Ärzteschaft
Überlastung deutscher Krankenhäuser durch COVID-19 laut Experten unwahrscheinlich
Donnerstag, 12. März 2020
Köln - Berichte über die zugespitzte Situation in Italien werfen auch hierzulande die Frage auf, ob die deutschen Krankenhäuser der COVID-19-Pandemie gewachsen sind. Hinsichtlich der räumlichen und technischen Kapazitäten sehen Experten Deutschland gut gerüstet, mehr Sorgen bereitet die Personalausstattung der Kliniken, wie bei einem Press Briefing des Science Media Center deutlich wurde.
Reinhard Busse, Leiter des Fachgebiets Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin und Co-Direktor des European Observatory on Health Systems and Policies, betonte, dass auch die italienischen Verhältnisse „uns noch längst nicht überlasten würden“. Das sei mit den jetzigen Strukturen noch sehr gut händelbar. Voraussetzung sei natürlich, dass „wir das Personal entsprechend schützen können und dieses uns nicht fehlt“.
Seinen Angaben nach verfügt Deutschland über rund 27.000 Intensivbetten – das sei im internationalen Vergleich ein relativ hoher Anteil an der Gesamtbettenzahl von 450.000. Zwar stehe nicht an jedem dieser 27.000 Betten ein Beatmungsgerät. Dennoch sei Deutschland was die Intensivstationen angehe deutlich besser ausgestattet als zum Beispiel Italien – und zwar etwa um den Faktor 2,5 besser.
Demzufolge „unterscheidet sich nicht nur die epidemiologische Situation, sondern auch die Versorgungssituation“, sagte Busse.
Ob die Versorgungskapazitäten ausreichen würden, wenn sich in Deutschland eine Situation wie derzeit in Italien beziehungsweise dort in der Lombardei ergeben würde, hängt Busse zufolge auch von der Verweildauer der COVID-19-Patienten auf der Intensivstation ab.
Erfahrungen aus Italien zeigten, dass beatmungspflichtige COVID-19-Patienten etwa 1 Woche auf der Intensivstation liegen würden. Bei sieben Tagen Beatmungspflicht reichten die 27.000 Intensivbetten rein rechnerisch für die Aufnahme von 4.000 Patienten am Tag. Allerdings werde es natürlich weiterhin andere Intensivpatienten geben. Bei Vorhalten von 50 % der Kapazitäten für COVID-19-Patienten aus, käme man somit auf 2000 mögliche Neuaufnahmen am Tag.
„Geht man davon aus, dass 10 % beatmungspflichtig werden, müssten für 2.000 Neuaufnahmen am Tag, 20.000 Menschen pro Tag neu an COVID-19 erkranken“, sagte Busse. Daraus schlussfolgert er, dass „wir mit unseren Kapazitäten gut hinkommen“.
Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin sowie Leiter der dortigen Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen an der München Klinik Schwabing, betonte allerdings, dass es letztlich wohl weniger an den Betten und den Beatmungsgeräten hängen werden.
„Das sind Dinge, die man schnell verfügbar machen kann. Zum Schluss wird es auch am Personal hängen“, sagte er. Da müsse ganz klar der Elektivbereich heruntergefahren werden, um in der COVID-19-Pandemie-Phase auch Patienten in Not behandeln zu können.
Ausreichend Personal durch Verzicht auf elektive Behandlungen
Zwar fehlen in den Krankenhäusern bereits jetzt – und ohne Corona-Pandemie – Pflegekräfte, aber dies sei durch eine Umschichtung handhabbar. „Wir haben trotzdem, bezogen auf die Bevölkerung deutlich mehr Pflegekräfte als etwa in Italien, weil wir auch mehr Betten und Patienten haben“, erklärte Busse.
Würden elektive Aufnahmen heruntergefahren, dann stünde auch das Pflegepersonal, das derzeit dort gebunden sei für die COVID-19-Patienten zur Verfügung. „Durch Umschichtung und Vorbereitung lässt sich das Problem in den Griff bekommen“, gab sich Busse zuversichtlich.
Von der Politik sei für die Umstellung der deutschen Krankenhäuser auf die Corona-Behandlung allerdings ein klares Signal erforderlich, sagte Uta Merle, kommissarische Ärztliche Direktorin der Klinik für Gastroenterologie, Infektionen und Vergiftungen am Universitätsklinikum Heidelberg.
Es dürfe nicht plötzlich ein finanzieller Nachteil entstehen, weil eine Klinik viele Corona-Patienten behandelt habe. Ohne ein solches Signal bestünde die Gefahr, dass Kliniken doch lieber „dabei bleiben, Hüftgelenkersatz zu machen" © nec/aerzteblatt.de

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