Medizin
Digitales „Contact Tracing“ könnte SARS-CoV-2 aufhalten
Mittwoch, 1. April 2020
Oxford − Ein digitales „Contact Tracing“ über das Smartphone könnte die gegenwärtige SARS-CoV-2-Epidemie eindämmen und die gegenwärtigen Massenquarantänen („Lockdown“) vermeiden, rechnen britische Forscher in Science (2020; doi: 10.1126/science.abb6936) vor.
Die klassische Kontaktermittlung über Telefonanrufe oder Besuche ist so zeit- und personalintensiv, dass sie in Deutschland bereits im Frühstadium der SARS-CoV-2-Epidemie aufgegeben wurde. Derzeit bleibt es den Infizierten überlassen, ihr soziales Umfeld auf die Gefahr einer Ansteckung hinzuweisen.
Die Recherche-Arbeit des „Contact Tracing“ könnte jedoch auch ohne großen Aufwand von einer Smartphone-App übernommen werden, die die meisten Menschen heute ständig bei sich tragen. Die App könnte über Bluetooth andere Smartphones in der Nähe orten und Entfernung und Dauer der Kontakte speichern.
Im Fall einer Infektion würden dann die Benutzer anderer Smartphones über das Internet einen Hinweis erhalten und gebeten, sich testen zu lassen, um sich im Fall eines positiven Ergebnisses ebenfalls in Quarantäne zu begeben. Das „Contact Tracing“ könnte anonym erfolgen. Die alarmierten Smartphone-Besitzer würden nicht erfahren, bei welcher Person sie sich möglicherweise angesteckt haben.
In China und Südkorea gibt es bereits Apps zum „Contact Tracing“. In China wurden Plug-Ins für das soziale Netzwerk „WeChat“ und für Kunden von Alipay, einem Bezahlsystem des Online-Kaufhauses Alibaba, veröffentlicht. Welchen Anteil die Apps an der Eindämmung hatten, ist unklar. Beide Länder haben auch andere Maßnahmen ergriffen. In China hat es jedoch zuletzt kaum noch neue Erkrankungsfälle gegeben, Südkorea hat einen Erkrankungsgipfel von Ende Februar überwunden.
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Ein Team um Christophe Fraser vom Big Data Institute der Universität Oxford hat jetzt berechnet, welchen Nutzen eine solche App haben könnte. Es handelt sich um eine Kalkulation mit mehreren Unbekannten, denn wesentliche Einflussfaktoren der Epidemie sind nicht bekannt. Dazu gehört der Anteil der Infektionen durch präsymptomatische oder asymptomatische Personen oder durch kontaminierte Oberflächen.
Fraser geht von einer Basisreproduktionszahl R0 von 2,0 aus. Das ist die Zahl der Personen, die ein Infizierter ansteckt. Die R0 durch präsymptomatische Personen könnte laut Fraser bei 0,9 liegen. Die Infektiosität durch asymptomatische Personen wird in dem Modell mit 0,1 angenommen. Beide zusammen würden die kritische Zahl von 1 ergeben, die nicht überschritten werden darf, wenn eine Epidemie beendet werden soll. Die R0 der symptomatischen Personen könnte bei 0,8 und die R0 durch Umweltfaktoren bei 0,2 liegen.
Trotz dieser schwierigen Ausgangslage könnte eine App helfen, die Zahl der Neuinfektionen zu begrenzen. Der Vorteil besteht laut Fraser in der raschen Kontaktaufnahme der betroffenen Personen. Während beim konventionellen „Contact Tracing“ in der Regel mehrere Tage vergehen, könnten die Kontakte beim digitalen „Contact Tracing“ gleich nach dem Vorliegen eines positiven Testergebnisses eine Meldung auf ihrem Smartphone erhalten. © rme/aerzteblatt.de

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