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Politik

Medizinethiker plädieren für Orientierung an der Erfolgsaussicht bei einer Triage

Donnerstag, 26. März 2020

/gpointstudio, stock.adobe.com

Berlin – Angesichts der schnell steigenden Anzahl an COVID-19-Erkrankten sollen in deutschen Krankenhäusern die Intensivbetten und Beatmungsplätze nach der Wahr­scheinlichkeit vergeben werden, ob der Patient die Intensivbehandlung überleben wird.

Dieser Ansicht ist auch die Akademie für Ethik in der Medizin (AEM), die sich in den Dis­kurs um die Bewältigung der vielfältigen Herausforderungen − zu denen insbesondere auch ethische Fragen zählen − eingeschaltet hat und ihre Empfehlungen gemeinsam mit sechs weiteren medizinischen Fachgesellschaften heute vorlegte.

„Wenn die intensivmedizinischen Ressourcen auch nach strenger Indikationsstellung nicht mehr für alle intensivpflichtigen Patienten ausreichen, sollten wir die unvermeid­baren Auswahlentscheidungen am Kriterium der Erfolgsaussicht orientieren“, erklärte Georg Marckmann vom Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin der LMU München, dem Deutschen Ärzteblatt. Dabei würden dann diejenigen Patienten nicht auf die Intensivstation aufgenommen, die trotz intensivmedizinischer Behandlung eine schlechte Prognose bezüglich des Überlebens hätten.

„Das Gesundheitspersonal kann es sehr entlasten, wenn es für diese tragischen Entschei­dungen klare Vorgaben gibt“, sagte der Medizinethiker, der für die AEM wesent­lich an den heute vorgelegten Handlungsempfehlungen mitarbeitete. Dazu wäre es auch wichtig, die umstrittenen rechtlichen Fragen zu klären. „Dies gilt insbesondere für die Behandlung von Patienten, die bereits intensivmedizinisch versorgt werden, aber unter Umständen eine wesentlich schlechtere Prognose haben, als ein Patient, der ein Bett auf einer Inten­sivstation benötigt.“

Medizinische Begründung notwendig

Die Entscheidung über die Zuteilung von Ressourcen müsse medizinisch begründet und gerecht sein, heißt es generell in den Handlungsempfehlungen. Als Kriterium solle aber nicht das Kriterium „Alter“ herangezogen werden. Stattdessen sollen der Schweregrad der aktuellen Erkrankung sowie relevante Begleiterkrankungen eine wesentliche Rolle spie­len, heißt es.

Auch der Patientenwille − aktuell oder per Verfügung − soll fester Bestandteil bei allen Entscheidungen sein. Zudem soll die Ressourcenzuteilung nicht nur unter den Patienten erfolgen, die an COVID-19 erkrankt sind, sondern unter allen Patienten, die eine Inten­siv­­behandlung benötigen.

„Ethisch und auch rechtlich völlig unbestritten ist, dass sowohl vor Aufnahme auf eine Intensivstation als auch im Verlauf der intensivmedizinischen Behandlung, die Indikati­ons­stellung regelmäßig überprüft werden muss“, betonte Jan Schildmann vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg heute im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt.

Der Arzt und Medizinethiker arbeitete ebenfalls an den jetzt vorgelegten Handlungs­em­pfehlungen mit und geht aus seiner eigenen klinischen Erfahrung davon aus, dass bereits die kritische Prüfung der Indikationsstellung dazu führen wird, dass man intensivmedi­zi­nische Ressourcen denen zur Verfügung stellen könne, die diese dringlich benötigen und bei denen eine realistische Chance auf eine erfolgreiche Behandlung bestehe.

„In der geplanten Weiterentwicklung der Empfehlungen werden wir versuchen, die Krite­rien für die Indikationsstellung zu konkretisieren“, sagte er. Ein zweiter wichtiger Punkt sei die Klärung des Patientenwillens: „Es dürfen nur Patienten intensivmedizinisch be­handelt werden, die in eine entsprechende Therapie unter Berücksichtigung der Prognose einwilligen − beziehungsweise solche, die dies mutmaßlich getan hätten oder dies bei­spielsweise in einer Patientenverfügung entsprechend vorausverfügt haben.“

Die AEM arbeitete nicht nur an dem heute federführend von der Deutschen Interdiszipli­nä­ren Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) vorgestellten Papier „Entschei­dun­gen über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfall- und der Intensivmedizin im Kontext der COVID-19-Pandemie“ mit, sondern legte zudem heute noch ein eigenes Dis­kussionspapier zu den „Möglichkeiten und Grenzen von Ethikberatung im Rahmen der COVID-19-Pandemie“, vor.

Zudem richtete sie ein Online-Forum ein, in dem Ethikberater ihre Erfahrungen teilen und die professionelle Selbstreflexion der Ethikberatung in Pandemiezeiten mit Anregungen fördern können.

Bereits in den vergangenene Wochen erhielten die Ethikberatungsgremien vermehrt An­fragen, berichtet die AEM. Ihr erscheint deshalb jetzt sinnvoll und notwendig, dass bei der Erstellung von örtlichen Versorgungs-und Ablaufplänen wesentliche ethische Fragen erkannt und beachtet werden.

Dafür sei es sinnvoll zu klären, welche Kompetenzen verfügbar sind und welche zeitli­chen Ressourcen die Mitglieder zur Verfügung stellen können – auch mit Blick auf die sicher weiter zunehmenden Verpflichtungen der Ethikberater in der Krankenversorgung.

Zudem weist die AEM darauf hin, dass sich allokationsethische Probleme im Kontext von Triage-Situationen von den klinisch-ethischen Fragestellungen unterscheiden, die übli­cher­weise Gegenstand von Ethikberatung sind. Nur wenige Ethikberater hätten deshalb spezifische Fachkenntnisse und professionelle Erfahrung auf diesem Gebiet.

Sie könnten keine Kriterien und Verfahren für Triage-Entscheidungen entwickeln, zumal das grundsätzliche Vorgehen in Triage-Situationen im Gesundheitswesen einheitlich er­folgen und die örtliche Umsetzung von der ärztlichen Leitung der Gesundheitseinrich­tungen verantwortet werden muss.

Ethikberater seien jetzt aber gefordert, Ideen für alternative Formen von Ethik-Fall­bera­tung zu entwickeln, die schnell abrufbar und umsetzbar sind. Zudem sollten Ethikberater – sofern sie bei der Erarbeitung von Verfahrensanweisungen oder bei kollegialen Bera­tun­gen zu Triage-Entscheidungen beteiligt sind – darauf achten, dass Triage-Kriterien bei der Zuteilung (intensiv-)medizinischer Ressourcen nur dann zum Einsatz kommen, wenn tatsächlich eine Triage-Situation vorliegt.

Es wäre beispielsweise nicht gerechtfertigt, Patienten mit lebensbedrohlicher Erkrank­ung nicht zu behandeln, um Intensivkapazität für eine spätere Phase der Pandemie freizuhal­ten. Zudem sollten sie darauf achten, dass keine rechtlich und ethisch proble­ma­tischen Kriterien angewendet werden, wie beispielsweise eine Allokation nach dem chronologi­schen Alter oder den zu gewinnenden Lebensjahren, die zu einer Altersdis­kriminierung führen würden. Auch könnten sie zum Austausch und einer Vernetzung in der Region bei­tragen. © ER/aerzteblatt.de

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