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Politik

Suche nach neuen Regelungen zur Suizidbeihilfe

Montag, 2. März 2020

Das Sterbehilfe-Set, das in belgischen Aphotheken erhältlich ist. /picture alliance

Berlin – Nach dem für nichtig erklärten Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom vergangenen Mittwoch hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor einer Gewöhnung an Suizide gewarnt.

Jetzt bedürfe es eines Rahmenwerks, damit aus der Möglichkeit, Hilfe zur Selbsttötung zu erhalten, nicht eine Gewöhnung oder gar eine Verpflichtung für Schwerstkranke werde, betonte der Minister gestern im „Interview der Woche“ des Deutschlandfunks. Bereits kurz nach dem Urteil hatte er angekündigt, mit allen Beteiligten Gespräche führen zu wollen, um zu einer verfassungsgemäßen Lösung zu kommen.

Gleichzeitig verteidigte Spahn seine Weisung an das zuständige Bundesinstitut für Arz­nei­mittel und Medizinprodukte (BfArM), keine Medikamente oder Betäubungsmittel für sterbewillige Menschen auszuliefern. Er tue sich schwer mit dem Gedanken, dass der Staat oder ein Minister darüber entscheide, welcher Sterbenskranke ein Mittel zum Suizid erhalten solle, sagte er.

Rechtsexperten appellieren indes an Spahn, die Substanz Natrium-Pentobarbital für den Suizid freizugeben. Nach dem Richterspruch gebe es keinen Grund, das Medikament ster­bewilligen Schwerstkranken zu verweigern, sagte der Münchner Medizinrechtler Wolf­gang Putz. Auch der ehemalige Präsident des Deutschen Anwaltvereins, Ulrich Schellen­berg, forderte Spahn auf, „seine Blockadehaltung zu beenden“.

Bereits 2017 hatte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verlangt, dass unheilbare Kranke mit gravierenden Leiden nach einer Prüfung ihres Falls das Medikament bekom­men sollten.

Notfallmediziner mahnen schnelle Neuregelung an

Eine umgehende Erarbeitung von Konzepten, wie Suizidhilfe in Deutschland zukünftig verantwortungsvoll geregelt und praktiziert werden soll, fordert die Deutsche Interdiszi­pli­näre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI).

„Die Sterbehilfe-Gesetzge­bung ist lückenhaft und muss so schnell wie möglich präzisiert werden“, sagte Uwe Janssens, Präsident der DIVI. Das Gerichtsurteil stelle zugleich auch klar, dass der Staat zum Schutz des Lebens und der autonomen Willensbildung aller Bür­ger durchaus das Recht und die Pflicht habe den Bereich der Suizidhilfe zu reglementie­ren.

Die DIVI will sich konstruktiv an den jetzt anstehenden medizinischen, gesellschaftlichen und politischen Diskussionen beteiligen: Einerseits müssten die Rechte von Sterbewilli­gen geschützt und der Weg zu Suizidhilfe in begründeten Einzelfällen geregelt werden.

„Andererseits müssen wir Klarheit darüber schaffen, wie die Mehrheit von alten und kran­ken Menschen vor einem sozialen Druck zur Inanspruchnahme von Suizidhilfe geschützt werden kann“, unterstrichen die Ethik-Experten der DIVI, Gerald Neitzke vom Institut für Geschichte, Ethik und Philosophie der Medizin an der Medizinischen Hochschule Hanno­ver sowie Gunnar Duttge vom Zentrum für Medizinrecht an der Georg-August-Universität Göttingen.

FDP legt Sechs-Punkte-Papier vor

Zu einem neuen Anlauf für ein fraktionsübergreifendes liberales Sterbehilfegesetz hat unterdessen die FDP-Fraktion bereits aufgerufen. Die FDP-Abgeordnete Katrin Helling-Plahr verschickte ein sechs Punkte umfassendes Papier an die Parlamentarier.

Nach ihren Vorstellungen muss eine suizidwillige Person „freiverantwortlich“ zu dem Sterbewunsch und -entschluss gelangt sein. Der Sterbewunsch „muss von Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit geprägt sein“. Der ausgesuchte Arzt müsse zudem die suizidwillige Person über Behandlungsoptionen und Alternativen aufklären und das Verfahren der institutionalisierten Hilfe zur Selbsttötung darstellen.

Er müsse sich davon überzeugen, dass die Person freiverantwortlich handle und ernsthaft zu sterben wünsche. Zudem soll sich die suizidwillige Person nach der ersten Konsulta­ti­on eines Arztes einer Beratung durch eine unabhängige Beratungsstelle unterziehen. Die Beratung der institutionalisierten Hilfe zur Selbsttötung müsse durch ausreichendes, persönlich und fachlich qualifiziertes Personal erfolgen.

Dignitas will Suizidbeihilfe anbieten

Der Schweizer Verein Dignitas kündigte heute an, auch in Deutschland wieder Menschen beim Suizid helfen zu wollen. Derzeit müsse man jedoch Antragsteller noch etwas ver­trös­ten, sagte die Dignitas-Vorsitzende in Deutschland, Sandra Martino, vor der Presse in Berlin. Zunächst seien noch einige „Knackpunkte“ zu klären.

So verbiete die Berufsordnung der Ärzte in vielen Landesärztekammern die Suizidhilfe. Ferner stehe das „beste Mittel“ für einen Suizid – Natrium-Pentobarbital – für die Hu­man­medizin zurzeit nicht zur Verfügung. Man sei jedoch mit Hochdruck dran, das zweit­bes­te Mittel für den Suizid ausfindig zu machen. Einen genauen Zeitpunkt, wann Dignitas nach dem Urteil den ersten Suizid in Deutschland begleiten werde, konnte Martino noch nicht nennen.

Der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), Robert Roß­bruch, sagte heute in Berlin, es hätten sich bereits Ärzte bei seiner Organisation die Be­reitschaft signalisiert, ärztliche Assistenz bei einem freiverantwortlichen Suizid zu leis­ten. Anfragen zur Beihilfe am Suizid werde man an diese Mediziner weiterleiten. Dabei wolle man darauf achten, dass diese Ärzte nicht die Absicht hätten, Gewinne zu erzielen.

Die verfasste Ärzteschaft forderte Roßbruch auf, ihr Berufsrecht in „eine verfassungskon­forme Form“ zu bringen und Suizidbeihilfe nicht mehr zu verbieten. Zudem verwies die DGHS auf eine ab sofort gemeinsam mit Dignitas betriebene Beratungsstelle. Unter dem Namen „Schluss.PUNKT“ wollen die beiden Vereine eine „niederschwellig und ergebnis­offen“ beraten. Ziel dieser Beratungsstelle sei es , kurzschlüssige und riskante Suizidver­suche zu verringern und wohlerwogene Suizide zu ermöglichen, sagte Roßbruch.

Der Präsident der Bundes­ärzte­kammer (BÄK), Klaus Reinhardt, hatte kurz nach dem Urteil darauf hingewiesen, dass das BVerfG zwar dem Selbstbestimmungsrecht am Ende des Le­bens wei­ten Raum zugesprochen habe, es aber auch die Notwendigkeit für eine gesetz­ge­berische Regulierung der Beihilfe zur Selbsttötung sehe, da von einem unregulierten Angebot ge­schäftsmäßiger Suizidhilfe Gefahren für die Selbstbestimmung ausgehen könnten.

Die Richter hätten außerdem ausgeführt, dass dem Gesetzgeber zum Schutz dieser Selbst­­­­­bestimmung über das eigene Leben in Bezug auf organisierte Suizidhilfe ein brei­tes Spektrum an Möglichkeiten von Einschränkungen offenstehe, die ausdrücklich auch im Strafrecht verankert oder durch strafrechtliche Sanktionierung von Verstößen abge­sichert werden könnten.

Das Urteil sei deshalb als Auftrag an den Gesetzgeber zu verstehen, diese Mög­lich­keiten auszuloten und rechtssicher auszugestalten, betonte Reinhardt. „Die Gesell­schaft als Gan­zes muss Mittel und Wege finden, die verhindern, dass die organisierte Beihilfe zur Selbst­­­tötung zu einer Normalisierung des Suizids führe.

Soweit das Gericht auf die Konsistenz des ärztlichen Berufsrechts abhebe, werde dem­nächst auch eine in­ner­ärztliche Debatte zur Anpassung des ärztlichen Berufsrechts erfor­derlich sein, erklärte Reinhardt.

Positiv bewertet der BÄK-Präsident, dass auch künftig kein Arzt zur Mitwirkung an einer Selbsttötung verpflichtet werden kann. Die Aufgabe von Ärzten sei es, un­ter Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten Leben zu erhalten. Beihilfe zum Suizid gehöre unverändert nicht zu den Aufgaben von Ärzten. © ER/kna/dpa/aerzteblatt.de

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