Politik
Patienten der Intensivmedizin und Infektiologie profitieren von Telemedizin
Dienstag, 21. Januar 2020
Düsseldorf – Die Zusammenarbeit in einem sektorenübergreifenden telemedizinischen Netzwerk bei der Versorgung von Patienten in der Intensivmedizin und Infektiologie führt zu einer deutlichen Steigerung der Behandlungsqualität.
Das lässt sich ersten Ergebnissen der Projektevaluation zum Innovationsfondsprojekt TELnet@NRW entnehmen, die gestern im Haus der Ärzteschaft in Düsseldorf zum Abschluss der dreijährigen Förderphase vorgestellt wurde.
In das Projekt wurden mehr als 159.000 Patienten eingeschlossen und mehr als 4.600 Patienten telemedizinisch betreut. „TELnet@NRW ist damit die größte Telemedizinstudie Europas“, betonte der Konsortialführer des Projekts, Gernot Marx, Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care an der Uniklin RWTH Aachen. Damit sei TELnet „per se ein Meilenstein in der Geschichte der Telemedizin“.
Neben den Unikliniken Aachen und Münster als Expertenzentren haben sich an dem Projekt 17 Krankenhäuser und zwei große Ärztenetze mit mehr als hundert teilnehmenden Haus- und Fachärzten beteiligt, die über eine gemeinsame digitale Infrastruktur sowie durch Schulungen, Telekonsile und strukturierte Televisiten auf die Expertise der Zentren zugreifen konnten.
Laut Wolfgang Greiner, Gesundheitsökonom an der Universität Bielefeld und Leiter der Projektevaluation, wurden zwischen April 2017 und September 2019 knapp 149.000 Patienten aus dem ambulanten und circa 10.500 Patienten aus dem stationären Bereich einbezogen.
Grundlage der Evaluation, einer Cluster-randomisierten Studie im Stepped-Wedge-Design, waren neben Primärdaten ebenso Abrechnungsdaten der Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) Nordrhein und Westfalen-Lippe. Greiner zufolge stieg durch Telekonsile sowohl für die Patienten im ambulanten als auch im stationären Bereich die Wahrscheinlichkeit, dass sie gemäß den Choosing-Wisely-Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI) behandelt wurden.
Leitliniengerechte Behandlung
So lautet etwa die Empfehlung der DGI, dass bei unkomplizierten Atemwegsinfektionen auf Antibiotika verzichtet werden soll. Die Chance, gemäß dieser Vorgabe behandelt zu werden, lag in der Interventionsgruppe mehr als 30 Prozent höher als in der Kontrollgruppe.
„Das ist statistisch signifikant und wird maßgeblich dadurch beeinflusst, wie viele Telekonsile der Arzt schon gemacht hat“, erläuterte Greiner. So ließ sich die Einhaltung dieses Kriteriums von einer guten Ausgangssituation von 86 Prozent auf immerhin bis zu 94 Prozent steigern.
Auch bei der asymptomatischen Bakteriurie, die vor allem im ambulanten Bereich eine große Rolle spielt, zeigten sich Greiner zufolge ähnliche Effekte: Für Telemedizin-Patienten in der Interventionsgruppe bestand gegenüber den Patienten der Kontrollgruppe sogar eine 9-mal so hohe Chance, richtig – nämlich ohne Antibiotika – behandelt zu werden. Für den ambulanten Bereich sollen zudem Auswertungen zu Masern- und Influenzaimpfungen folgen, sobald die quartalsbezogenen Abrechnungsdaten aus den KVen vorliegen.
Deutliche Verbesserungen lassen sich nach den Auswertungen auch im stationären Bereich bei der Versorgung von Patienten mit Staphylococcus aureus oder mit einer Sepsis belegen. Danach vervierfacht sich im ersten Fall durch eine Televisite die Chance, gemäß Choosing-Wisely-Empfehlung behandelt zu werden, für die Patienten der Interventionsgruppe. Das sei ein hochsignifikantes Ergebnis, von dem auch Patienten auf Normalstation profitierten, weil sich Televisiten auch abseits der Intensivstation positiv auf die Compliance auswirkten, sagte Greiner.
Frühzeitige Unterstützung bei Sepsis
Im Falle einer Sepsis seien die rasche Antibiotikagabe und regelmäßige Re-Evaluation wesentlich für den Therapieerfolg. Hier ergaben sich signifikant positive Effekte von Schulungen und Televisiten. Insgesamt konnte eine vierfach erhöhte Chance auf Einhaltung der Sepsis-Empfehlungen in der Interventions- gegenüber der Kontrollgruppe festgestellt werden. Vor allem die Verbesserungen in der Sepsisbehandlung durch eine frühzeitige telemedizinische Unterstützung sind nach Ansicht von Greiner wesentlich, weil sie „im Zweifelsfall Leben retten können“.
Für den stationären Sektor sollen noch weitere Analysen zu sekundären Outcomes wie etwa (Sepsis-)Mortalität, Verlegungstransporte, Verweildauer auf Intensivstation und im Krankenhaus sowie Antibiotikatherapie bei Infektionen mit multiresistenten Erregern folgen.
Akzeptanzbefragung positiv
Die Verbesserungen der Versorgung werden dabei einer Akzeptanzbefragung zufolge sowohl von den Patienten als auch den Ärzten geschätzt. Danach finden 77 Prozent der Patienten die gemeinsame Besprechung mit Spezialisten gut, für 68 Prozent bleibt dabei das Vertrauensverhältnis zu ihrem Arzt vor Ort erhalten, und 63 Prozent wünschen sich weiterhin eine Nutzung von Telemedizin.
Auch bei den Ärzte ist die Akzeptanz für den Telemedizineinsatz hoch: So waren 82 Prozent der Krankenhausärzte und 88 Prozent der niedergelassenen Ärzte der Meinung, dass dadurch eine bessere leitliniengerechte Behandlung ermöglicht wird. 91 Prozent der Ärzte beurteilten die Zusammenarbeit mit den Infektiologen als vertrauensvoll.
Die positiven Ergebnisse der Akzeptanzbefragung zur interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen den Unikliniken und den kooperierenden Krankenhäusern und Ärztenetzen spiegeln Erfahrungsberichte wider. „Wir konnten durch die Televisiten im Klinikalltag eine qualifizierte antiinfektive Therapie sicherstellen“, berichtete etwa Angela Grote-Reith, Chefärztin der Medizinischen Klinik IV, Intensivmedizin, Geriatrie am Jakobi-Krankenhaus Rheine.
TELnet habe die Awareness für Infektionen und Antibiotikabedarf erhöht, die Stationsabläufe und das Drug-Monigtoring verbessert und die Anzahl der Blutkulturen erhöht, so die ABS(Antibiotic Stewardship)-Expertin. Der Kontakt zum Zentrum laufe dabei immer auf Augenhöhe.
„Die ambulant tätigen Ärzte haben natürlich von den Experten aus den Unikliniken gelernt, aber auch die Experten haben von uns gelernt, denn die ambulante Versorgung läuft in vielen Bereichen ganz anders als im universitären Zentrum“, bestätigte Gesa Fiedler vom Ärztenetz MuM – Medizin und Mehr eG in Bünde. Rückmeldungen der Patienten hätten gezeigt, dass diese die zusätzliche telemedizinische Betreuung schätzten, so die Gynäkologin.
Baustein für das virtuelle Krankenhaus
Mit TELnet@NRW seien beispielhafte Strukturen für eine qualitativ hochwertige telemedizinische Versorgung geschaffen worden, lobte Edmund Heller, Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen (NRW). Es gelte, an den großen Erfolg von TELnet anzuknüpfen und die Erfahrungen daraus für den Aufbau des virtuellen Krankenhauses zu nutzen.
Mit dem virtuellen Krankenhaus, dessen Pilotphase bereits nach dem Frühjahr beginnen soll, plant die Landesregierung, Expertenwissen aus den Spitzenzentren in die Fläche zu bringen und ein engmaschiges, telemedizinisches Netzwerk für neue Versorgungsstrukturen aufzubauen.
„Statt zahlreicher befristeter Einzelprojekte soll nun eine flächendeckende, strukturierte telemedizinische Versorgungslandschaft gefördert und aufgebaut werden. Für diese Entwicklung ist das TELnet@NRW-Projekt ein wichtiger Meilenstein“, sagte Heller.
Die Zukunft des teleintensivmedizinischen und teleinfektiologischen Versorgungsnetzwerks ist laut Konsortialführer Marx vorerst geklärt: „Eine Übergangsfinanzierung im Anschluss an die Förderlaufzeit konnten wir mithilfe der Krankenkassen in Nordrhein-Westfalen bereits sicherstellen.“
Sein Fazit: „Wir haben mit TELnet@NRW anhand der großen Patientenzahlen die robuste Evidenz geschaffen, dass Telemedizin die Behandlungsqualität verbessern kann.“ Über das Thema Sterblichkeit zu sprechen, sei derzeit zwar noch zu früh. Dies sei zudem nicht primärer Endpunkt der Studie gewesen. Aber: „Wir wissen, wenn wir das tun, überleben am Ende des Tages mehr Patienten“, betonte Marx. © KBr/aerzteblatt.de

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