Politik
Medizinethiker ruft Politik auf, Medikamentenpreise zu deckeln
Donnerstag, 6. Februar 2020
Freiburg – In der Diskussion um das 1,9 Millionen Euro teure Gentherapeutikum Zolgensma sieht der Freiburger Medizinethiker Giovanni Maio die Politik am Zug. Es gelte, neue rechtliche Rahmenbedingung für die Berechnung von Medikamentenpreisen und die Finanzierung durch das Gesundheitssystem zu schaffen, sagte Maio heute in Freiburg.
„Wir stehen am Beginn einer völlig neuen Ära von Behandlungen, etwa in der Gentherapie“, sagte er. Zolgensma, das gegen spinale Muskelatrophie (SMA) helfen soll, sei nur ein Beispiel für neue Möglichkeiten, die für die nahe Zukunft zu erwarten seien. Die Politik habe es aber bisher versäumt, einen angemessenen Rahmen für die Entwicklung und Finanzierung dieser neuen Therapien zu schaffen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) versuche, sich mit zahlreichen Gesetzen als tatkräftig zu inszenieren. „Wo gesetzgeberisches Handeln aber wirklich dringend nötig wäre, tut sich nichts“, sagte Maio.
Das vom Schweizer Hersteller Novartis vertriebene Zolgensma verfolgt einen neuen gentherapeutischen Ansatz. Es handelt sich dabei um einen in nicht replizierenden Adenovirus-Assozierter-Vektor (AAV9) mit guter ZNS-Gängigkeit, der ein voll-funktionales humanes SMN1-Gen transduziert. Aktuell liegen Erkenntnisse über eine stabile Langzeitwirkung über mindestens vier Jahre vor. Ob die einmalige Gabe des Mittels zu einer Heilung führt, ist daher nicht bekannt. Unbehandelt führt die Muskeldegeneration häufig in wenigen Jahren zum Tod. Das Medikament ist bislang nur in den USA zugelassen. Das europäische Zulassungsverfahren läuft.
Der Leiter des Freiburger Instituts für Ethik der Medizin sprach sich für eine Deckelung von Medikamentenpreisen aus. Die Preisgestaltung dürfe nicht allein dem Prinzip von Markt und Nachfrage überlassen werden. „Dann entstehen völlig überhöhte Preise wie bei Zolgensma oder vielen anderen Medikamenten, etwa in der Krebsbehandlung. Das ist ethisch nicht zu rechtfertigen.“
Maio wandte sich zugleich gegen einseitige Schuldzuweisungen an die Pharmaindustrie. „Wir sollten der Industrie dankbar sein, dass sie ins Risiko geht und neuartige Therapien und Medikamente entwickelt. Und natürlich müssen sich die Investitionen der Pharmaindustrie auch lohnen dürfen“, erklärte er. Dies behindern zu wollen, sei höchst unvernünftig.
Insofern müssten Gesetzgeber, Krankenkassen und Industrie dringend „vernünftige Preiskorridore“ vereinbaren, die einerseits überteuerte und damit ungerechte Preise verhinderten, andererseits aber nicht dazu führten, die Industrie von Forschung und Investitionen abzuschrecken. „Ich erlebe die deutschen Debatten häufig zu einseitig gegen die Pharmahersteller gerichtet“, sagte Maio.
Novartis hat angekündigt, in diesem Jahr weltweit 100 Kinder mit SMA, die bestimmte Antragskriterien erfüllen, per Zufall auszuwählen. Sie sollen das Medikament im Rahmen eines Härtefallprogramms kostenlos noch vor der Zulassung erhalten.
Den hohen regulären Preis begründet Novartis mit den Kosten bei der Entwicklung und durch die Einmalgabe. Das Medikament wurde von dem Unternehmen Avexis entwickelt, das Novartis 2018 für umgerechnet rund acht Milliarden Euro gekauft hat.
Maio betonte, das Zolgensma-Losverfahren sei ethisch bedenklich, da nicht garantiert sei, dass alle an der Auswahl teilnehmenden Kinder gleich bedürftig sind. „Hinzu kommt, dass es bereits zugelassene, alternative Medikamente zur Behandlung gibt.“
Der Ethiker sagte, die bewährten Zulassungsverfahren für Medikamente dürften nicht ausgehöhlt werden. „Bevor wir Patienten behandeln, müssen Wirksamkeit und vor allem auch die Unbedenklichkeit der Therapie nachgewiesen sein.“
15 Gentherapeutika erwartet
Vom Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) hieß es heute, dass bis zum Jahr 2023 etwa 15 Projekte zu neuen oder weiteren Zulassungen von Gentherapeutika führen könnten. Diese eigneten sich zu Therapie vor allem gegen bestimmte Krebs- und Erbkrankheiten, sagte vfa-Präsident Han Steutel.
„Außergewöhnlich ist, dass eine einzige Behandlung zu einem lang anhaltenden Therapieerfolg führen kann – und dies bei Krankheiten, die bisher meist eine lebenslange Dauermedikation erforderten.“
Er betonte, fast alle Gentherapien, die vfa-Unternehmen in den kommenden Jahren herausbringen könnten, würden der Behandlung seltener Krankheiten wie der juvenilen Makuladegeneration oder der Hämophilie B dienen. © kna/aerzteblatt.de

Zu kurz gesprungen, Herr Medizinethiker!
Denn morgen könnte ein anderes Unternehmen mit einem vergleichbaren Medikament zu einem deutlich niedrigeren Preis auf den Markt kommen. Was würde passieren? Das Unternehmen müsste vielleicht die Hälfte des Kaufpreises von 8 Mrd als Verlust abschreiben.
Unternehmerisches Handeln ist immer mit Risiken verbunden und die Aussicht auf Gewinne ist die Prämie für diese Risiken. Wem die Gewinnen zu hoch scheinen, der kann ja selbst auf dem Markt aktiv werden und ins Risiko gehen. Offenkundig erscheint allen anderen das Risiko so hoch zu sein, dass man selbst trotz hoher Absatzpreise im Erfolgsfall dieses Risiko nicht eingehen möchte.
Wenn der Staat die Preise deckelt, egal auf welchem Niveau, gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder die Preise sind so hoch, dass es sich für die Unternehmen trotzdem lohnt, Medikamente zu entwickeln. Oder die Preise werden auf einem so niedrigen Niveau gedeckelt, dass es sich für die Unternehmen eben nicht lohnt. Im ersteren Fall machen die Unternehmen Gewinne. Und im letzteren Fall schauen die Patienten in die Röhre, die von dem Medikament profitiert hätten - aber dieses Medikament wird gar nicht erst entwickelt.
Es ist immer eine Frage des Preises. Wer bessere Alternativen zur Preisfindung kennt, nur zu. Ich kenne derzeit keine.
P.S.:
Der Mietendeckel in Berlin ist auch ein Deckel. Vordergründig freuen sich die Leute, dass die Preise unterhalb des Marktpreises festgeschrieben werden. Was bei Preisen unterhalb des Marktpreises passiert, kann man in der medizinischen Versorgung sehen: Ärztemangel. In Berlin läuft es auf einen Wohnungsmangel hinaus.
Und in der Pharmaindustrie führt es dazu, dass weniger entwickelt werden wird bzw. in D weniger Medikamente auf den Markt kommen werden. Bio- und Gentechnologie könn(t)en vielleicht tolle Medikamente liefern. Aber ohne ausreichend hohe Risikoprämien, also Gewinne, wird es keine sehr teure und mit hohen Risiken behafteten Forschungen geben.
Was ist ethisch vertretbarer? Keine neuen Medikamente, so dass weniger Patienten geholfen werden kann? Oder hohe Gewinne, als Risikoprämien, für die forschende Pharmaindustrie?

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