Politik
Ambulante Versorgung: Neue Vergütungsvorschläge werden weiter diskutiert
Donnerstag, 30. Januar 2020
Berlin – Die Vorschläge der wissenschaftlichen Kommission für ein modernes Vergütungssystem (KOMV) werden auch zwei Tage nach der Vorstellung des Gutachtens von den Akteuren im Gesundheitswesen weiter diskutiert.
Die Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und das Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) betonten heute, das Gutachten komme zu zwei wesentlichen Ergebnissen.
So bringe eine einheitliche Gebührenordnung für die private (PKV) und die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) mehr Nachteile als Vorteile. Und die Kommission sehe Reformbedarf sowohl bei der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) als auch beim Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM).
„Damit sollte das Ziel einer Einheitsgebührenordnung vom Tisch sein. Zur Weiterentwicklung der ärztlichen Vergütung bietet das Gutachten aber auch weiterführende Ansätze“, sagte KBV-Chef Andreas Gassen.
Der Vorstandsvorsitzende des Zi, Dominik von Stillfried, betonte, die Idee der KOMV für eine „partielle Harmonisierung“ der ambulanten ärztlichen Vergütungssystematiken in der vertragsärztlichen Versorgung für GKV-Versicherte (EBM) und der privatärztlichen Versorgung (GOÄ) müsse differenziert bewertet werden.
Wissenschaftlich interessant, nicht praktikabel
„Er mag wissenschaftlich interessant sein, praktikabel ist er nicht“, sagte von Stillfried. Seiner Meinung nach wäre der gepante Gemeinsame Leistungsausschuss mit den Aufgaben überfrachtet; die notwendige Weiterentwicklung würde eher gelähmt als befördert. Die Idee, den Vergütungssystemen mit der Definition ärztlicher Einzel- beziehungsweise Teilleistungen einen gemeinsamen Anker zu geben, sei „interessant, aber extrem herausfordernd“.
„Wahrscheinlich kommt dies nur für Teilbereiche in Betracht. Diese Aufgabe sollte allein bei der ärztlichen Selbstverwaltung liegen“, so der Zi-Chef. Auf Basis dieser Leistungsbeschreibung könnte dann mit Beteiligung der jeweiligen Kostenträger die Kostenbewertung stattfinden. Die Bestimmung von relativen Leistungsbewertungen beinhalte Wertfestlegungen, die durch die Vertragspartner getroffen werden müssten. „Das betrifft etwa den Stellenwert von sprechender Medizin zu technischer Medizin.“
„Entsprechend würden wie bisher im Bewertungsausschuss für die Versorgung gesetzlich Versicherter gemeinsam mit der GKV Euro-Preise kalkuliert und gegebenenfalls Leistungskomplexe gebildet“, sagte Gassen.
Die Vertragsärzte benötigten daneben auch eine echte Gebührenordnung in Euro, die solide betriebswirtschaftlich kalkuliert sei und Investitionen in die ambulante Medizin förderten. „Die Kommission hat die unterschiedlichen Realitäten und Voraussetzungen von GOÄ und EBM erkannt. Sie hat richtig eingeschätzt, dass eine einzige Gebührenordnung nicht die dafür erforderliche Flexibilität mit sich bringt“, lautet Gassens Fazit.
Warnung vor Verzögerungen
Der Hartmannbund bewertet die Ergebnisse der Kommission für die ambulante ärztliche Vergütung heute zunächst als eine Bestätigung, dass der deutsche Weg einer auf zwei Säulen basierenden Krankenversicherung auch zukünftig Bestand haben soll.
Bei den Vorschlägen zur Bildung der neuen Institutionen – Gemeinsamer Leistungsausschuss sowie Gemeinsames Institut – warnt der Verband aber davor, dass an dieser Stelle neue bürokratische und kostenintensive Strukturen geschaffen werden, ohne die Rahmenbedingungen für die ambulante Versorgung konkret zu verbessern.
Darüber hinaus würden weitere Probleme der kassenärztlichen Versorgung – wie Budgetierung, Pauschalierung und begrenzter Leistungskatalog – durch die aktuellen Reformvorschläge nicht angegangen.
Mit Blick auf den Vorschlag, die GOÄ künftig ebenfalls auf dem Verhandlungsweg zu vereinbaren, verweist der Hartmannbund darauf, dass mit dem vorliegenden Entwurf für eine neue GOÄ bereits gute Voraussetzungen geschaffen wurden, diese als Blaupause für eine einheitliche Leistungslegendierung nutzen zu können und insoweit neue Strukturen verzichtbar seien.
In diesem Kontext erinnert der Hartmannbund das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) daran, diese zwischen PKV und Bundesärztekammer (BÄK) weitgehend konsentierte Gebührenordnung zeitnah in eine Rechtsverordnung umzusetzen. Man hoffe darauf, dass die Politik diese Aspekte in die nächsten Umsetzungsschritte einfließen lasse, hieß es.
Mehrausgaben nicht zu rechtfertigen
Auch der GKV-Spitzenverband zeigt sich mit der Empfehlung der Gutachter zufrieden, die Vergütungssysteme nicht zu harmonisieren. „Das Fazit der Gutachter, eine Vereinheitlichung der Vergütungssysteme in einer gemeinsamen Honorarordnung nicht zu empfehlen, begrüßen wir“, sagte Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzenverbands, dem Deutschen Ärzteblatt.
Mehrausgaben für die ambulante ärztliche Versorgung für die GKV wären nicht zu rechtfertigen. Bereits heute würden niedergelassene Ärzte von der GKV angemessen für ihre Arbeit honoriert, erklärte er. Die in dem Gutachten vorgeschlagenen Maßnahmen zur partiellen Harmonisierung der Vergütungssysteme wären vor allem ein Schritt, um die Transparenzprobleme innerhalb der PKV-Vergütung zu lösen.
„Wir werden uns in den kommenden Wochen eingehend mit dem Gutachten befassen und erwarten, darin weitere hilfreiche Anregung für die Weiterentwicklung der ärztlichen Vergütungssystematik zu finden“, so Lanz.
Bundesrat nicht ausbooten
Der Verband der Privatärztlichen Verrechnungsstellen (PVS Verband) ist nicht überrascht von den Ergebnissen der KOMV. Dass sich die Kommission eindeutig gegen eine gemeinsame ambulante Gebührenordnung mit einheitlichen Preisen ausgesprochen habe, habe man erwartet, sagte Stefan Tilgner, Geschäftsführendes Mitglied im Vorstand des PVS Verbandes.
„Seit langem beschäftigen wir uns intensiv mit der Bedeutung der privatärztlichen Honorare für die Versorgungslandschaft“, erklärte er. Wolle man der ambulanten ärztlichen Versorgung insgesamt keine Mittel entziehen, kämen enorme Beitragssteigerungen gerade auf die GKV-Versicherten zu. „Umverteilungen führten zu einer Zerstörung bereits aufgebauter, auf hohem Qualitätsniveau angesiedelten Versorgungsangebote“, erklärte Tilgner.
Diese Ergebnisse habe die Kommission bestätigt. Der PVS Verband hatte zuletzt in seiner Studie „Experiment Bürgerversicherung“ die Bedeutung der höheren privatärztlichen Vergütungen herausgearbeitet. „Eine einheitliche Vergütung ist nichts anderes als eine ideologische Scheinlösung: Gleichmacherei statt Qualität und Zukunftsorientierung“, so Tilgner.
Den Vorschlag einer partiellen Harmonisierung, die als zentrales Element eine gemeinsame Legendierung der Abrechnungsgrundlagen vorsieht, bewertet der PVS Verband kritisch. Zu unterschiedlich seien die Aufgaben dieser Gebührenverzeichnisse, hieß es heute. Der EBM sei nichts anderes ein Honorarverteilungsschlüssel innerhalb eines gedeckelten, von den Regularien des Sozialgesetzbuches definierten Umlagesystems.
Hingegen sei die GOÄ eine einzelleistungsbasierte amtliche Gebührentaxe. Sie bilde die Grundlage der Vergütung von ärztlichen Leistungen, die im Rahmen eines Vertrages zwischen Arzt und Patent erbracht werden.
„Wenn es schon an dieser Stelle eine Vereinheitlichung geben soll, dann ist auf die Legendierungen zurückzugreifen, die von der Bundesärztekammer gemeinsam mit den Fachgesellschaften und Berufsverbänden im Zuge der Aktivitäten rund um die Novellierung der Gebührenordnung erarbeitet wurden“, betonte Tilgner.
Mit Unverständnis reagiert der PVS Verband auf die Wertung der Kommission, dass das Regelungsverfahren der GOÄ als Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates sich nicht bewährt habe. Das Problem sei aber nicht das Verfahren, sondern das Agieren der Politik.
„Niemand hindert den Verordnungsgeber daran, endlich seiner ureigensten Aufgabe nachzukommen und im Sinne der Sicherstellung von Rechtsfrieden und Verbraucherschutz eine moderne GOÄ auf den Weg zu bringen. Dafür ist es ist höchste Zeit“, fordert Tilgner.
Grundsätzlich sei es zudem unerlässlich, die Bundesländer auch weiterhin in die Verhandlungen zur GOÄ einzubeziehen. Schließlich geht es auch um die medizinische Versorgung der Beamten in den Ländern, für die die Länder in der Fürsorgepflicht stehen.
Psychotherapeuten warnen vor Verzögerungen
Die Deutsche PsychotherapeutenVereinigung (DPtV) sieht die Harmonisierung von EBM und GOÄ ebenfalls nicht als Lösung. Diese „würde zu jahrelangen Verzögerungen der dringend nötigen GOÄ-Reform führen“, sagte der DPtV-Bundesvorsitzende Gebhard Hentschel. Wenn privatversicherte Patienten nicht schlechter gestellt sein sollten als gesetzlich Versicherte, sei eine schnelle GOÄ-Reform wichtiger, als jetzt noch einmal neu anzufangen.
Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) betonte, eine erste Konsequenz aus dem Gutachten müsse die schnelle Umsetzung der neuen GOÄ und damit auch der neuen Gebührenordnung für Psychotherapeuten (GOP) sein, sagte BPtK-Präsident Dietrich Munz.
Der Entwurf einer neuen GOÄ/GOP berücksichtige das gesamte Leistungsspektrum ärztlicher und psychotherapeutischer Tätigkeiten auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Zudem seien Bewertungen der Leistungen transparent betriebswirtschaftlich kalkuliert.
Darüber hinaus habe die letzte Teilaktualisierung der GOÄ 1996 stattgefunden. Die Leistungen in der GOÄ seien seither nicht mehr an den aktuellen Stand der Wissenschaft angepasst worden. Auch die Preise der ärztlichen und psychotherapeutischen Leistungen seien seither unverändert geblieben. „Dadurch fehlen in der GOÄ zum Beispiel neue wissenschaftlich anerkannte Psychotherapieverfahren wie die Systemische Therapie ebenso wie Leistungen der psychotherapeutischen Notfallbehandlung“, so Munz. © may/aerzteblatt.de

"Das Problem sei das Agieren der Politik."
Gab es nicht sogar Anfang 2016 einen ausserordentlichen Deutschen Ärztetag deswegen auf Initiative der Ärztekammer Berlin und dem damaligen Vize-Präsidenten Wille?
https://www.aerztekammer-berlin.de/40presse/15_meldungen/000101_Dt-Aerztetag/index.shtml

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