Medizin
COVID-19: Veto zur Hausgeburt
Mittwoch, 8. April 2020
Berlin – Je länger die SARS-CoV-2-Pandemie währt, desto mehr scheint das Thema Hausgeburt an Fahrt aufzunehmen. Mitte März beobachteten Thüringer Hebammen ein steigendes Interesse an Hausgeburten bei Schwangeren.
Wochen später wird jetzt auch aus Wiesbaden und Mainz der vermehrte Wunsch bestätigt, Klinikgeburten zu vermeiden – getriggert aus Angst und Panik angesichts der zunehmenden COVID-19-Verbreitung. Die Kreissprecherin der Wiesbadener Hebammen, Anika Spahn, sagte, es gebe immer mehr Frauen, die in den vergangenen Wochen Kolleginnen und ihr selbst gegenüber geäußert hätten, ihr Kind zuhause oder gar alleine zur Welt bringen zu wollen.
Daraus sprechen häufig zweierlei Bedürfnisse. Zum einen möchten die Schwangeren einer Ansteckungsgefahr durch andere entgehen. Zum anderen fürchten sie in Zeiten von Corona ein weniger befriedigendes, durch Schutz- und Hygienemaßnahmen beeinträchtigtes Geburtserlebnis.
Geht es um bereits Corona-infizierte Schwangere, so gibt es dazu von Seiten der Experten eine eindeutige Haltung. Uwe Hasbargen, der Leiter der Geburtshilfe des LMU-Klinikums Campus Großhadern in München hält dies für unverantwortlich.
„Absolut nein“, erläutert der Professor der Gynäkologie und betont: „Per Definitionem ist die Haus- oder Hebammengeburt nur für prospektiv risikofreie Geburten gedacht und erlaubt. Selbst jene, die sich für eine außerklinische Geburtshilfe stark machen, müssen einräumen, dass eine Corona-positive Gebärende und erst recht eine Corona-positive Gebärende, die zusätzlich Symptome aufweist, nicht mehr als risikoarm bezeichnet werden kann.“
Außerdem rät er, betroffene Neugeborene im Blick zu behalten: „Die ersten deutschen Daten lassen eine auffällig hohe Anzahl von neonatalen Infektionen erkennen“, so Hasbargen. Deshalb laute auch die Empfehlung von Seiten der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI), die Kinder analog zu dem GBS-Protokoll (zur Vermeidung einer Streptokokkensepsis) für 72 Stunden zu überwachen.
In einem Geburtssetting sind zum Schutz der Hebammen die Regeln des Infektionsschutzes strikt zu befolgen. Die Entbindung einer COVID-19-positiven Frau müsse in kompletter Schutzausrüstung erfolgen, betont Ekkehard Schleußner, Leiter der Klinik für Geburtsmedizin am Universitätsklinikum in Jena. Anders lasse sich das extrem hohe Ansteckungsrisiko nicht beherrschen.
„Gerade die nicht ausreichend geschützten Mitarbeiter, dies zeigen die Erfahrungen sowohl aus China als auch aus Italien eindeutig, hatten das höchste Ansteckungsrisiko. Und diese Mitarbeiter hatten auch die meisten Infektionen mit Todesfolge“, so Schleußner.
Daher dürfen auch die Hebammen in der außerklinischen Geburtshilfe nur in vollständiger Schutzkleidung eine Entbindung leiten, wenn die Schwangere COVID-19-positiv getestet ist oder lediglich der Verdacht einer Infektion besteht. Da für viele niedergelassene Hebammen jedoch nicht einmal genügend einfache Schutzausrüstung – etwa Gesichtsmasken für die Hausbesuche in der Nachsorge – zur Verfügung steht, ist zu bezweifeln, ob dies überhaupt eine Option ist.
Zudem stellt sich die Frage, in welchem Umfang Schwangere, die in einer außerklinischen Einrichtung entbinden möchten, überhaupt zeitnah und verlässlich getestet werden können. Infolgedessen ist zu bezweifeln, ob Schwangere zu Hause oder in einem Geburtshaus den Belastungen, die die derzeitige Pandemie mit sich bringt, in punkto Geburtserlebnis so einfach entgehen können.
Nicht zuletzt ergeben sich absehbar organisatorische Schwierigkeiten. „Eine Verlegung während der Geburt bei Problemen ist schon ohne Corona schwierig und kritisch. Mit Corona geradezu absurd und mit erheblichen Risiken für die gesamte Versorgungskette verbunden“, hält Hasbargen fest. 15 % der Frauen, die im Jahr 2018 eine außerklinische Geburt begonnen hatten, mussten während der laufenden Geburt in eine Klinik verlegt werden, weitere 3.7 % während der Plazentarperiode.
Und auch 1,7 % der Neugeborenen mussten in den ersten Lebensstunden stationär aufgenommen werden. Dies weist der Qualitätsbericht Außerklinische Geburtshilfe (QUAG) von 2018 nach. „Mithin mussten bei 1/5 dieser Geburten zusätzliche medizinische Ressourcen wie Rettungsdienste, Notärzte, Kindernotärzte und Operationsteams in den angefahrenen Kreißsäalen zum Einsatz kommen – denn jede 2. Frau wurde dann per Sectio entbunden“, erläutert Schleußner diese Herausforderungen.
In absoluten Zahlen betraf es 2.581 Frauen und 237 Kinder. „Dies bindet Ressourcen, die in den Pandemiezeiten, in denen ohnehin Personalknappheit herrscht, für andere nicht zur Verfügung stehen“, erläutert der Perinatologe. Mithin sind in der gegenwärtigen Lage außerklinische Geburten nicht allein ein Problem für COVID-19-positiv getestete Schwangere, sondern ein generelles. Deswegen hält Schleußner derzeit außerklinische Geburten für nicht verantwortbar und sogar für unsolidarisch gegenüber der Gesellschaft.
Die Rolle der Väter und Begleitpersonen
Das Zurückschrecken vor einer Geburt im Krankenhaus wird jedoch derzeit nicht nur durch die Furcht vor Ansteckung und vor einer von Pandemie-Vorsichtsmaßnahmen geprägten Geburtserfahrung getriggert, sondern auch von der uneinheitlich und unterschiedlich gehandhabten Praxis, ob Unterstützung durch Väter, Lebenspartner/Partnerinnen oder private Begleitpersonen überhaupt erlaubt ist oder untersagt wird, was unter anderem mit dem Mangel an Schutzkleidung begründet wird. Praktisch täglich gibt es dazu neue Meldungen, die entweder das eine oder das andere berichten.
Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) hat auf Basis der internationalen Erfahrungen bereits früh Empfehlungen über den Umgang mit Schwangeren und ihren Begleitpersonen herausgegeben und prinzipiell eine Begleitperson erlaubt. Daran orientiert sich die Mehrzahl der deutschen Geburtskliniken.
Allerdings unterliegen die bundesweit mehr als 600 Geburtskliniken auch den Anordnungen der lokalen Gesundheitsämter und Verwaltungen der Kliniken, so dass teilweise die fachlich getroffenen Regelungen zugunsten der Väter wieder rückgängig gemacht werden mussten.
Die Kritik an dieser widersprüchlichen Praxis lässt hingegen zahlreiche Bedingungen unberücksichtigt. Die Geburtskliniken versuchen im Moment so diszipliniert wie möglich, die Ansteckungsrisiken zu minimieren. Wie dies am besten gelingt, wird nicht nur von Klinik zu Klinik individuell bewertet, in den Kreißsäalen und Geburtsstationen sind die Voraussetzungen dafür auch ganz unterschiedlich. Die personelle Besetzung durch Hebammen und Ärzte, die räumlichen und organisatorischen Gegebenheiten, aber auch der tägliche Wechsel der Belegungszahlen schaffen jeweils wechselnde Verhältnisse.
Geburtshilfe: Wunsch nach Sicherheit
Während kleine Geburtskliniken reihenweise schließen, arbeiten die großen Zentren am Limit. Ein Mangel an Hebammen und die Finanzierung der Geburtshilfe sind zwei Gründe dafür. Doch auch der gesellschaftliche Wandel spielt eine Rolle. Betroffen sehen die Menschen aus, die am 5. August vor dem Heilig-Geist-Hospital in Bingen zusammengekommen sind. Viele Eltern mit kleinen Kindern sind darunter. Sie
So kann es in der einen Klinik möglich sein, bereits Verdachtsfälle separat zu betreuen – zusammen mit einem Partner. In einer anderen ist dies vielleicht zu einer bestimmten Zeit gerade ausgeschlossen.
„Wir erleben unsere Väter im Umgang mit der Situation außerordentlich verständnisvoll und solidarisch. Sie verstehen gut, dass die bittere Einschränkung der Besuchsmöglichkeit ihre Frau und ihr Kind vor zusätzlichen Risiken und auch vor Konflikten mit Partnern von Zimmernachbarinnen schützt, die eventuell weniger sorgfältig mit den Hygieneregeln umgehen“, betont Hasbargen und verweist auf die Bedeutung des Personals.
Es gehe nicht zuletzt darum, die Pflegekräfte und Ärztinnen und Ärzte zu schützen. Das erlege derzeit vielen Patienten Einschränkungen auf, selbst schwer tumorkranke Menschen oder frisch operierte Patienten müssten für das Wohl der Allgemeinheit auf Besuch verzichten. © mls/aerzteblatt.de

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