Medizin
ADHS: Patienten aus ärmeren Familien werden häufiger mit Medikamenten behandelt
Dienstag, 11. Februar 2020
Sheffield – Kinder und Jugendliche mit der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) werden häufiger mit Medikamenten behandelt, wenn ihre Eltern einer niedrigen sozialen Schicht angehören. Dies kam in einer Querschnittstudie in BJPsych Open (2020; doi: 10.1192/bjo.2019.87) heraus.
Die Leitlinien empfehlen bei einer ADHS vor allem in leichten Fällen zunächst eine psychologische Betreuung, die auch mögliche soziale Ursachen der Störung zum Gegenstand hat. Diese „Psychoedukation“ erfordert jedoch die aktive Mitarbeit der Eltern, die nicht immer erreicht wird. Dann erfolgt im 2. Schritt meist eine medikamentöse Therapie.
Frühere Studien aus Schweden und aus Dänemark hatten bereits gezeigt, dass Kinder aus sozial deprivierten Haushalten häufiger medikamentös behandelt werden. Eine Untersuchung aus Sheffield bestätigt dies erneut. Samuel Nunn von der Universität Sheffield und Mitarbeiter haben die Daten von 1.354 Kindern und Jugendlichen mit ADHS ausgewertet, die von 3 Behandlungszentren in der mittelenglischen Stadt betreut wurden.
Sheffield war früher ein Zentrum der britischen Stahlindustrie, die ab den 1970er Jahren in eine schwere Krise geriet. Die Folge war Massenarbeitslosigkeit, von der sich die Stadt seit Anfang des Jahrhunderts langsam erholt. Dennoch gibt es wie in vielen Gegenden Englands deutliche soziale Unterschiede, die mit dem „Index of Multiple Deprivation“ (IMD) erfasst werden.
Der Index bewertet nach verschiedenen Eigenschaften (Einkommen, Beschäftigung, Ausbildung, Wohnungsmarkt, Gesundheitszustand und Kriminalität) die einzelnen Wohnbezirke, in denen die Bevölkerung oft nach sozioökonomischen Verhältnis getrennt lebt.
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Der IMD umfasst 10 Kategorien, die Nunn mit dem Anteil der ADHS-Patienten, die medikamentös behandelt werden, in Beziehung setzte. Jeder „Abstieg“ auf der IMD-Skala war mit einem Anstieg der Medikationsrate um 10 % verbunden. Verglichen mit den Patienten aus den am meisten benachteiligten Gegenden wurden die Kinder aus Gegenden mit der niedrigsten Deprivation zu 60 % seltener mit Medikamenten behandelt.
Nunn hält es für unwahrscheinlich, dass das Ergebnis eine einfache Erklärung hat. Es könnte sein, dass die Barrieren für die Teilnahme an der Psychoedukation oder anderen Angeboten für Familien mit einer hohen Deprivation höher seien, weil das Bildungsniveau niedriger ist, es Vorurteile gegen eine Psychotherapie gebe oder der Stress und Zeitmangel in den Familien eine Teilnahme verhindere.
Möglich sei aber auch, dass in sozial prekären Verhältnissen die Erkrankungen häufiger schwer verlaufen und es keine Alternative zu einer medikamentösen Behandlung gebe. Die schwereren Verläufe könnten durch ungünstige Familienverhältnisse ausgelöst werden. Da eine unbehandelte ADHS die Bildungs- und Berufschancen schmälern, könnten sich über Generationen hinweg schwere Erkrankungen in deprivierten Stadtteilen häufen, schreibt Nunn. © rme/aerzteblatt.de
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Krankheitswert von ADHS ist abhängig von Schweregrad, Sozialisation und primär vorhandenen Komorbiditäten

Ist das denn so? Oder gibt es begriffliche Missverständnisse u.ä.
Manche Kinder langweilen sich auch einfach in der Umgebung Erwachsener. Auch in Schulen.
Mit "Diagnosen" die gerade en Mode sind um sich zu werfen, verschafft
auch den Dümmsten, med. Ungebildetesten oder auch an seiner Arbeit
desinteressiertesten ein tolles überlegenes Gefühl. Damit kann Jeder
angeben.
Vom sog. "Zappelphilipp" Struwelpeter, war man doch Jahrzehnte weg.
Kinder müssen sich bewegen/auch austoben. Das kommt heutzutage alles
viel zu kurz. - Wird denn im Laufe der "Diagnostik" auch ein oder mehrere Intelligenztests gemacht? Zwingend vorgeschrieben?
gemacht? Oder mehrere? Als Pflicht

Der Faktor Sozialisation bzw. Aufwachsen in prekären Verhältnissen spielt eine Rolle beim Outcome und beim Coping von ADHS und nicht bei der Ätiologie selbst.

Mitunter ist es umgekehrt

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