesetzes stößt bei Gesundheitsexperten grundsätzlich auf Zustimmung. Nachbesserungsbedarf in einzelnen Punkten mahnten sie jedoch heute in Berlin bei einer Anhörung vor dem Gesundheitsausschuss des Bundestages an.
Der Gesetzentwurf sieht unter anderem vor, dass künftig nicht mehr die Bundesländer, sondern die Bundesoberbehörden, also das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), die Anwendung von unsicheren oder fehlerhaften Medizinprodukten einschränken oder verbieten können.
Diese neue Kompetenzverteilung sei positiv, erklärte der GKV-Spitzenverband bei der Anhörung. Dadurch werde ein bundeseinheitliches Vorgehen geschaffen, nicht nur bei der Bewertung der Risiken von Medizinprodukten, sondern auch bei den Konsequenzen, die daraus erwachsen. Allerdings müsse bei der Bundesoberbehörde ausreichend qualifiziertes Personal aufgebaut werden, mahnten die Kassen.
Meldekultur bei möglichen Produktschäden verbesserungsbedürftig
Nachbesserungsbedarf gebe es auch bei den Regelungen zur Patientensicherheit. Das betreffe vor allem die Pflicht von Ärzten und Krankenhäusern, Behörden und Krankenkassen mögliche Schädigungen von Patienten durch Medizinprodukte zu melden.
„Die Meldekultur in Deutschland ist stark verbesserungsbedürftig“, erklärte ein Vertreter des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen (MDS). Zwar bestehe schon jetzt eine Meldepflicht von Verdachtsfällen. Es sei aber folgenlos, wenn man dieser nicht nachkomme.
Die angekündigte Rechtsverordnung flankierend zum Gesetzentwurf müsse eine Wende einleiten. Um Meldungen zu fördern, könne zum Beispiel ein verbindliches Feedback an die Meldenden eigeführt werden. Denkbar seien aber auch Sanktionen, wenn Verdachtsfälle nicht gemeldet würden.
Um die Transparenz bei Produktschäden zu verbessern, forderten die Krankenkassen zudem, Angaben über die verwendeten Medizinprodukte in die Abrechnungsdaten von Ärzten und Krankenhäusern aufzunehmen. Das verbessere auch die Erreichbarkeit der betroffenen Patienten.
Sonderzulassungen auf Einzelfälle beschränken
Kritik übten die Krankenkassen an der geplanten Ausweitung von Sonderzulassungen von Medizinprodukten durch die Bundesoberbehörden. Künftig sollen den Kassen zufolge ganze Produktgruppen ohne Konformitätsbewertung durch sogenannte Benannte Stellen wie TÜV oder Dekra auf den Markt kommen können.
Der MDS forderte, Sonderzulassungen auf sehr seltene Fälle zu begrenzen. Dazu müsse der Gesetzgeber genaue Kriterien definieren, möglichst eine Befristung vorsehen und vollständige Transparenz über die Vergabe von Sonderzulassungen herstellen. Bislang sind nach Kassenangaben Sonderzulassungen nur in eng begrenzten Produktbereichen ausgesprochen worden, vor allem für herzkranke Kinder.
Skepsis bei kleinen und mittleren Unternehmen
Insbesondere kleine und mittlere Medizinprodukteunternehmen sehen die vorgesehenen regulatorischen Verschärfungen und erhöhten Anforderungen an die Zulassung von Medizinprodukten mit Skepsis.
Der Bundesverband Medizintechnologie schätzt, dass aufgrund dessen zehn bis 15 Prozent der Unternehmen und entsprechend viele Produkte vom Markt verschwinden werden. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag appellierte an den Gesetzgeber, nationale Ermessensspielräume zu nutzen, um mittelstandsfreundliche Regelungen zu finden.
Rolle der Ethikkommissionen stärken
Die Bundesärztekammer und der Arbeitskreis Medizinischer Ethik-Kommissionen begrüßten den Gesetzentwurf. So sei es im Sinne der Probandensicherheit, dass ein klares Verfahren zur Einbeziehung der Ethikkommissionen vor klinischen Prüfungen von Medizinprodukten vorgesehen werde, erklärten beide Organisationen.
Sie bemängelten aber zugleich, dass die Kommissionen bei Änderungen des Prüfplans nicht mehr beteiligt würden. Das müsse nachgebessert werden. Außerdem sei die Frist von fünf Tagen für ein Votum zu kurz bemessen.
Mit dem Medizinprodukte-Anpassungsgesetz werden in erster Linie nationale Vorschriften an die Medizinprodukte-Verordnung (Medical Device Regulation, MDR) der Europäischen Union (EU) angeglichen. Diese trat mit einer Übergangsfrist von drei Jahren im Mai 2017 in Kraft und gilt entsprechend ab Mai dieses Jahres in allen Mitgliedstaaten unmittelbar.
Ziel der Verordnung ist es, das Medizinprodukterecht in Europa zu vereinheitlichen und für mehr Patientensicherheit zu sorgen. Hintergrund sind Skandale wie der um fehlerhafte Brustimplantate, der 2010 die Schlagzeilen beherrschte und bis heute die Gerichte beschäftigt.
Die MDR sieht unter anderem unangemeldete Kontrollen bei den Herstellern, zusätzliche Prüfverfahren und eine bessere Rückverfolgbarkeit von risikoreichen Medizinprodukten wie Implantaten und Stents vor.
Von 58 Benannten Stellen sind erst neun bestätigt
Kritik gibt es seit längerem an der Umsetzbarkeit des Regelwerks, die auch bei der Anhörung wieder aufgegriffen wurde. Nach der MDR müssen alle Medizinprodukte neu zertifiziert werden, auch diejenigen Produkte, die sich bereits länger auf dem Markt befinden.
Zugleich müssen auch die europaweit 58 Benannten Stellen, die wie TÜV oder Dekra für die Zertifizierung der Produkte zuständig sind, selbst einen Zertifizierungsprozess durchlaufen, um zu belegen, dass sie den verschärften Anforderungen der MDR entsprechen. Bislang sind jedoch erst neun nach neuem Recht bestätigt.
Auch die Europäische Datenbank für Medizinprodukte (Eudamed) wird wohl erst 2022 voll funktionsfähig sein. Dort sollen künftig sämtliche Medizinprodukte, deren Hersteller, Zertifikate samt Benannten Stellen, die diese erteilt haben, Daten zu klinischen Prüfungen, schwerwiegende Ereignisse sowie behördliche Maßnahmen der Marktüberwachung gelistet werden. © HK/aerzteblatt.de

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