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Politik

Ernährungsausschuss blockiert nationale Diabetesstrategie

Mittwoch, 22. Januar 2020

Kind greift nach einer Packung Smarties. /picture alliance
Die Diabetesstrategie sieht auch Ernährungsmaßnahmen vor, unter anderem eine verbindliche Zuckerreduktion in Lebensmitteln sowie ein Werbeverbot zuckerhaltiger Lebensmittel für Kinder. /picture alliance

Stuttgart – Die im Koalitionsvertrag von Union und SPD verankerte nationale Diabetes­strategie droht zu scheitern. Grund soll die ablehnende Haltung einiger Abgeordneter im Ausschuss für Ernährung des Bundestags sein.

Die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Bärbel Bas, bestätigte den Stillstand der Verhandlungen auf Anfrage des Deutschen Ärzteblatts. Einige Ernährungs­politi­ker in der Unionsfraktion würden das Vorhaben blockieren, so die Fachpolitikerin für Gesundheitspolitik.

Die Diabetes-Verbände Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und der diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe warfen der Großen Koalition gestern vor, durch ihren anhalten­den Wider­stand die Gesundheit künftiger Generationen zu gefährden.

Dabei hatte sich die Koalition bereits im vergangenen Jahr weitgehend auf Kernpunkte einer nationalen Diabetesstrategie zur Bekämpfung steigender Erkrankungszahlen geei­nigt. Bis heute scheinbar nicht überwindbarer Widerstand entzünde sich im Ernährungs­ausschuss an den Zielformulierungen im Ernährungsteil des Papiers und gefährde so nun das gesamte Vorhaben.

Im Kern ginge es in dem Passus um Maßnahmen zur verbindlichen Zuckerreduktion in Lebensmitteln sowie ein Werbeverbot zuckerhaltiger Lebensmittel für Kinder, schreiben die Diabetesverbände.

„Wissenschaftlich ist belegt, dass diese Maßnahmen wirken, da sie einerseits Auswirkun­gen auf das Kaufverhalten haben, andererseits die Hersteller animieren ihre Rezepturen gesünder zu gestalten“, erklärte DDG-Geschäftsführerin Barbara Bitzer. Deshalb seien diese Aspekte bei der Umsetzung einer nationalen Diabetesstrategie unverzichtbar.

Auch für die SPD-Bundestagsfraktion seien eine Reduktion des Zuckeranteils um 50 Prozent in Süßgetränken und die Beschränkung der Werbung für Kinderlebensmittel unverzichtbarere Bausteine einer Diabetesstrategie.

Einige Ernährungspolitikerinnen und -politiker in der Unions-Fraktion sind hier anderer Auffassung. Sie stehen der Ernährungslobby in dieser Frage offenbar näher als den Betroffenen. Bärbel Bas, SPD-Bundestagsfraktion

Freiwillige Vereinbarungen mit der Lebensmittelindustrie würden nicht ausreichen, sagte Bas. „Streichen wir diese Punkte, handelt es sich um keine effektive Strategie zur Bekäm­pfung von Diabetes mehr“, führt die SPD-Politikerin fort. Zwischen den Gesundheitspoliti­kern von Union und SPD bestünde in diesen Punkten Einigkeit.

„Einige Ernährungspolitikerinnen und -politiker in der Unions-Fraktion sind hier anderer Auffassung. Sie stehen der Ernährungslobby in dieser Frage offenbar näher als den Be­troffenen – entgegen der Aussagen aller Expertinnen und Experten. Sie blockieren der­zeit eine Einigung, das Vorhaben liegt daher auf Eis.“ Neue Gespräche mit dem Koaliti­onspartner seien derzeit nicht geplant. Bas hofft aber, dass der Gesprächsfaden noch einmal aufgegriffen wird.

Die Union sieht die Schuld hingegen bei der SPD. Die Ernährungspolitiker seien mitbera­tend beim Entwurf des An­trags für eine nationale Diabetesstrategie, sagte die stellver­tretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Gitta Connemann, die auch im Ernährungsausschuss sitzt.

In den Plänen für eine Strategie habe sich der Vorschlag für eine umfängliche Pas­sa­ge zum Thema Ernährung befunden, zu dem es „weitgehende europa­rechtliche Beden­ken“ gebe. Auch wäre dadurch die nationale Reduktionsstrategie konterkariert worden. Diese sei 2018 von der Bundesregierung mit Unterstützung der Großen Koalition auf den Weg gebracht worden.

„Die Ernährungspolitik ist also vorangegangen“, erklärte Connemann. Sie könne „nur war­nen, den Boden der nationalen Reduktionsstrategie zu verlassen. Wer wirklich Verände­run­gen will, kann nicht heute A und morgen B sagen“, sagte Connemann. Die Ernährungs­politiker hätten mehrere Kompromissvorschläge unterbreitet, von denen die SPD aber „leider keinen akzeptiert“ habe. Sie hoffe, dass man „dennoch bald zu einer Einigung“ bei diesem wichtigen Antrag komme.

Bundesweit erkranken jährlich mehr als eine halbe Million Deutsche neu an Diabetes mellitus. Die Versorgung der Patienten inklusive der Begleit- und Folgeerkrankungen von Diabetes kostet den Staat jährlich mehr als 21 Milliarden Euro.

diabetesDE-Vorstandsvorsitzender Jens Kröger warf der Koalition vor, einseitigen Inter­essen der Lebensmittelindustrie mehr Gewicht zuzumessen als dringend notwendigen Strukturveränderungen in der Diabetesversorgung und -prävention. „Das ist unverant­wortlich“, kritisierte der Verbands-Chef.

Mit einem Scheitern der Nationalen Diabetesstrategie verspiele die Regierung ihre Glaub­würdigkeit und komme ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht nach. Gerade jüngst hatten in einer Umfrage der Deutschen Diabetes-Hilfe 86 Prozent der befragten Men­schen mit Typ-2-Diabetes kundgetan, dass Sie sich nicht angemessen von der Politik vertreten fühlen, so der Hamburger Diabetologe.

Andere EU-Länder sind uns weit voraus und haben bereits eine Diabetesstrategie oder einen Aktionsplan. Barbara Bitzer, DDG-Geschäftsführerin

Vor diesem Hintergrund appellierten die Fachverbände nachdrücklich an die verant­wort­li­chen Politiker, die Nationale Diabetesstrategie weiter voranzutreiben und verhältnisprä­ventive Maßnahmen darin unbedingt zu berücksichtigen. Seit Jahren fordern Diabetes-Verbände ein politisches Gesamtkonzept für mehr Diabetesprävention und eine bessere medizinische Versorgung.

„Andere EU-Länder sind uns weit voraus und haben bereits eine Diabetesstrategie oder einen Aktionsplan“, betont Bitzer. Es sei für das bevölkerungsreichste europäische Land mit einem großen Diabetes-Problem ein Armutszeugnis, das nicht zu schaffen. © hil/sb/gie/may/aerzteblatt.de

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