Medizin
Keine Evidenz für erhöhte Gefährdung von COVID-19-Patienten unter Ibuprofen
Donnerstag, 19. März 2020
Berlin – Zunächst hatte die Universität Wien explizit dementiert, von ihr komme die Nachricht, Ibuprofen gehe mit einer Risikoerhöhung im Falle einer Covid-19-Infektion einher. Doch kurze Zeit später sprach die WHO eine explizite Warnung aus: Ibuprofen solle nicht eingesetzt werden, um Symptome der Infektion mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 zu behandeln.
Damit stellte sich die WHO hinter eine ähnliche Aussage des Französischen Gesundheitsministers, Oliver Veran, der dies zunächst über Twitter verbreitet hatte. Antientzündliche Medikamente wie Ibuprofen oder Kortison würden die Coronavirus-Infektion aggravieren, lautete die Botschaft: „Wenn Sie Fieber haben, nehmen Sie Paracetamol“. In der Zwischenzeit versuchten Ärzte, Laien und Journalisten nicht zuletzt auf zahlreichen sozialen Medien eine Antwort auf solch widersprüchliche Meldungen zu geben.
„Für mich ist die WHO-Warnung keineswegs schlüssig, ich halte sie für völlig überzogen“, urteilte Bernd Mühlbauer, Direktor des Institutes für Klinische Pharmakologie am Klinikum Bremen Mitte und Vorstandsmitglied der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblattes. Zwar sei an der Empfehlung, eher Paracetamol als Schmerzmittel zu verwenden, nichts auszusetzen, weil es sich im Vergleich zu der Gruppe der nicht-steroidalen Schmerz- und Entzündungshemmer um ein sehr sicheres Mittel handele. Allerdings seien die lediglich „kursorischen Mitteilungen“, aufgrund derer man jetzt unter anderem vor Ibuprofen warne, weit weg von jeder Evidenz, so der Facharzt für Klinische Pharmakologie.
Damit lag der Experte richtig, denn inzwischen hat die WHO ihre Aussage revidiert. Das Beispiel belegt, dass selbst Institutionen wie die WHO, die über einen umfangreichen Pool von Fachleuten verfügen, in einer solchen Situation offenbar voreilige Schlussfolgerungen ziehen. Wie kam es dazu? Hintergrund für die Warnung waren Hinweise aus einem französischen Krankenhaus, wonach sich der Zustand von vier jüngeren französischen Patienten ohne Vorerkrankungen während einer COVID-19-Infektion nach Gabe von antientzündlichen Medikamenten wie Ibuprofen verschlimmerte. Ein Pharmakologe von Zentralhospital in Toulouse, Jean-Louis Montastruc, gab den Bedenken zusätzlich Nahrung, indem er darauf verwies, dass die Empfehlungen in Frankreich ohnehin bei Ibuprofen zur Vorsicht raten, wenn es um die Therapie von Fieber geht.
Auch aus England kamen prompt einschlägige Hinweise auf mögliche Risikoerhöhungen. Das British Medical Journal zitiert Paul Little, einen Professor der University of Southhampton, demzufolge kardiale, septische und respiratorische Komplikationen bei Atemwegsinfektionen häufiger vorkämen, wenn NSAID eingesetzt würden. Andere fürchten, dass Ibuprofen die Immunantwort dämpfe und auf diese Weise schwereren Verläufen den Weg bereiten könne. Ian Jones, Virologe an der University of Reading, vermutet, dass Ibuprofen über den Einfluss auf den Wasser- und Elektrolythaushalt einer Pneumonie Vorschub leiste, wie man sie öfter in den schwerwiegenden Fällen sehe.
In dieses Bild passt auch, dass Ibuprofen zu jenen Medikamenten gezählt wird, die die Zahl der ACE2-Bindungsstellen an Zellen erhöhen – über die wiederum das neue Coronavirus in die Zellen gelangt. Es handelt sich um das Angiotensin-Converting-Enzym 2, das als Membran-ständige Aminopeptidase insbesondere in der Lunge, aber auch am Herzen und in anderen Organen vorkomme. Wissenschaftler hatten aktuell in der Fachzeitschrift Lancet darauf hinweisen, dass die Zahl dieser Virus-Kupplungsstellen durch Ibuprofen erhöht wird.
Da die Klasse der nicht-steroidalen Antiphlogistika das kardiovaskuläre Risiko erhöht, könnte auch daher ein potentielles Schadenspotential für gefährdete Patienten liegen (4). Nicht nur fast schon berüchtigte Coxibe wie das 2004 vom Markt genommene Rofecoxib, sondern auch bis zur Publikation einer einschlägigen Meta-Analyse zunächst unverdächtigen Substanzen wie Ibuprofen und Diclofenac können nicht mehr freigesprochen werden (5).
Weil das alles scheinbar plausibel klang und zudem die WHO ihre Warnung aussprach, hatte sich die EMA (European Medicines Agency) eingeschaltet und ihrerseits eine Stellungnahme veröffentlicht (6). Diese hat all jenen Experten den Rücken gestärkt, die vor vorschnellen Schlussfolgerungen und Panikmache gewarnt hatten: Die europäische Arzneimittelbehörde hatte bekannte Daten zu Ibuprofen und anderen Virusinfektionen geprüft und angekündigt, die Entwicklung zeitnah zu beobachten und zu kommentieren. Ihr Fazit: Es gebe derzeit für entsprechende Befürchtungen in Bezug auf Ibuprofen keinerlei Evidenz. Einen Tag später hat nun die WHO ihre eigene, erst zwei Tage zuvor ausgesprochene Warnung revidiert. Sie rät nun aktuell „nicht von der Einnahme von Ibuprofen ab“. © mls/aerzteblatt.de

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