Politik
Forscher sehen keine Gefahr durch Arzneimittelrückstände im Trinkwasser
Donnerstag, 16. Januar 2020
Berlin – Arzneimittel gelangen aufgrund von Ausscheidungen, aber auch durch unsachgemäße Entsorgung in Gewässer und das Grundwasser. Eine Gesundheitsgefährdung für Menschen besteht Wissenschaftlern zufolge aber im Augenblick nicht. Das zeigt ein neuer Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Bundestag.
„Bei der Diskussion, ob Arzneistoffe im Wasser eine Gefährdung darstellen, sind die möglichen Auswirkungen auf Menschen und ihre Gesundheit von denen auf andere Lebewesen zu unterscheiden“, schreiben sie. Es gebe aktuell keine Hinweise für eine akute oder chronische Gesundheitsgefährdung von Menschen durch Arzneistoffe im Trinkwasser.
Die Autoren berichten aber auch, dass Vorkommen und Konzentrationen pharmazeutischer Wirkstoffe in der Umwelt und insbesondere in Gewässern bislang in Deutschland nicht flächendeckend systematisch überwacht werden. Stichprobenuntersuchungen und Schätzungen würden auf einen Anstieg von Arzneimittelrückständen und anderen Mikroverunreinigungen in Gewässern und im Trinkwasser hinweisen.
Dennoch sei die Thematik relevant, da Mikroverunreinigungen durch Arzneimittelrückstände tendenziell zunähmen und chronische Gesundheitsgefährdungen auch bei Exposition mit sehr geringen Konzentrationen auftreten könnten.
Daher sei besondere Wachsamkeit bei Risikogruppen wie ungeborenem Leben, Kleinkindern, Heranwachsenden sowie älteren Menschen geboten, so die Autoren des Berichtes. © hil/aerzteblatt.de

Inakzeptable Verharmlosung möglicher Gesundheitsschäden durch Schadstoffe wie Arzneimittel im Trinkwasser
Die Behauptung der Überschrift , dass durch die Arzneimittelrückstände keine Gefahren bestünden, vernachlässigt völlig die folgenden toxikologischen Punkte:
Wir haben bei etwa 98% der Stoffe einfach keine ausreichende Forschung und damit keine Grenzwerte.
Wir haben es in der Umwelt fast immer mit Stoffgemischen und nicht mit Einzelsubstanzen zu tun. Leider beurteilen fast alle Vorschriften nur einzelne Stoffe. Beispielsweise nennt die Trinkwasser Verordnung nur Einzelgrenzwerte wie Chrom, Nickel, Nitrat usw.. Es ist aber auch für Laien verständlich, dass es einen Unterschied macht, ob ein Körper nur 1 Schadstoff verarbeiten muss oder mehrere Hundert. 2 und mehr Schadstoffe wirken leider fast immer zumindest additiv, sind also gemeinsam deutlich gesundheitsschädlicher. (Und einige Substanzen arbeiten sogar potenzierend zusammen. Beispielsweise verzehnfachen Asbest und Rauchen die Gefahr von Lungenkrebs. )
Es gibt für besonders empfindliche Personengruppen wie z.B. Schwangere oder Babys überhaupt keine Grenzwerte.
Viele Schadstoffe (wie z.B. Bisphenol A in Lebensmittelverpackungen) wirken hormonähnlich in allerniedrigsten Konzentrationen schädlich.
Zuletzt gibt es für krebserzeugende (und mutagene und reproduktionstoxische) Schadstoffe (wie z.B. bestimmte Schwermetalle oder PAKs) nur einen einzigen sicheren Grenzwert und der ist 0. Jede Aufnahme dieser Substanzen in den menschlichen Körper ist also immer mit einem Krebsrisiko verbunden.
Der "Cocktail" von Arzneimitteln, Röntgenkontrastmitteln, endokrinen Disruptoren und anderen Umweltschadstoffen z.B. bei Trinkwasser aus Flussuferfiltraten kann also selbstverständlich toxikologisch durchaus relevante Auswirkungen auf den menschlichen Körper haben. Langzeitschäden (vor allem aus dem Gefahrstoff CMR Bereich) entstehen halt erst in Jahren bis Jahrzehnten. Und in der Trinkwasser Verordnung wird nur auf knapp 40 Schadstoffe bzw. einzelne Schadstoffgruppen geprüft.
Auch die Stiftung Warentest hat in Ihrer Veröffentlichung 7/2019 zum Trinkwasser eine unzureichende Gesamtschau erstellt.
Ich habe der Stiftung Warentest daraufhin folgende Mail geschickt:
"Ihr im allgemeinen sehr fundierter Bericht zu Mineralwässern und Trinkwasser ist aus ärztlich-toxikologischer Sicht bezüglich etwaiger Schadstoffe (wie Schwermetalle / Pestizide / Medikamente / Röntgenkontrastmittel / etc.) leider verharmlosend und sehr "grenzwertgläubig". Einerseits betrachten (fast) alle Gefahrstoff-Grenzwerte im Umweltrecht nur Einzelstoffe. Und für die in der EU käuflichen über ca. 70.000 Substanzen gibt es nur für weit unter 1.000 Stoffe halbwegs verlässliche Grenzwerte. Für den Großteil der Gefahrstoffe gibt es überhaupt keine ausreichenden Daten zu etwaigen Gesundheitsgefahren. In den Untersuchungen z.B. auf Basis der Trinkwasser Verordnung wird nur auf einen Bruchteil der möglichen Schadstoffe hin geprüft. Von daher ist die Aussage ("nach Trinkwasserverordnung okay") völlig unzureichend. Für Kranke, Schwangere, Kinder und Ältere gibt es überhaupt keine Grenzwerte. Zum zweiten vernachlässigen alle Grenzwertkonzepte die Schadstoff-Kombinationswirkungen, was völlig wirklichkeitsfremd ist. Und bei vielen Gefahrstoffgemischen ist zumindest von einer sogenannten additiven wenn nicht sogar potenzierenden negativen Gesundheitswirkung auszugehen. Ursachen sind hier u.a. die etwaigen Überforderung der körpereigenen "Schadstoffverarbeitungs- und Reparatursysteme" (z.B. im Leber- und Chromosomenbereich). Zum dritten gibt es für hormonähnliche Stoffe (Stichwort endokrine Disruptoren) keine verlässlichen Grenzwerte. Man weiß nur, dass Sie in extrem niedrigen Konzentrationen (bis in den Nanogrammbereich) negativ wirken können. Und zuletzt gibt es für sogenannte CMR-Substanzen (krebserzeugend / mutagen / reproduktionstoxisch) wie die genannten und im Trinkwasser von Ihnen gefundenen Stoffe (Chrom VI / Trihalogenmethane / Arsen / einige Pflanzenschutzmittel / etc.) nur einen einzigen sicheren Grenzwert und der ist "0". Jeder Nachweis eines dieser Substanzen erhöht also die potentielle Gesundheitsgefährdung.
Von daher hätte ich mir von der Stiftung Warentest in der Zusammenfassung eine etwas kritischere Darstellung auch dieser zahlreichen offenen Punkte gewünscht. Ziel muss immer das sogenannte Gefahrstoff-Minimierungsgebot sein, was Sie ja auch in Ihrer Zusatzinformation ("So schützen Sie unser Trinkwasser") korrekt mit aufgenommen haben. Man muss den Eintrag etwaiger Schadstoffe in die Luft, die Böden und damit in das Trinkwasser (durch Landwirtschaft / Industrie / Fahrzeuge / Haushalte etc.) unbedingt vermeiden oder zumindest maximal reduzieren. Ein nachträgliches "Herausfiltern" in den Kläranlagen ist entweder extrem teuer oder für die meisten Stoffe überhaupt nicht möglich. Und die von den Trinkwasserversorgern geübte Praxis, etwaig über den Grenzwerten mit Schadstoffen belastetes Wasser so lange mit völlig sauberem Wasser zu mischen, bis diese (teils unzureichenden) Grenzwerte endlich unterschritten werden, kann ja wohl auch nicht die richtige Lösung sein. Jeder hat ein Anrecht auf ein unbelastetes und gesundheitlich zuträgliches Wasser.......
Generell finde ich es nach über 35 Berufsjahren als Facharzt für Arbeitsmedizin und Gefahrstoffexperte nicht mehr akzeptabel, dass man sich vor allem von Aufsichtsseite (Bundes- und Landes-Ministerien / Unfallversicherungsträger / etc.) hinter diesem unsäglichen und völlig unzureichenden Grenzwertsystem versteckt. Die Grenzwerte (wenn es denn überhaupt welche gibt) kennen im Verlauf der Jahrzehnte nur eine Richtung, nämlich nach unten mit Reduzierungen teils um 10er Potenzen (Motto: "Uups, die Substanz war wohl doch gefährlicher als wir dachten").
Ich habe als Arzt leider mittlerweile genügend Erkrankungen bis hin zum Tod bei meinen Patienten miterleben müssen, die man bei einem ordentlichen Gesundheits- und Arbeitsschutz häufig hätte verhindern können.
Und die weiteren Mängel im Gefahrstoffbewertungssystem (z.B. im CMR Bereich oder die fehlende Wertung einer Mischexposition) sind Ihren Fachredakteuren und vor allem Ihren toxikologischen Fachberatern ja allesamt bekannt."
Im Anschluss an meine Mail hatte ich noch einen sehr lösungsorientierten Gedankenaustausch mit der Warentest Chefredaktion, die eine Berücksichtigung dieser ärztlich-toxikologischen Punkte bei zukünftigen Veröffentlichungen vornehmen wollte.
Dr. med. Joern-Helge Bolle / Facharzt für Arbeitsmedizin

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