Politik
Gesundheitsökonomen für Kopfpauschalensystem
Donnerstag, 20. Februar 2020
Berlin – Für die Einführung regionaler Gesundheitsbudgets auf der Grundlage von Pauschalen je Versichertem haben sich heute in Berlin Gesundheitsökonomen der Technischen Hochschule Rosenheim und der Universität Bayreuth ausgesprochen.
Franz Benstetter, Michael Lauerer, Daniel Negele und Andreas Schmid kommen in einer Studie im Auftrag der Stiftung Münch zu dem Schluss, dass Capitiationmodelle Sektorengrenzen überwinden, die Steuerung der Patientenversorgung verbessern und zu einer spürbaren Kostenreduktion führen können.
Für die Studie untersuchten die Wissenschaftler verschiedene Kopfpauschalenmodelle in Spanien, der Schweiz, den USA und Peru. Man habe Länder ausgewählt, von denen man besonders gut lernen könne, erklärte Lauerer bei der Vorstellung der Studie in Berlin.
Zwar stelle keines der Modelle eine Ideallösung dar, die als Blaupause für Deutschland dienen könne. Es zeichneten sich aber Vorteile ab, die man auf deutsche Verhältnisse übertragen könne.
Sparen ohne Qualitätsverlust
In Spanien sei es zum Beispiel gelungen, innerhalb weniger Jahre signifikante Einsparungen zu realisieren, ohne dass die Qualität der Versorgung beeinträchtigt worden sei, erklärten die Autoren. In Peru seien durch die Capitationmodelle Wartezeiten reduziert und die Patientenzufriedenheit erhöht worden.
Auch in den USA seien diese Modelle wieder auf dem Vormarsch. Im Gegensatz zu Spanien und Peru werde dort aber nicht die gesamte Bevölkerung einer Region dem Modell zugeordnet, sondern nur ausgewählte Versicherte.
Einzig in der Schweiz, dem Mutterland von Managed Care in Europa, spielten Capitiationmodelle kaum noch eine Rolle. Dabei sind sie den Gesundheitsökonomen zufolge effizienter als andere Modelle.
Die Autoren vermuten, dass der Grund für den Niedergang unter anderem darin liegt, dass die Modelle für Leistungserbringer und Versicherte restriktiv wirkten und die Anreize durch höhere Honorare oder niedrigere Versicherungsprämien für Ärzte und Patienten nicht ausreichten.
Solche Ergebnisse müsse man bedenken, wenn man über eine Einführung von Capitationmodellen in Deutschland nachdenke. Darüber hinaus müssten in solchen Modellen Vorkehrungen zur Qualitätssicherung getroffen werden. Denn sie setzten starke Anreize zum Kostensparen, sagte Studienautor Schmid.
Digitale Infrastruktur ist unabdingbar
Capitationmodelle schafften aber auch positive Anreize. So lohne es sich, Prävention und eine koordinierte Versorgung zu fördern. Außerdem hätten die Leistungserbringer, die eine Mitverantwortung für das regionale Budget trügen, mehr Gestaltungsfreiheit.
Unabdingbar für das Gelingen sei allerdings eine funktionierende digitale Infrastruktur, die zum Beispiel über eine elektronische Patientenakte die Kommunikation der Gesundheitsberufe über Sektorengrenzen hinweg sicherstelle.
Als Grund für die Notwendigkeit eines „fundamentalen Paradigmenwechsels“ bei der Finanzierung medizinischer Leistungen nannten die Autoren den steigenden Druck auf das Gesundheitssystem.
Aufgrund der demografischen Entwicklung steige die Nachfrage nach Gesundheitsleistungen, während es zugleich an Ärzten und Pflegekräften mangele und zahlreiche Krankenhäuser sich bereits heute in finanzieller Schieflage befänden.
„Wir werden an den Punkt kommen, an dem Versorgung nicht mehr funktioniert“, warnte Schmid. Damit steige der Druck, neue Wege zu gehen. Es erhöhe aber auch die Bereitschaft der Politik zuzuhören.
Pioniergeist ist gefordert
„Die Studie zeigt, dass Capitationmodelle eine gute Alternative sein können, um Gesundheitsversorgung effizienter zu gestalten, ohne dass dabei die Versorgungsqualität leidet“, erklärte Boris Augurzky, Vorstandvorsitzender der Stiftung Münch.
Jetzt sei Pioniergeist gefordert, neue Dinge auszuprobieren, statt nur bestehende Systeme in kleinen Schritten hier und da ein wenig zu verändern. Augurzky betonte zugleich, die Regionalbudgets müssten stationäre und ambulante Leistungen abdecken, damit ein Anreiz zur Ambulantisierung stationärer Leistungen entstehe.
Außerdem sei es nicht realistisch anzunehmen, dass man das deutsche Gesundheitssystem mit einem Schlag verändern könne. „Vermutlich ist es am einfachsten, wie von den Autoren vorgeschlagen, insbesondere in ländlich geprägten Regionen mit einer überschaubaren Anzahl an Anbietern zu beginnen.
Keine Lust auf radikale Lösungen
Derweil scheint die Lust auf radikale Lösungen im deutschen Gesundheitswesen wenig ausgeprägt. So forderte die von Union und SPD eingesetzte wissenschaftliche Honorarkommission im Januar zwar Reformen sowohl für das vertrags- als auch für das privatärztliche Honorarsystem.
Grundsätzlich sprach sie sich aber dafür aus, am Nebeneinander der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) und dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) festzuhalten.
Auch die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Sektorenübergreifende Versorgung“ schlägt in ihrem Fortschrittsbericht von Januar keine grundlegenden Änderungen vor, sondern dreht an einzelnen Stellschrauben.
So soll beispielsweise zur Verbesserung der Patientenversorgung ein gemeinsamer fachärztlicher Versorgungsbereich festgelegt werden, der künftig sektorenübergreifend organisiert und einheitlich vergütet wird. © HK/aerzteblatt.de

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