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Politik

Spahn sieht „Ruhe vor dem Sturm“ in Kliniken

Donnerstag, 26. März 2020

/picture alliance, Annegret Hilse, Reuters-Pool

Berlin − Im Kampf gegen die COVID-19-Erkrankungen geht Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) von weiter steigenden Belastungen für Ärzte sowie Pflegekräfte aus. „Noch ist das die Ruhe vor dem Sturm“, sagte Spahn heute in Berlin. „Keiner kann genau sagen, was in den nächsten Wochen kommt.“

Daher sei es weiterhin nötig, die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen und die Kapazitäten in den Kliniken auch mit Intensivbetten zu erhöhen. Gleichzeitig laufen in der Regierung schon erste Planungen für die Zeit nach dem weitgehenden Stillstand des öffent­lichen Lebens. Hier wolle der Minister in den kommenden Wochen bis Ostern Pläne gemein­sam mit anderen Behörden erarbeiten.

Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov rechnen fast zwei Drittel der Deutschen jedoch mit weiteren Einschränkungen der persönlichen Freiheit. 64 Pro­zent der Befragten erwarten, dass die beschlossenen Maßnahmen zur Vermeidung zwi­schenmen­schlicher Kontakte noch einmal verschärft werden. Nur 20 Prozent glauben nicht daran, 16 Prozent machten keine Angaben. Die Akzeptanz der Maßnahmen ist der Umfrage zufolge riesig.

Sichere Aussage über Infektionsdynamik momentan nicht möglich

„Zum jetzigen Zeitpunkt kann noch keine gesicherte Aussage gemacht werden, ob sich die Infektionsdynamik abgeschwächt hat“, sagte der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, der sich gemeinsam mit Spahn äußerte. „Manche Städte und Landkreise haben es geschafft, größere Ausbruchsgeschehen auch unter Kontrolle zu bekommen.“ Diese Ausbrüche seien teilweise in Zusammenhang mit Festen oder Reisen aufgetreten.

„Warum immer noch Feste gefeiert werden, ist mir unverständlich“, sagte Wieler. Ihm be­reite ebenso die Entwicklung und die vereinzelten Ausbrüche in Pflegeheimen Sorge. Wie­ler erinnerte aber auch erneut daran, dass auch jüngere Menschen ohne Vorerkran­kung wegen COVID-19 in ein Krankenhaus kommen könnten.

Spahn bekräftigte, dass Deutschland wegen sehr vieler Tests früh mit Vorbereitungen im Medizinbereich beginnen konnte. Die Kapazität liege mit 300.000 bis 500.000 Tests pro Woche auch im internationalen Vergleich sehr hoch. Die Kassenärztliche Bundesverei­ni­gung (KBV) warb um Verständnis dafür, dass Coronavirus-Tests nur bei Menschen mit Krankheitssymptomen vorgenommen werden.

Zielgerichtete Testung notwendig

Man habe zwar große Kapazitäten, sie reichten aber nicht, „um 83 Millionen einfach mal eben durchzutesten“, sagte der KBV-Bundesvorsitzende Andreas Gassen. Es sei eine ärztli­che Entscheidung vor Ort, ob ein Test gemacht wird, oder nicht. „Daher wurden vor eini­gen Tagen die Testprinzipien verändert.“

„Wir wollen viel testen, aber wir wollen zielgerichteter testen“, erläuterte Gesundheits­mi­nister Spahn die Strategie. Laut Gassen beträgt die Testkapazität nur im kassen­ärztlichen Bereich mehr als 250.000 pro Woche. Das lasse sich voraussichtlich bis auf 360.000 stei­gern. Daneben gibt es auch Tests etwa von Kliniken, die ebenso pro Klinik bei etwa 250 Tests am Tag liegen kann.

Spahn räumte ein, die Beschaffung von Schutzausrüstung sei nicht leicht. „Ich habe ge­lernt, dass man nichts ankündigen sollte, bevor es nicht wirklich geliefert ist“. Es sei ein komplizierter Markt geworden, aus Produkten, die einmal Cent-Beträge gekostet hätten, wurden über Nacht deutlich teurere Produkte. „Es sind in den letzten Tagen täglich Mas­ken ausgeliefert worden“, betonte er. KBV-Chef Gassen erklärte, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen rund um die Uhr bereitstünden, um Warenlieferungen entgegenzunehmen.

Auch die Krankenhäuser bereiten sich verstärkt auf einen möglichen Patientenansturm vor: So berichtete Susanne Herold, Leiterin der Abteilung Infektiologie des Uniklinikums Gießen, dass dort inzwischen 113 zusätzliche Beatmungsplätze geschaffen wurden und entsprechendes Personal geschult werde. Dazu zählen auch Pflegekräfte und Medizin­stu­dierende sowie Ärzte, die in anderen Klinikbereichen arbeiten. Derzeit seien an der Uni­klinik drei Patienten, die aufgrund einer COVID-19 Erkrankung beatmet werden müssen.

Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), berichtete, dass alle Kliniken inzwischen darauf reagiert hätten, entsprechende Kapazitäten zu schaffen. Auf einer Plattform der DIVI, die gemeinsam mit dem BMG sowie dem RKI erarbeitet wurde, können Kliniken seit einer Woche ihre Kapazitäten melden. Nach Aussage von Janssens hätten sich bereits 60 Prozent der Kliniken gemeldet, und es seien 5.600 Intensivbetten frei.

Auch die Patientenbeauftrage der Bundesregierung wirbt dafür, dass Kliniken ihre Daten melden. „Ich bitte alle Krankenhäuser eindringlich, das DIVI-Intensivregister intensiv zu nutzen“, sagte Claudia Schmidtke in einer Mitteilung. ­­­­­­­­­„Im Sinne der betroffenen Patien­tinnen und Patienten brauchen wir jedes Intensivbett und jedes Beatmungsgerät, das zusätzlich bereitgestellt werden kann.“

Angesichts der erschreckenden Bilder aus Italien und Spanien glaube Janssens nicht da­ran, dass es dazu in Deutschland kommen werde. Minister Spahn erklärte: „Mir ist in die­sen Tagen klar geworden, welche Stärken unser System hat. Bei aller Diskussionen über Ausstattung und Finanzierung zusätzlich zu sehen, was wir für tolle Kapazitäten wir in allen Bereichen haben. Wenn es nun schon bei uns schwierig werden sollte, dann lässt uns das demütig werden, wie es andern Orts aussieht.“

Bundesländer unterschiedlich betroffen

Die Verbreitung des Virus ist nach wie vor in verschiedenen Regionen Deutschlands sehr unterschiedlich. Laut Robert-Koch-Institut lag die Zahl der Infizierten pro 100.000 Ein­woh­nern zuletzt beispielsweise bei 69 in Hamburg, 61 in Bayern und 15 Fällen in Meck­lenburg-Vorpommern.

„Wir können dann nach Ostern möglicherweise über eine Veränderung reden, wenn wir bis Ostern alle miteinander konsequent sind“, sagte Spahn. Es gehe für die Politik zu­gleich um Konzepte dafür, dass es „eine Zeit nach Corona“ geben werde, in der man wei­ter gegen das Virus kämpfe, das öffentliche Leben aber schrittweise normalisiere, sagte Spahn. Dies solle auch bei Beratungen nach Ostern zwischen der Bundesregierung und den Ministerpräsidenten Thema sein.

Dabei solle darüber diskutiert werden, wie Handydaten im Krisenfall für die Klärung von Infektionsketten zu nutzen seien, machte Spahn deutlich. Auch die Frage, wie man dann „besonders gefährdete Gruppen schützen“ könne, werde diskutiert.

Zahlen der Johns Hopkins Universität zufolge gab es am Abend 41.519 mit SARS-CoV-2 infizierte in Deutschland. 239 Menschen starben an der Lungenkrankheit COVID-19. © bee/dpa/aerzteblatt.de

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