Medizin
COVID-19: Wird warmes und feuchtes Wetter die Epidemie abschwächen?
Montag, 23. März 2020
Cambridge, Massachusetts − 9 von 10 Infektionen mit SARS-CoV-2 sind bisher in Regionen aufgetreten, in denen die durchschnittlichen Tagestemperaturen zwischen 3°C und 17°C lagen und die absolute Luftfeuchtigkeit 4 bis 9 g/m3 betrug. US-Forscher sagen in Social Science Research Network (SSRN 2020; doi: 10.2139/ssrn.3556998) ein Ende der Epidemie für den Sommer vorher.
Die Influenza und viele grippale Infekte treten bevorzugt in den Wintermonaten auf. Dies gilt auch für die 4 seit längerem weltweit verbreiteten Coronaviren, die nur leichte Erkältungen verursachen. Auch bei SARS-CoV-2 deutet sich eine Saisonalität an, findet Qasim Bukhari vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, Massachusetts.
So würden in Ländern, in denen die Erkrankungszahlen derzeit am stärksten steigen, wie Italien, Iran und Südkorea ähnliche Witterungsbedingungen herrschen wie in Hunan und anderen chinesischen Städten, wo sich das Virus Anfang des Jahres stark ausgebreitet hat. Die Tagesdurchschnittstemperatur lag dort im Februar und März zwischen 3°C und 10°C. In Ländern mit wärmerem und feuchtem Klima wie Singapur, Malaysia, Thailand und anderen südostasiatischen Ländern seien die Wachstumsraten dagegen deutlich geringer.
Auch innerhalb der USA gebe es ein auffälliges Nord-Süd-Gefälle. In den nördlichen (kühleren) Staaten würden derzeit mehr Erkrankungen auftreten als in den südlichen (wärmeren) Staaten. Selbst in Kalifornien sei die Zahl der Fälle im Norden doppelt so hoch wie im Süden. Es gibt allerdings zwei Ausreißer. Oregon hat, obwohl relativ weit nördlich (und zwischen den Epizentren in Kalifornien und Washington) gelegen, weniger Erkrankungen als Louisiana im tiefen Süden.
Für eine Klimaabhängigkeit spricht laut Bukhari, dass sich die Epidemie in Südasien, im Nahen Osten und in Südamerika deutlich langsamer ausbreite, obwohl dort vielfach nicht dieselben drastischen Maßnahmen ergriffen würden wie in China, Europa und Nordamerika.
Das Gegenargument, dass die engen Verbindungen zwischen China, Europa und Nordamerika die raschere Ausbreitung erklären, lässt Bukhari nicht gelten. Dann hätte es auch in Südostasien zu einer rascheren Ausbreitung kommen müssen.
Länder wie Malaysia, Thailand, die Philippinen und Kambodscha seien wirtschaftlich eng mit China verknüpft und anders als Hongkong, Singapur und Taiwan verfügten sie nicht über die Infrastruktur, um eine Ausbreitung aufzuhalten. China habe auch intensive wirtschaftliche Beziehungen nach Afrika und Lateinamerika, wo die Erkrankungszahlen niedrig geblieben seien. Dem Argument, dass es in Afrika schlicht an Tests fehlt, hält Bukhari entgegen, dass eine starke Ausbreitung den Medien kaum entgangen wäre.
Ob Bukhari recht behalten wird, bleibt abzuwarten. Bis zum 11. März waren 90 % aller Infektionen an Orten mit einer durchschnittlichen Tagestemperatur von unter 11°C aufgetreten. Dies hätte bedeutet, dass der Frühling in vielen Ländern die Epidemie beendet hätte. In der Woche zwischen dem 11. und 18. März ist es dann jedoch im Nahen Osten, in Südamerika, Asien und Afrika zu einem Anstieg von Erkrankungen gekommen. Dort lagen die Temperaturen vielfach zwischen 16°C und 18°C, die hierzulande erst im Sommer überschritten werden.
Der 2. klimatische Faktor, der die Ausbreitung beeinflussen könnte, ist die Luftfeuchtigkeit. Nach den Berechnungen von Bukhari sind bisher 90 % aller Infektionen bei einer absoluten Luftfeuchtigkeit zwischen 4 und 9 g/m3 aufgetreten. Eine hohe Luftfeuchtigkeit soll die Ausbreitung von Atemwegserkrankungen hemmen.
Bei einer kalten Luft ist die absolute Luftfeuchtigkeit gering, weil kalte Luft weniger Wasser aufnehmen kann als warme Luft. Bei Temperaturen zwischen 15°C und 25°C reicht eine relative Luftfeuchtigkeit von 60 %, um 9 g/m3 aufzunehmen. Diese Werte werden im nächsten Monat in Indien, Pakistan und Bangladesch erreicht. Wenn Bukharis Hypothese zutrifft, dann sollten die Erkrankungszahlen in diesen Regionen nicht weiter ansteigen.
Zu ähnlichen Ergebnissen waren chinesische Forscher Anfang des Monats gekommen. Jingyuan Wang von der Tsinghua-Universität und Mitarbeitern in Peking war aufgefallen, dass die Zahl der Neuerkrankungen in 100 chinesischen Städten mit dem Anstieg von Temperatur und Luftfeuchtigkeit zurückging.
Ein Grad Celsius Temperaturanstieg senkte die Basisreproduktionszahl um 0,0383. Für jede Zunahme der relativen Luftfeuchtigkeit um 1 % ging die Basisreproduktionszahl um 0,0224 zurück. Die Basisreproduktionszahl ist die durchschnittliche Zahl von Personen, die ein Infizierter ansteckt. Sie ist in China in den letzten Wochen so weit gesunken, dass im Land keine Neuinfektionen mehr auftreten. © rme/aerzteblatt.de

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