Medizin
Opioid-Krise: US-Experten fordern Hepatitis C-Screening aller Erwachsenen
Dienstag, 10. März 2020
Washington – Die US Preventive Services Task Force (USPSTF) rät allen Erwachsenen im Alter von 18 bis 79 Jahren, sich auf Hepatitis C-Screening testen zu lassen.
Die entsprechende Grad B-Empfehlung wurde im Amerikanischen Ärzteblatt (JAMA 2020; doi: 10.1001/jama.2020.1123) veröffentlicht und mit einem Evidenz-Report begründet (JAMA 2020; doi: 10.1001/jama.2019.20788). Hintergrund ist eine steigende Zahl von Hepatitis C-Erkrankungen infolge der Opioid-Krise und ein Preisrückgang bei den Medikamenten.
Viele US-Amerikaner, die infolge von leichtfertig verordneten Schmerzmitteln eine Opioidsucht entwickelt haben, sind auf illegale Drogen gewechselt, die intravenös konsumiert werden. Die unvermeidliche Folge war ein Anstieg von Hepatitis C-Erkrankungen.
Nachdem die Inzidenzen in den Jahren 1995 bis 2011 (wegen der Testung der Blutprodukte) um mehr als 95 % gefallen war, hat es nach Schätzungen der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) seither einen Anstieg um 140 % gegeben.
Derzeit infizieren sich jedes Jahr schätzungsweise 44.700 US-Amerikaner mit dem Virus, das nach einer jahrzehntelangen chronischen Infektion die Leber zerstören oder Leberkrebs verursachen kann.
Das Hepatitis C-Virus ist aktuellen Berechnungen zufolge in den USA für mehr Todesfälle verantwortlich als alle in der Häufigkeit folgenden 60 Infektionskrankheiten zusammen, einschließlich HIV und Tuberkulose.
Mit der Einführung der direkten antiviralen Wirkstoffe (DAA) ist seit 2013 eine Ausheilung der Infektion mit hoher Wahrscheinlichkeit und ohne Injektion der schlecht verträglichen Interferone möglich. Die exorbitanten Preise von 1.000 US-Dollar pro Tablette machten die Behandlung jedoch anfangs für die meisten Patienten unerschwinglich, und die Versicherungen weigerten sich in der Regel, die Kosten zu übernehmen (wenn die Infizierten überhaupt versichert waren).
Inzwischen sind die Preise auf 26.400 US-Dollar für eine Behandlung über 8 Wochen gesunken, die in über 95 % eine SVR („sustained virologic response“) erzielt, was in der Regel mit einer dauerhaften Heilung verbunden ist. Die US-Staaten Washington und Louisiana haben bei den Herstellern eine „Flat-Rate“ gekauft, die der Bevölkerung auf Kosten des Staates Tests und Behandlungen anbietet.
Vor diesem Hintergrund dürften die neuen Empfehlungen der USPSTF von den meisten Experten begrüßt werden. Die USPSTF erstellt im Auftrag des Gesundheitsministeriums Empfehlungen, die für die staatlichen Gesundheitsprogramme Medicare und Medicade teilweise bindend sind. Im Jahr 2013 hatte die USPSTF nur den Jahrgängen 1945 bis 1965 zu einem einmaligen Test geraten.
Diese „Baby Boomer“ hatten ein erhöhtes Risiko, weil das damals nicht bekannte Virus über Blutprodukte verbreitet worden war. Inzwischen ist dieses Infektionsrisiko weggefallen. Die neue Opioid-Krise betrifft dagegen meist jüngere Jahrgänge, denen bisher nicht zum Test geraten wurde.
Die USPSTF rät jetzt allen Erwachsenen im Alter von 18 bis 79 Jahren, sich testen zu lassen, und versieht die Empfehlung mit einem Grad B. Damit müssen Medicare und Medicaid den Test (und anschließend die Behandlung) finanzieren und zwar in der Regel ohne Eigenanteil. Weil große Krankenversicherer erfahrungsgemäß nachziehen, könnte dies zu einer Zunahme von Behandlungen führen.
Die USPSTF stützt die Empfehlung wie üblich auf einen Evidenzreport. Die Evidenz der Empfehlungen ist allerdings gering. Eine randomisierte Studie zum Nutzen des Screenings wurde niemals durchgeführt (und es wird sie wohl auch in der Zukunft nicht geben). Auch die Schätzungen zu der Zahl der Personen, die gescreent werden müssen, um eine Erkrankung zu entdecken, sind vage.
Die Number Needed to Screen liegt bei 15 (bei einem Risiko-basierten Screening) und 29 bei einem Screening ganzer Geburtsjahrgänge. Dies sind relativ günstige Werte. Sie erklären sich durch die hohe Prävalenz der chronischen Hepatitis C in den USA. Die CDC schätzen, dass nicht weniger als 2,4 Millionen US-Amerikaner infiziert sind (bei 327 Millionen Einwohnern).
Auch die Auswirkungen der Behandlung auf die langfristige Gesundheit wurden bisher nicht in randomisierten Studien untersucht. Die zahlreichen Therapiestudien beschränkten sich in der Regel auf den Nachweis einer SVR. Die USPSTF konnte allerdings 13 epidemiologische Studien ausfindig machen.
Danach ist eine SVR mit einem verringerten Sterberisiko (gepoolte Hazard Ratio 0,40; 95-%-Konfidenzintervall 0,28 bis 0,56) und einer leberbedingten Mortalität (gepoolte Hazard Ratio, 0,11; 0,04 bis 0,27) verbunden. Das Risiko auf eine Zirrhose (gepoolte Hazard Ratio 0,36; 0,33 bis 0,40) und auf ein hepatozelluläres Karzinom (gepoolte Hazard Ratio 0,29; 0,23 bis 0,38) war ebenfalls deutlich und signifikant vermindert.
Keine Zweifel bestehen hinsichtlich der Wirksamkeit der DAA. Die SVR beträgt bei Infektionen mit dem Genotyp 1, der in den USA am häufigsten auftretenden Virusvariante, bei 97,7 % (96,6 bis 98,4 %). Bei den Genotypen 2 bis 6 liegen die SVR-Raten zwischen 95,5 und 98,9 %.
Die Behandlung ist zudem risikolos, gut verträglich und sicher. Bei einer aktiven Erkrankung kommt es nicht selten unter der Behandlung zu einer Verminderung latenter Hepatitis-Symptome wie Abgeschlagenheit, Kopfschmerzen oder Nausea. Die Abbruchrate in den klinischen Studien war deshalb in der Regel gering. © rme/aerzteblatt.de
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