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Pränatal­diagnostiker sehen gravierende Mängel im G-BA-Beschluss zum pränatalen Bluttest

Donnerstag, 23. Januar 2020

Einer schwangeren Frau wird Blut abgenommen. /gamelover, stockadobecom
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat entschieden, dass der nichtinvasive pränatale Test (NIPT) für Schwangere mit entsprechenden Risiken zur Kassenleistung für die drei Chromosomenanomalien Trisomie 21, 18 und 13 wird. /gamelover, stockadobecom

Hürth/Berlin – Der Berufsverband niedergelassener Pränatalmediziner (BVNP) hat den Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zur Änderung der Mutter­schafts­richtlinien kritisiert.

Die praktische Aussagekraft des Bluttests in dieser Form sei deutlich geringer als darin kommuniziert, so der BVNP. Die Pränataldiagnostiker fordern, dass neben den nichtinva­siven pränatalen Tests (NIPT) für Schwangere eine ergänzende differenzierte Ultraschall­untersuchung bei der Schwangerenvorsorge weiterhin stattfinden sollte.

Um das Risiko einer kindlichen Fehlbildung pränatal einzuschätzen, kann neben Ultra­schalluntersuchungen und einer Fruchtwasseruntersuchung auch ein Bluttest auf kind­liche Chromosomenanomalien, etwa eine Trisomie 21 (Down-Syndrom), 13 (Pätau-Syn­drom) und 18 (Edwards-Syndrom), durchgeführt werden.

Prinzip dieses Verfahrens ist die Messung plazentaler DNA-Schnipsel im mütterlichen Blut. Die Plazenta entwickelt sich zum Teil aus der äußeren Zellschicht des Embryos (Trophoblasten). Daher kann sich die Chromosomenbeschaffenheit der Plazenta und des Embryos unterscheiden – es entsteht ein „plazentales Mosaik“ mit lokal begrenzten Zell­ansammlungen mit abweichender Genetik. Das gleiche Problem ergebe sich auch bei der invasiven Chorionzottenbiopsie, erklärt die Heinrich Böll Stiftung.

Das NIPT-Verfahren ermöglicht ein zielgerichtetes Screening beim Ungeborenen im Mutterleib auf Chromosomenstörungen wie die Trisomien 21, 13 und 18. Für die Untersuchung wird plazentale DNA aus Zellfragmenten gewonnen, die im Blut der Mutter zirkuliert. Ein invasiver Eingriff in die Gebärmutter – wie er etwa bei einer Fruchtwasseruntersuchung durchgeführt wird – ist dabei also nicht notwendig.

Im Gegensatz zu den invasiven Verfahren handelt es sich allerdings beim NIPT um ein Suchverfahren (Test) und nicht, wie bei der Fruchtwasseruntersuchung, ein beweisendes Diagnoseverfahren: Der NIPT habe methodenbedingt immer eine gewisse Fehlerrate (Falsch-positiv-Befund, Falsch-negativ-Befund), schreibt der BVNP.

Der Berufsverband kritisiert daher die Darstellung der Aussagekraft des Verfahrens durch das Gutachten des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) und den hierauf fußenden G-BA Beschluss zur Änderung der Mutterschaftsricht­linien.

„Die Aussagekraft des Bluttests ist in der Routineanwendung weit geringer als darin kom­muniziert“, sagte Alexander Scharf, Präsident des BVNP. Bei der Suche nach den Trisomien 21, 18 und 13 würden pränatal nur circa 70 Prozent der Chromosomenstörungen generell untersucht und hiervon nur zum Teil entdeckt; somit würde also nur ein Teil der tatsäch­lich betroffenen Feten adressiert, während die Fruchtwasseruntersuchung das gesamte Spektrum erfasse.

Umgang mit positiven NIPT-Ergebnissen unklar

„Die verbreitete Behauptung, NIPT ersetze die Fruchtwasseruntersuchung, greift damit zu kurz und ist sachlich falsch“, warnt Scharf. Ein auffälliges Ergebnis müsse deshalb immer in einer anschließenden invasiven Untersuchung überprüft werden. Wie mit einem sol­chen positiven NIPT-Testergebnis umgegangen werden sollte, würde in dem G-BA Be­schluss zur Änderung der Mutterschaftsrichtlinien völlig außer Acht gelassen, kritisiert Scharf.

Chromosomale Störungen machen bei der Geburt des Feten nur etwa acht Prozent der Fehlbildungen und kognitiven Entwicklungsstörungen aus. Alexander Scharf, Präsident des BVNP

Die Pränataldiagnostiker bewerten zudem kritisch, dass die Bluttests nicht alle Chromo­so­menstörungen adressieren und keinerlei Aussagen über die wesentlich häufigeren, nicht genetisch bedingten körperlichen Fehlbildungen des Ungeborenen ermöglichen.

„Chromosomale Störungen machen bei der Geburt des Feten nur etwa acht Prozent der Fehlbildungen und kognitiven Entwicklungsstörungen aus“, betont Scharf. Die häufiger vorkommenden nicht genetisch bedingten, körperlichen Fehlbildungen könnten jedoch nur bei einer pränatalen Ultraschalluntersuchung, wie sie momentan während des Ersttrimester-Screenings erfolgt, erkannt werden.

„Die Bluttests sollten deshalb nur ergänzend zu einer Ultraschalluntersuchung vorge­nommen werden, bei der auch die Nackentransparenz des Feten beurteilt wird“, so der Experte.

Ein weiterer Kritikpunkt des BVNP ist zudem, dass die Mutterschaftsrichtlinien keine klaren qualitätssichernden Empfehlungen zur Durchführung der Bluttests enthalten. „Schwangere brauchen begleitend zu dem Verfahren dringend und standarisiert eine qualifizierte medizinische und psychosoziale Beratung“, fordert der BVNP-Präsident.

Einführung von NIPT als Kassenleistung

Die nicht invasiven pränatalen Bluttests (NIPT) stehen Schwangeren im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen bereits seit 2012 als individuelle Gesundheitsleistung (IGel) zur Verfügung. Durch die Entscheidung des G-BA werden diese zukünftig für Schwangere mit entsprechendem Risikoprofil als Kassenleistung angeboten. Die NIPT-Änderung der Mutterschaftsrichtlinien ist bereits von Seiten des Bundesministeriums für Gesundheit gebilligt worden. Ende 2020 soll der Beschluss zur NIPT-Versicherteninformation erfolgen. Vor diesem Hintergrund rechnet der BVNP mit einer Einführung von NIPT als Kassenleistung ab 2021.

„Zudem muss gewährleistet sein, dass notwendige Anschlussuntersuchungen – wie beispielsweise eine Chorionzottenbiopsie – schnell möglich gemacht werden.“ Solche Aspekte würden in den Mutterschaftsrichtlinien zu sehr außer Acht gelassen. Da solche klaren Indikationen in den Vorgaben fehlten, sei das Verfahren auch unter ethischen Gesichtspunkten kritisch zu beurteilen.

Der BVNP hält die Einführung von NIPT als Kassenleistung für Schwangere mit entspre­chenden Risiken generell für ethisch fragwürdig: „Die bisher höchst individuelle Ent­scheidung, ob – und in welchem Umfang – Schwangere Informationen zur Gesundheit ihres ungeborenen Kindes haben möchten, wird den Schwangeren durch die Vergesell­schaftung der Leistung NIPT und den sich hierüber aufbauenden sozialen Druck zur Inanspruchnahme ein Stück weit weggenommen“, ist Scharf überzeugt. © gie/EB/aerzteblatt.de

Kommentare

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Avatar #760232
penangexpag
am Samstag, 25. Januar 2020, 10:27

pränataler Bluttest

Es ist nicht ungewöhnlich, daß nach Einführung diagnostischen Verfahren eine Validierung infolge der praktischen Anwendung eintritt. Bezüglich des pränatalen Bluttest muß dann allerdings gesagt werden, daß anfänglich eine viel zu optimistische Bewertung publiziert worden ist - um nicht zu sagen leichtsinnige Bewertung.
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