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Medizin

SARS-CoV-2: Viruslast im Rachen zu Beginn der Erkrankung am höchsten

Donnerstag, 2. April 2020

/Orawan, stock.adobe.com

Berlin/München − Die Infektiosität von SARS-CoV-2, dem Verursacher von COVID-19, ist offenbar zu Beginn der Erkrankung am höchsten. Dies zeigen die detaillierten Befunde zu den ersten Patienten in Deutschland, die Ende Januar in München behandelt wurden. Die Publikation in Nature (2020; doi: 10.1038/s41586-020-2196-x) erklärt die leichte Über­tragbarkeit des Virus. Sie liefert auch Hinweise, wann Patienten im Fall begrenzter Betten­kapazitäten frühestens aus dem Krankenhaus entlassen werden könnten.

Ende Januar war es im Landkreis Starnberg bei München zum 1. Cluster von COVID-19-Fällen in Deutschland gekommen. 9 Patienten wurden in der Münchner Klinik Schwabing medizinisch betreut. Die Patienten wurden damals sehr genau untersucht. Bei allen Pa­tienten wurden im Verlauf der Infektion täglich Abstriche aus dem Nasen-Rachen-Raum und Sputumproben untersucht – bis zu 28 Tage nach Beginn der Symptome.

„Zu diesem Zeitpunkt wussten wir wirklich nur sehr wenig über das neuartige Coronavi­rus, das wir jetzt als SARS-CoV-2 kennen“, sagt Christian Drosten, Chef der Virologie an der Berliner Charité. „Wir haben diese neun Fälle über ihren Krankheitsverlauf hinweg deshalb sehr engmaschig virologisch untersucht – und so viele wichtige Details über das neue Virus erfahren.“

Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin an der München Klinik Schwabing berichtet: „Die bei uns betreuten Patienten waren jüngeren bis mittleren Al­ters. Sie zeigten insgesamt eher milde Symptome und grippeähnliche Symptome wie Husten und Fieber sowie ein gestörtes Geruchs- und Geschmacksempfinden.“

Von Vorteil für die wissenschaftliche Aussagekraft der Untersuchung war, dass alle Fälle mit einer Indexpatientin in Verbindung standen. So konnten wir uns ein gutes Bild vom virologischen Geschehen machen und wichtige Erkenntnisse, beispielsweise zur Über­trag­barkeit des Virus, gewinnen“, so Wendtner.

Wenig Ähnlichkeit mit ursprünglichem SARS-Virus

Aufgrund der genetischen Ähnlichkeit zum ursprünglichen SARS-Virus war die For­schungs­gruppe zunächst davon ausgegangen, dass das neue Coronavirus, wie das alte SARS-Virus auch, nur die Lunge befällt und dadurch nicht so leicht von einem Menschen an einen anderen weitergegeben werden kann.

„Unsere Untersuchungen der Münchner Fallgruppe haben stattdessen gezeigt, dass sich das neue SARS-Coronavirus von dem alten in Bezug auf das befallene Gewebe stark un­terscheidet“, sagt der Virologe. „Das hat natürlich enorme Konsequenzen für die Ausbrei­tung der Infektion, weshalb wir unsere Erkenntnisse bereits Anfang Februar bekannt gemacht haben.“

Neue Erkenntnisse

Die jetzt vom Münchner Ärzteteam um Clemens Wendete und Christian Drosten vorgestellten Ergebnisse liefern nun ein detailliertes Bild vom Verlauf der Erkrankungen.

Bei allen Patienten war die Diagnose durch einen Abstrich aus Mund- oder Nasenrachen­raum gestellt worden. Die Patienten litten zu diesem Zeitpunkt nur unter sehr milden oder prodromalen Symptomen. Dennoch war die Konzentration der Viren in den Abstri­chen hoch. Sie betrug in den ersten 5 Tagen im Mittel 6,76 x 10 hoch 5 Kopien und nahm danach kontinuierlich ab. Der letzte positive Abstrich wurde am Tag 28 nach Beginn der Erkrankung entnommen.

Die hohe Virusausscheidung im Rachen hat die Virologen überrascht, da bei dem 1. SARS-Virus die Peaks in der Regel erst 7 bis 10 Tage nach Beginn der Erkrankung auftra­ten. Dieser Unterschied könnte erklären, warum die SARS-Epidemie nach mehreren Mo­na­ten gestoppt werden konnte und das Virus in der Versenkung verschwand, was bei SARS-CoV-2 nicht zu erwarten ist.

Die hohe Ansteckungsfähigkeit (insbesondere für das medizinische Personal) könnte sich auch daraus erklären, dass die Viren auch im Sputum in hoher Konzentration vorhanden sind. Der Nachweis von Virusgenen in den Abstrichen erlaubt jedoch nur indirekte Hin­­wei­se auf die Ansteckungsfähigkeit. Die Forscher haben deshalb versucht, lebende Viren in den Abstrichen nachzuweisen. Dies geschieht durch den Nachweis von zytopathischen Effekten in Zellkulturen.

In der ersten Woche gelang dies problemlos (in 17 % der Abstriche und in 89 % der Spu­tumproben). Nach dem 8. Tag waren dagegen keine lebenden Viren mehr nachzuweisen, obwohl die Virusgene weiterhin vorhanden waren. In den Stuhlproben konnten in keinem Fall lebende Viren detektiert werden, obwohl die Virusgene dort in hoher Konzentration vorhanden waren.

Die Virologen gehen davon aus, dass sich die Viren auch im Gastrointestinaltrakt vermeh­ren. Ob die Viren auch über die Faeces übertragen werden können, ist unklar. Die Virolo­gen vermuten jedoch, dass dieser Übertragungsweg von untergeordneter Bedeu­tung ist. Im Urin und im Blut der Patienten konnten niemals Virusgene nachgewiesen werden.

Dass die Viruskonzentration in den Abstrichen aus dem Nasopharynx zu Beginn der Er­krankung am höchsten war, deutet darauf hin, dass SARS-CoV-2 sich nicht nur in den Pneu­mozyten der tiefen Atemwege vermehrt, sondern auch im Rachenraum.

Die Forscher konnten diese Vermutung durch den Nachweis von viraler Messenger-RNA nachweisen, die nur gebildet wird, wenn neue Viren in den Zellen produziert werden. Die Infektion könnte deshalb im Rachenraum beginnen, bevor sie sich in die unteren Atemwege aus­brei­tet.

Ein aus Sicht der Forscher wichtiger Befund ist, dass der Nachweis lebender Viren erst ab einer Konzentration von 100.000 Kopien des Virus-Erbguts gelang. Die quantitative Be­stimmung der Virusgene im Abstrich könnte ihrer Ansicht nach genutzt werden, um die Infektiosität bei einem Patienten abzuschätzen.

Studie zeigt Kriterium für Entlassung aus dem Krankenhaus

Auf Basis dieser Daten schlagen die Autoren der Studie vor, dass COVID-19-Patienten bei knappen Bettenkapazitäten in die häusliche Quarantäne entlassen werden können, wenn sich nach dem 10. Tag der Erkrankung weniger als 100.000 Kopien der Viren-RNA im Sputum nachweisen lassen.

Zu diesem Zeitpunkt war es bei den meisten Patienten zu einer Immunantwort gekomm­en. Die Hälfte der Münchner Patienten entwickelte bis zum 7. Tag nach Symptombeginn Antikörper gegen das Virus. Nach 2 Wochen fielen die Antikörper-Tests bei allen Patienten positiv aus.

Mit der einsetzenden Antikörperproduktion ging ein langsamer Abfall der Viruslast ein­her. Dies zeigt an, dass das Immunsystem die Infektion unter Kontrolle hat. Ein Impfstoff, der die Bildung dieser Antikörper anstößt, könnte Menschen vermutlich vor einer Infek­tion schützen. © rme/nec/aerzteblatt.de

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