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Kassenärzte: Sechs von sieben Coronapatienten werden ambulant versorgt

Mittwoch, 1. April 2020

/picture alliance, KEYSTONE

Berlin – 85 Prozent der COVID-19-Patienten werden ambulant versorgt. Das unterschei­de Deutschland von vielen anderen Ländern, erklärte heute der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, in Berlin. Die Praxen der nie­der­gelassenen Ärzte stellten damit eine Art Schutzwall für die Krankenhäuser dar, damit diese sich auf die Behandlung der schwer Erkrankten konzentrieren könnten.

Gassen zufolge haben die Vertragsärzte in normalen Zeiten täglich 3,9 Millionen Patienten­kontakte. 1,8 Millionen dieser Patienten würden von den Hausärzten versorgt. Die Hälfte der Patienten in den Hausarztpraxen sei älter als 75 Jahre und leide an chronischen Erkrankun­gen wie Herzinsuffizienz, Diabetes oder COPD. Diese Menschen gehörten damit zur Hoch­risikogruppe für eine COVID-19-Erkrankung.

Die Praxen müssten in der aktuellen Coronapandemie den Spagat bewältigen, chronisch Kranke weiterhin angemessen zu versorgen und sie zugleich vor Ansteckung zu schützen. Das mache Änderungen im Praxisablauf erforderlich, weil Coronaverdachts­fälle von den übrigen Patienten getrennt werden müssten. „Das ist für viele Praxen eine Zerreißprobe“, sagte Gassen.

Zweigliedrig versorgen, um Risiken zu minimieren

Um eine solche zweigliedrige Versorgung sicherzustellen, hätten Kassenärztliche Vereini­gun­­­gen (KVen) und Praxen in den vergangenen Wochen eine Reihe von Maßnah­men ge­troffen. So seien Corona-Schwerpunktpraxen und -ambulanzen sowie Corona-Sprechstun­den eingeführt worden.

Bundesweit seien 400 Corona-Testzentren entstanden, in denen zum Teil Drive-In-Tests vorgenommen würden. Es gebe mobile Test- und Behandlungsteams, die Coronapatien­ten zu Hause aufsuchten. Außerdem hätten die KVen die Zahl der Mitarbeiter in den Callcentern unter der Rufnummer 116117 um 25 Prozent auf insgesamt 1.900 aufge­stockt.

Als Beispiel für die Anstrengungen im Kampf gegen die Corona-Pandemie in den Regionen führte der KBV-Vorsitzende unter anderem Bayern an. Dort gebe es 216 Corona-Fahrdienst-Teams mit 648 Ärzten und Fahrern, die in drei Schichten rund um die Uhr einsetzbar seien. Unter der Rufnummer 116117 würden in Bayern bis zu 8.000 Anrufe täglich verarbeitet. Und allein im März seien dort 39.000 Corona-Tests veranlasst worden.

Bayern hebelt funktionierende vertragsärztliche Strukturen aus

Angesichts dieser positiven Bilanz bezeichnete es Gassen als „hochproblematisch“, dass der Freistaat mit dem Einsatz von Versorgungsärzten in sämtlichen Kreisen und kreisfreien Städten die vertragsärztliche Selbstverwaltung aushebele und damit funktionierende Struk­turen gefährde.

„Ich sehe dafür keinen Grund“, sagte der KBV-Vorsitzende. Notwendig sei eine bessere Ab­stimmung zwischen den Ländern in der Coronakrise und keine Alleingänge. „Das ist nicht die Zeit für politische Profilierung“, sagte Gassen an Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) gewandt.

Seit vergangenem Freitag sind in Bayern im ausgerufenen Katastrophenfall die Versor­gungs­ärzte dafür verantwortlich, dass in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich eine aus­reichende Versorgung mit ärztlichen Leistungen und Schutzausrüstung besteht. Dafür können sie Ärzte und Pflegekräfte zur Mitarbeit verpflichten.

Auch in Nordrhein-Westfalen wollte die Landesregierung die Zugriffsrechte auf Krankenh­äuser und medizinisches Personal erweitern. Ursprünglich sollte der Landtag dort heute über einen entsprechenden Gesetzentwurf abstimmen. Die Opposition, Juristen, Ärzte- und Pflegeverbände hatten jedoch massive, teils verfassungsrechtliche Bedenken geäußert.

In der Folge betonte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), dass er auf jeden Fall einen parteiübergreifenden Konsens in der Coronakrise anstrebe. Am 6. April sollen nun zunächst Sachverständige angehört werden. Am 9. April soll sich der Landtag in einer Sonderplenar­sitzung mit dem Gesetzentwurf befassen.

Gassen: „Man sollte uns keine Knüppel zwischen die Beine werfen“

In Nordrhein-Westfalen sei man offenbar zu einer gewissen Besinnung gekommen, kom­men­tierte Gassen das dortige Gesetzgebungsverfahren. „Wir benötigen von der Politik Un­ter­stützung. Man sollte uns keine Knüppel zwischen die Beine werfen.“

Bei der Lieferung von Schutzausrüstung an die Praxen zeichnet sich nach Angaben des KBV-Vorsitzenden noch keine grundlegende Entspannung ab. Zwar träfen Lieferungen ein, aber nicht in gewünschtem Ausmaß. Gassen kritisierte zudem, dass einige Bundesländer wie Bayern, Sachsen oder Schleswig-Holstein die Verteilung des Schutzmaterials, das der Bund zentral beschafft habe, künftig selbst übernehmen wollten, anstatt dies wie geplant den KVen zu überlassen.

Die KVen hätten für die Verteilung von Schutzmaterial eine funktionierende Infrastruktur geschaffen, ergänzte der stellvertretende KBV-Vorsitzende Stephan Hofmeister. „Die KVen kennen ihre Praxen und können bei der Verteilung entsprechend priorisieren“, sagte er. So müssten Haus- und Kinderarztpraxen, Bereitschaftsdienst- und Coronapraxen bevorzugt be­liefert werden, weil sie es seien, die in erster Linie mit Coronapatienten und Verdachtsfällen zu tun hätten.

„Das macht nicht alle zufrieden, ist aber richtig“, betonte Hofmeister. Es dürfe jetzt bei der Verteilung von Schutzausrüstung nicht zu Kompetenzgerangel kommen, das womöglich zu Lieferverzögerungen führe. Denn wenn in den Praxen die Schutzausrüstung fehle, könnten diese keine Patienten mehr versorgen und müssten schließen.

Schutzmasken müssen medizinischem Personal vorbehalten sein

Eine allgemeine Pflicht zum Tragen von Schutzmasken in der Öffentlichkeit lehnte Hofmeis­ter ab. Die Diskussion darüber komme für ihn „zur Unzeit“, sagte er. Solange Schutzmaterial knapp sei, müsse dieses zwingend medizinischem Personal vorbehalten sein. Dazu komme, dass die Weltgesundheitsorganisation im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus keinen Nutzen in einer solchen Maßnahme sehe.

Mit Blick auf Forderungen, die Coronatests in Deutschland deutlich auszuweiten, zeigte sich der KBV-Vorsitzende Gassen skeptisch. Das Land liege mit fast 800.000 Tests 25 Prozent über der Quote von Südkorea, das immer als beispielhaft genannt werde. Für eine Auswei­tung der Tests besteht nach Ansicht von Gassen daher weder der medizinische Bedarf noch verfüge man hierzulande über die dafür notwendigen Laborkapazitäten.

Soziale Distanzierung zeigt erste Wirkung

Derweil hat das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) gemeldet, dass die Maßnahmen zur sozialen Distanzierung in Deutschland erste Wirkung zeigten. Die Schul­schließungen seit dem 16. März und die Kontakteinschränkungen seit dem 22. März hätten dazu geführt, dass sich der Verlauf der Corona-Pandemie erheblich verlangsamt habe.

Während vor Beginn der Einschränkungen ein infizierter Fall etwa fünf neue Infektionen nach sich gezogen habe, habe dieser Wert zuletzt nur noch zwischen 1,3 und 1,5 gelegen. Als Datengrundlagen dienten dem Zi die offiziell dem Robert-Koch-Institut gemeldeten Fälle und die inoffiziell von der US-amerikanischen Johns-Hopkins-Universität veröffent­lichten Daten.

Ein Grund zur Entwarnung bestehe angesichts dieser Entwicklung jedoch nicht, betonte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dominik von Stillfried. Konsequente Maßnahmen zur sozialen Dis­tanzierung, die Beschaffung von Schutzmaterial für medizinisches Personal sowie eine Trennung der Versorgung von COVID-19-Verdachtsfällen und Patienten der Regelversorgung seien über Monate hinaus die zentralen Herausforderungen zur Eindämmung der Pandemie.

Hierbei stehe der Schutz besonders vulnerabler Patientengruppen im Vordergrund, die in den nächsten Monaten wieder eine reguläre vertragsärztliche Versorgung benötigten, sagte von Stillfried. © HK/aerzteblatt.de

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