Medizin
Neuartiger Hirnschrittmacher erstmals zur Behandlung von Zwangsstörung eingesetzt
Mittwoch, 12. Februar 2020
Regensburg – Am Universitätsklinikum Regensburg wurde weltweit zum ersten Mal eine Patientin mit einer Zwangsstörung mit einem neuartigen Hirnschrittmacher versorgt, der nicht nur Signale an das Gehirn sendet, sondern die Signale des Gehirns auch lesen und darauf reagieren kann.
Die 36-jährige Patientin leidet seit mehr als 20 Jahren an einer Zwangserkrankung, die sich bei ihr vor allem in Form immer wiederkehrender Zwangsgedanken äußert. Trotz medikamentöser Therapie und Verhaltenstherapie hat sich ihr Zustand immer weiter verschlechtert.
Das neue Schrittmachermodell ist in der EU für die tiefe Hirnstimulation (THS) bei Parkinson, essenziellem Tremor, primärer Dystonie, Epilepsie und Zwangsstörungen zugelassen, im Januar erhielt es die CE-Kennzeichnung.
Schon kurz darauf implantierten die Regensburger Ärzte um Jürgen Schlaier, neurochirurgischer Leiter des Zentrums für Tiefe Hirnstimulation am Universitätsklinikum Regensburg, bei der 36-Jährigen den Hirnschrittmacher.
Soforteffekt noch vor der Aktivierung
Ein erster Erfolg zeigte sich umgehend: „So gut wie die letzten Tage habe ich mich lange nicht mehr gefühlt“, berichtet die Patienten. Und dies, obwohl der Schrittmacher noch nicht einmal vollständig aktiviert ist.
„Alleine die Anwesenheit der Elektroden im Gehirn bewirkt schon eine Besserung“, erklärte Schlaier im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt. Die Ursache sei ein mechanischer Setzeffekt, den man auch von der Behandlung anderer neurologischer Erkrankungen per THS kenne. „Das Einsetzen der Elektroden in den Nucleus striae terminalis führt zu vorübergehenden lokalen Veränderungen, die bereits Einfluss auf die Symptome haben.“
Hirnschrittmacher werden seit etwa 10 Jahren für die Therapie von Zwangserkrankungen eingesetzt. Durch die elektrische Stimulation soll die der Zwangsstörung zugrundeliegende übermäßige Nervenaktivität normalisiert und damit die Symptome der Zwangsstörung gelindert werden. Die konventionellen Modelle geben aber nur Signale an das Gehirn ab. Die neue Variante misst auch aktiv die Gehirnaktivität, zeichnet diese auf und kann bei bestimmten Signalen gezielt Impulse abgeben.
„Momentan befinden wir uns in der Lernphase“, berichtet Berthold Langguth, Chefarzt im Zentrum für Allgemeinpsychiatrie II der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Regensburg am medbo Bezirksklinikum.
„Die Patientin trägt ein Gerät bei sich, das mit ihrem Smartphone verbunden ist. In einer App kann sie so täglich oder auch mehrmals am Tag ihren aktuellen psychischen Zustand eingeben. Der Schrittmacher zeichnet dann die entsprechende Gehirnaktivität auf.“
Individuelle Justierung braucht Zeit
Nach einem Zeitraum von etwa 6 Wochen wird Langguth die Daten auswerten. Dann wird der Hirnschrittmacher individuell auf die Gehirnaktivität eingestellt. Die Nervenaktivität des Gehirns, die mit Zwangsgedanken einhergeht, soll durch die elektrischen Impulse möglichst gezielt durchbrochen werden.
„Diese Justierung ist äußerst komplex. Es kann deshalb bis zu 1 Jahr dauern, bis wir alle Elektroden des Schrittmachers richtig eingestellt und die individuell besten Signalkonstellationen gefunden haben“, so Langguth weiter.
Sollte sich herausstellen, dass der Schrittmacher nicht den gewünschten Erfolg bringt, kann der Schrittmacher jederzeit deaktiviert werden und auch die operative Entfernung des Gerätes ist möglich. © nec/aerzteblatt.de
Liebe Leserinnen und Leser,
diesen Artikel können Sie mit dem kostenfreien „Mein-DÄ-Zugang“ lesen.
Sind Sie schon registriert, geben Sie einfach Ihre Zugangsdaten ein.
Oder registrieren Sie sich kostenfrei, um exklusiv diesen Beitrag aufzurufen.
Login
Loggen Sie sich auf Mein DÄ ein
Passwort vergessen? Registrieren

Nachrichten zum Thema


Leserkommentare
Um Artikel, Nachrichten oder Blogs kommentieren zu können, müssen Sie registriert sein. Sind sie bereits für den Newsletter oder den Stellenmarkt registriert, können Sie sich hier direkt anmelden.