Ärzteschaft
Telemedizin: Kräftiger Schub für Videosprechstunden
Montag, 16. März 2020
Berlin - In Zeiten der Coronakrise gerät die Videosprechstunde als ein mögliches Instrument der Eindämmung der Virus-Epidemie neu in den Blick. So sollten Patienten mit Virus-Symptomen den Gang zum Arzt wegen der hohen Ansteckungsgefahr im Wartezimmer möglichst vermeiden.
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) empfiehlt die telefonische Kontaktaufnahme mit der Arztpraxis. Effektiver wäre in vielen Fällen nach Meinung von Experten jedoch die Videosprechstunde, weil sie eine risikofreie Ersteinschätzung sowie im Anschluss daran eine individuelle Fernbehandlung ermöglicht.
Bislang nutzen vergleichsweise wenige Ärzte und auch Patienten die Möglichkeit der ärztlichen Videokonsultation, obwohl sie seit 2018 auch in Deutschland ohne vorherigen Erstkontakt erlaubt ist. Das liegt unter anderem daran, dass das elektronische Rezept und die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch nicht umgesetzt sind und entsprechende Videodienste teilweise nicht in die Praxis-IT der Ärzte integriert sind.
Viele Telemedizinanbieter nutzen daher jetzt die Corona-Krise, um stärker auf dem Markt Fuß zu fassen und weitere Nutzer sowohl auf Ärzte- als auch Patientenseite zu gewinnen, oftmals indem sie ihre Produkte für eine begrenzte Zeit kostenfrei zur Verfügung stellen.
Viele kostenfreie Angebote
„Die Videosprechstunde kann die Verbreitung des Virus verlangsamen und schützt andere Patient*innen – insbesondere chronisch und ernsthaft Erkrankte – und das medizinische Personal vor einem unnötigen Infektionsrisiko“, schreibt etwa der Health Innovation Hub, der digitale Think Tank des Bundesgesundheitsministeriums in Berlin. Er hat daher auf seiner Webseite eine Liste mit Anbietern zusammengestellt, die für die nächsten Monate einen kostenfreien Zugang zu ihren Lösungen anbieten.
Darüber hinaus zertifiziert die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) bereits seit längerem Anbieter, die Ärztinnen und Ärzten eine Abrechnung ihrer Videosprechstunde ermöglichen. Denn Ärzte oder Psychotherapeuten können Leistungen im Rahmen der Videosprechstunde erst dann abrechnen, wenn sie ihrer Kassenärztlichen Vereinigung (KV) zuvor angezeigt haben, einen zertifizierten Dienstanbieter zu nutzen.
Die zertifizierten Dienste sind laut KBV zumeist ohne große Vorkenntnisse, Hardware-Investitionen oder sonstiges technisches Know-how in den Praxisalltag zu integrieren.
Integrierte Lösungen
Inzwischen verzeichnen die Hersteller von Praxissoftware seitens der Arztpraxen ein zunehmendes Interesse an integrierten Lösungen für die Onlinesprechstunde. Im Rahmen des sich immer weiter ausbreitenden COVID-19-Virus hat auch die CompuGroup Medical (CGM) entschieden, die eigene Videosprechstundenlösung „Clickdoc“ bis auf Weiteres kostenfrei für alle Ärzte zur Verfügung zu stellen.
Ziel sei es, Medizinern zu ermöglichen, auf diesem Wege ihre Patienten zu betreuen, ohne dass diese dafür in die Arztpraxis kommen müssen, teilte das Unternehmen mit. So könnten Ärzte, Praxisteams und andere Patienten in vielen Fällen dem Ansteckungsrisiko durch Patienten mit Verdacht auf eine Infektion mit COVID-19 entgehen. Seit Beginn der Aktion haben sich bereits rund 5.000 Ärzte für diese KBV-zertifizierte Videosprechstunde registriert, berichtete CGM.
Auch das Arztsoftwarehaus medatixx hat mit „x.onvid powered by Patientus“ eine Videosprechstundenlösung mit KBV-Zertifikat im Portfolio. Das Unternehmen bietet das Modul für die Videosprechstunde ab sofort kostenfrei für einen Zeitraum von sechs Monaten an.
„Wir möchten in der aktuell angespannten Situation einen Beitrag zum Schutz und zur Entlastung unserer Kunden und ihrer Patienten leisten; deshalb haben wir uns zu diesem Angebot entschlossen“, sagte Jens Naumann, Geschäftsführung medatixx. Nach Ablauf der sechs Monate kann die Praxis dann entscheiden, ob sie x.onvid weiter nutzen will.
Seit Beginn der Aktion verzeichnet das Unternehmen nach eigenen Angaben „einen deutlichen Anstieg sowohl bei Anfragen als auch bei Bestellungen um rund 60 Prozent“.
Die Anlage eines Termins und der Aufruf der Videokonferenz sind direkt aus der Praxissoftware heraus möglich. Der behandelnde Arzt benötigt hierfür neben dem PC/Laptop eine Webcam, ein Headset und einen Internetzugang. Der Patient loggt sich online über eine TAN per PC/Laptop oder Smartphone in die Videosprechstunde ein.
Starke Nachfrage von Pneumologen
Das Interesse vieler Ärzte an Telemedizinlösungen sei in den letzten Tagen sprunghaft gestiegen, berichtete auch das deutschlandweite Ärztenetzwerk NeuroTransData (NTD). Vor allem die Rezeptbestellung und die Videosprechstunde seien gefragt. Das Netzwerk nutzt die Therapiemanagement-Plattform Patient Plus. Innerhalb eines Tages hätten sich circa 40 Pneumologen des Gesundheitsnetzes Süd eG in Baden-Württemberg an die Videosprechstunde der Plattform angebunden, um die Patientenströme besser zu steuern.
„Wir wollten unseren Patienten mithilfe der Videosprechstunde den komfortablen Service bieten, nicht notwendige persönliche Kontakte zu minimieren und darüber hinaus ihre Rezepte und Medikamente einfach online bestellen zu können“, erklärte Arnfin Bergmann, Neurologe und NTD-Geschäftsführer. Die gemeinsam mit der Deutschen Arzt AG von vitabook entwickelte Lösung ist jetzt bundesweit für alle Ärzte verfügbar und in den nächsten drei Monaten für alle Ärzte kostenfrei nutzbar.
Die Handhabung: Der Patient hält seine Gesundheitskarte in die Kamera und wird so identifiziert. Im Anschluss an die Behandlung kann der Arzt das Rezept erstellen und die vom Patienten benannte Apotheke auswählen. Die Apotheke beschafft sich im Nachgang das Rezept und kann die Ware direkt an den Patienten liefern. Der Patient braucht also weder für die Sprechstunde noch für die Beschaffung von Rezept und Medikament das Haus zu verlassen.
Interesse bei Psychotherapeuten
Arztkonsultation.de gehört ebenfalls zu den Anbietern, die eine stark wachsende Nachfrage im Zuge der Epidemie verzeichnen.
„Wir erleben gerade eine Offenheit für die Videosprechstunde, die in diesem Ausmaß neu ist“, so ein Sprecher des Unternehmens. Das betreffe nicht nur Ärzte, sondern auch Psychotherapeuten.
Der zertifizierte Anbieter stellt seine Software für die Dauer der Krise allen Haus- und Fachärzten, die den Dienst noch nicht nutzen, kostenfrei zur Verfügung. Für gesetzlich Versicherte ist die Videosprechstunde stets kostenfrei.
Die kürzlich vorgestellte neue Version setzt nach Angaben des Anbieters auf eine modulare Softwarearchitektur, sodass die Videosprechstunde durch Änderungen an einzelnen Modulen flexibel angepasst und konfiguriert werden kann und individuelle Integrationen einfacher möglich werden.
Das Münchner Unternehmen TeleClinic war bislang vor allem im Bereich der privaten Krankenversicherung mit seiner Videosprechstunde vertreten, hat zuletzt jedoch auch in Baden-Württemberg in einem Telemedizinprojekt mit der dortigen KV Erfahrungen im GKV-Bereich gesammelt.
aerzteblatt.de
Für das Jahr 2020 erwartet das Unternehmen eine Verfünffachung der Onlineberatungsgespräche und wird nach eigenen Angaben die Marke von 100.000 Fernbehandlungen knacken. Das Unternehmen stellt inzwischen bis Mitte April das direkte Videogespräch mit einem Arzt des Anbieters kostenfrei zur Verfügung (beschränkt auf ein Gespräch pro Person). Krankschreibungen und Rezepte können nach Auskunft des Unternehmens ebenfalls ausgestellt werden.
Ab dem Sommer will TeleClinic nach der Zertifizierung durch die KBV zudem auch bundesweit für gesetzlich versicherte Patienten verfügbar sein. Knackpunkt ist dabei die Integration der Online-Sprechstunde in die Praxisverwaltungssoftware, denn bei Nutzung der TeleClinic wie auch vieler anderer Videosprechstundenlösungen müssen die Ärzte parallel zur herkömmlichen Praxissoftware dokumentieren.
Auch jameda, ein Unternehmen der Hubert Burda Media und nach eigenen Angaben Marktführer für Online-Arzttermine, bietet niedergelassenen Allgemeinmedizinern die KBV-zertifizierte Videosprechstunde für einen Zeitraum von sechs Monaten ab sofort zur kostenfreien Nutzung an. Der Rücklauf bestätige die erwartet hohe Nachfrage:
„Weit über 100 Ärzte haben sich in den letzten Tagen für das kostenlose Testangebot der Videosprechstunde angemeldet. Jeden Tag kommen weitere Ärzte dazu, die dieses Angebot in Anspruch nehmen möchten“, so die Pressesprecherin des Unternehmens auf Anfrage des Deutschen Ärzteblattes. © KBr/aerzteblatt.de

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