Politik
Bundestag berät abschließend über Maßnahmen gegen Lieferengpässe
Mittwoch, 5. Februar 2020
Berlin – Am 13. Februar will der Bundestag abschließend über den Gesetzentwurf der Bundesregierung für einen fairen Kassenwettbewerb beraten. Dieser enthält unter anderem Regelungen zur Vermeidung von Lieferengpässen bei Arzneimitteln. Das hat der Arzneimittelexperte der Union, Michael Hennrich (CDU), heute bei der 9. Berliner Runde des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH) angekündigt.
Er erklärte zugleich, dass die darin vorgesehenen Maßnahmen „vielleicht nur ein erster Schritt sind“. Die Koalitionspartner hätten sich auf Regelungen verständigt, bei denen sie sich einig waren. Über andere Themen müsse man noch einmal diskutieren. „Das hat jetzt nicht gepasst“, sagte Hennrich.
Dazu gehört unter anderem, den Krankenkassen den Abschluss von Rabattverträgen für Generika mit nur einem einzigen Arzneimittelhersteller zu verbieten. Stattdessen sollten immer mehrere Hersteller zum Zuge kommen. Diese Forderung erheben Pharmaunternehmen schon seit Jahren. Auch Ärzte und Apotheker haben sich dem inzwischen aus Gründen der Liefersicherheit angeschlossen.
Krankenkassen und Teile der Politik sehen hingegen die Einsparungen gefährdet, die die Krankenkassen mithilfe der Rabattverträge erzielen. Sie belaufen sich zurzeit auf rund vier Milliarden Euro. Hennrich erklärte, dass auch die Öffentlichkeit das Thema Rabattverträge zunehmend kritisch sehe.
„Made in Europe“ als Qualitätsmerkmal
Diskutiert werde auch, die Produktion von Wirkstoffen aus Niedriglohnländern wie Indien oder China nach Europa zurückzuholen. Hennrich betonte erneut, dass dazu ein gemeinsames Vorgehen auf europäischer Ebene nötig sei. Das Thema werde bei der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ab Mitte dieses Jahres auf der Tagesordnung stehen.
Denkbar seien beispielsweise Anreize über das Vergabe- und Wettbewerbsrecht, bei denen die Hersteller für eine robuste Lieferkette, soziale Arbeitsbedingungen oder eine klimafreundliche Produktion belohnt würden.
BAH-Vorstandsmitglied Ralf Mayr-Stein bekräftigte die Vorbehalte der Pharmaunternehmen gegenüber exklusiven Rabattverträgen. Beispiel Grippeimpfstoffe: Nach Engpässen im Jahr 2016 habe der Gesetzgeber dort die Rabattverträge komplett abgeschafft – mit der Folge, dass die Versorgung inzwischen wieder gut funktioniere, sagte Mayr-Stein.
Er warnte in diesem Zusammenhang davor, auch beim Instrument der Festbeträge die Preisschraube zu stark anzuziehen. Das Preisniveau sei in diesem Bereich so weit heruntergeregelt, dass sich viele Unternehmen fragten, bei welchen Präparaten es wirtschaftlich sinnvoller sei, sie vom Markt zu nehmen. „Wir sollten dieses System mit Augenmaß modifizieren“, forderte der BAH-Vorstand.
Lieferengpässe schaden den Patienten
Lieferengpässe können den Patienten schaden, selbst wenn es sich dabei nicht um echte Versorgungsengpässe handelt. Davor warnte der Vorsitzende der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Wolf-Dieter Ludwig.
Auch wenn Alternativen zur Verfügung stünden, könne es zu Verzögerungen beim Therapiebeginn kommen. Zudem gebe es Indikationen, bei denen eine Umstellung der Patienten enorm schwierig sei.
Beispiel Venlafaxin: Das Antidepressivum sei seit längerem in zahlreichen Wirkstärken nicht lieferbar. Neben den gesundheitlichen Folgen eines Präparatewechsels kämen auf die Patienten zum Teil erhebliche Mehrkosten zu, weil das Ausweichmedikament teurer sei als das ursprüngliche Mittel.
Ludwig erneuerte die Forderung der AkdÄ, eine größere Transparenz über Lieferketten und -engpässe zu schaffen, eine Meldepflicht für Engpässe, längere Lagerfristen beispielsweise in den Krankenhausapotheken sowie eine Mehrfachvergabe bei Rabattverträgen einzuführen.
Johannes Bauernfeind, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, hielt dem entgegen, es sei ein Irrglaube, dass das Mehrpartnermodell zu mehr Versorgungssicherheit führe.
Zum einen griffen in vielen Fällen die Hersteller auf denselben Wirkstoffproduzenten zurück – und das nicht erst, seit es Rabattverträge gebe. Zum anderen gehe die Planungssicherheit für die pharmazeutischen Unternehmen bei den Mehrpartnermodellen zurück.
Die Lage ist nicht so dramatisch wie dargestellt
Bauernfeind erklärte zudem, das Problem der Lieferengpässe müsse zwar angegangen werden. Es sei aber „nicht so dramatisch wie dargestellt“. Die Zahl der nicht verfügbaren Rabattarzneimittel liege bei gut neun Millionen Packungen. Angesichts von 533 Millionen abgegebenen Packungen pro Jahr sei das in Relation „sehr wenig“.
Das Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz sieht vor, den bereits seit 2016 beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelten „Jour fixe Lieferengpässe“ gesetzlich zu verankern. Die Vertreter aus Behörden, Medizin, Forschung, Industrie und Politik sollen die Versorgungslage mit Arzneimitteln kontinuierlich beobachten und bewerten.
Das BfArM kann künftig im Falle eines drohenden oder eingetretenen Lieferengpasses Maßnahmen zur Gegensteuerung ergreifen. Dazu gehört die Anordnung einer erweiterten Lagerhaltung oder die Kontingentierung von Arzneimitteln.
Auf Anforderung des BfArM müssen Arzneimittelhersteller und Großhändler künftig Daten zu verfügbaren Beständen, zur Produktion und Absatzmenge liefern. Außerdem soll den Apothekern der Austausch nicht verfügbarer Rabattarzneimittel erleichtert werden. © HK/aerzteblatt.de

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