Politik
RKI bestätigt Wirksamkeit der Maßnahmen zur Eindämmung von SARS-CoV-2
Freitag, 3. April 2020
Berlin – Wirken die Maßnahmen zur Eindämmung von SARS-CoV-2 und wie lange müssen sie noch aufrecht gehalten werden? Kaum eine andere Frage beschäftigt Deutschland derzeit mehr. Nun äußerte sich das Robert-Koch-Institut (RKI): „Die Maßnahmen zeigen Wirkung“, sagte RKI-Präsident Lothar Wieler heute morgen in Berlin.
Die Reproduktionsrate (R) liege mittlerweile bei 1, das heißt 1 Infizierter steckt im Durchschnitt nur noch 1 weiteren Menschen an. In den vergangenen Wochen habe der Wert bei 5, manchmal sogar bei 7 Menschen gelegen, die ein Infizierter ansteckte.
Ein Grund zur Entwarnung sei dies aber nicht: Erst, wenn ein Infizierter im Durchschnitt weniger als 1 Menschen anstecke, lasse die Epidemie langsam nach. „Wir müssen die Reproduktionsrate unter 1 drücken. Ich hoffe, dass das in den nächsten Tagen gelingt“, sagte Wieler. Eine positive Entwicklung ist Wieler zufolge auch bei den Mobilitätsprofilen zu beobachten. In einigen Städten sei die Mobilität der Bevölkerung um bis zu 50 Prozent zurückgegangen.
Es sei aber weiter sehr wichtig, die Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten, betonte der RKI-Präsident. Er appellierte an öffentliche Verkehrsbetriebe, den Takt für Busse und Bahnen eher noch zu erhöhen und mit mehr Waggons zu fahren. Es liege aber auch an den Passagieren selbst: Sie sollten sich verteilen und nicht bevorzugt in die vorderen oder hinteren Waggons einsteigen.
Neben der mit dem Verhalten der Bevölkerung assoziierten Reproduktionsrate des Virus hängt es allerdings noch von weiteren Kriterien ab, ob über eine Rücknahme der Eindämmungsmaßnahmen nachgedacht werden könne. Eine entscheidende Rolle spielen Wieler zufolge auch die Inzidenz, die Anzahl der Erkrankten in Relation zur Kapazität des Gesundheitssystems und die Dynamik der Epidemie, sprich die Zahl der Neuinfektionen pro Zeiteinheit.
Stufenweises Hochfahren wahrscheinlich
Finale Pläne für ein Rücknahmeszenario gebe es noch nicht, sagte der RKI-Präsident. Er gehe aber von einem stufenweisen Zurückfahren der Maßnahmen aus. Allerdings ist das noch Zukunftsmusik: „Wir stehen immer noch am Anfang der Epidemie“, betonte Wieler und appellierte an die Bevölkerung, jetzt nicht nachzulassen und die Regeln weiter einzuhalten.
Dem RKI wurden von den Gesundheitsämtern bis Freitag 79.696 COVID-19-Fälle gemeldet – ein Plus von 6.174 seit dem Vortag. Die Inzidenz in Deutschland liegt nun bei 96 Fällen pro 100.000 Einwohnern, schwankt aber regional stark: Während sie in Mecklenburg-Vorpommern noch bei 29/100.000 liegt, beträgt sie in Bayern bereits 155/100.000. An Todesfällen registrierte das RKI bislang eine Zahl von 1.017.
Mindestens 2.300 medizinische Mitarbeiter in deutschen Krankenhäusern und Arztpraxen sind mit dem Coronavirus infiziert. Dies hatte das RKI der Süddeutschen Zeitung gesagt. Allerdings muss laut RKI mit einer höheren Zahl gerechnet werden, da derzeit vermutlich nicht alle Daten sofort an das Institut weitergegeben werden.
Die von der Johns Hopkins University gemeldeten Fallzahlen liegen wie immer über den elektronisch an das RKI übermittelten Zahlen. Das Dashboard der US-Universität meldete heute bereits mehr als 85.000 Erkrankungsfälle in Deutschland, mit einer Zahl von 1.107 Todesfällen.
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Patientenströme müssen getrennt werden
Aktuell liege der Anteil an verstorbenen COVID-19-Patienten inzwischen bei 1,2 Prozent, sagte Wieler. Mit einem weiteren Anstieg der Sterberate sei zu rechnen, da sich viele Patienten mit COVID-19 derzeit noch in der Behandlung befänden. Außerdem unterstrich Wieler noch einmal, dass Ältere und chronisch Kranke ein höheres Risiko haben, schwer zu erkranken und zu sterben. Und es käme jetzt zunehmend auch zu Ausbrüchen in Alten- und Pflegeheimen.
Wieler richtete einen dringenden Appell an alle Einrichtungen der Krankenpflege, die Patientenströme in Krankenhäusern zu trennen. „Es gibt immer mehr Ausbrüche in Krankenhäusern und Altenheimen“, sagte er. COVID-19-Patienten sowie Verdachtsfälle müssten von anderen Patienten räumlich getrennt werden, nicht nur in den Krankenhäusern, sondern auch den Arztpraxen. Entsprechende Handlungsempfehlungen finden sich auf der Webseite des RKI.
Allerdings: „Auch Menschen, die jünger sind als 60 Jahre, können sterben“, betonte Wieler. So seien 55 der bislang 1017 gemeldeten COVID-19-Verstorbenen unter 60 Jahre alt gewesen.
Aktuell werden alle Menschen, die mit einer COVID-19-Erkrankung sterben als COVID-19-Todesfall gezählt – unabhängig davon, ob sie tatsächlich an der Erkrankung COVID-19 gestorben sind. Dennoch geht RKI-Präsident Wieler nicht von einer Überschätzung der Sterberate aus, da nicht in jedem Fall auf SARS-CoV-2 getestet werde.
Ob die bereits erhöhte Kapazität der Intensivbetten und Beatmungsplätze für COVID-19-Patienten in Deutschland in der nächsten Zeit ausreichen werde, lasse sich zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht sagen, so Wieler. Er persönlich glaube das im Moment noch nicht, weshalb die Kapazitäten weiter erhöht werden müssten. © nec/dpa/aerzteblatt.de

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