Politik
Spahn wirbt um Verständnis für schwierige Entscheidungen in der Coronakrise
Mittwoch, 22. April 2020
Berlin – Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat um Verständnis für schwierige politische Entscheidungen in der Coronakrise geworben. In einer Regierungsbefragung im Bundestag sagte er heute, „dass wir miteinander wahrscheinlich viel werden verzeihen müssen in ein paar Monaten“.
Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik – und vielleicht auch darüber hinaus – hätten in so kurzer Zeit unter solchen Umständen und Unwägbarkeiten mit dem Wissen, das verfügbar sei, „so tiefgreifende Entscheidungen“ getroffen werden müssen. Er sei immer „neidisch auf alle, die schon immer alles gewusst hätten“.
In den vergangenen Wochen hätten alle viel dazugelernt über das Virus und Folgen von Entscheidungen, sagte Spahn. Neben der Politik werde auch für die Gesellschaft und selbst für Virologen und Wissenschaft eine Phase kommen, in der man im Nachhinein feststellen werde, dass man vielleicht an der einen oder anderen Stelle falsch gelegen habe und noch etwas korrigieren oder nachsteuern müsse. Dies finde er in einer Zeit wie dieser „vergleichsweise normal“. Er warb für ein Grundsatzverständnis, dass das in einer Zeit wie dieser dazugehöre.
Spahn verteidigte zugleich die weitreichenden Kontaktbeschränkungen im Kampf gegen die Epidemie. Es gelte die richtige Ballance zu finden. Dabei dürften Gesundheit und Wirtschaft nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Bundesregierung setze am Ende aber auf eine größtmögliche Sicherheit für die Menschen.
Es sei seine Prämisse als Gesundheitsminister, nicht zu einer Situation zu kommen, in der das Gesundheitswesen überfordert sei, erläuterte Spahn. Es gelte, Situationen zu vermeiden, in denen darüber entschieden werden müsse, wer eine Beatmung bekommen könne und wer nicht. Dies sei in anderen Ländern der Fall. Vergleiche etwa mit der Influenza wies er in diesem Zusammenhang zurück. „Ich habe noch keine Grippe gesehen, die zu Massengräbern in New York geführt hat“, sagte Spahn.
Welt beneidet Deutschland um RKI
Für Kritik am Robert-Koch-Institut (RKI) zeigte der Minister heute kein Verständnis. Es gebe eine offene Debatte über Entscheidungen und Maßnahmen. Das sei auch richtig. Aber er erhalte eher aus anderen Ländern Anfragen, ob das RKI mit seiner Expertise dort nicht unterstützen könne, so der Minister. Deutschland habe mit dem RKI eine der weltweit angesehensten Instiutionen für öffentliche Gesundheit. „Vielleicht nehmen wir das mal zur Kenntnis – und bauen es für die Zukunft weiter aus“, sagte Spahn.
Das heiße aber nicht, dass die Bewertungen vom RKI oder auch seine sich nicht einer kritischen Debatte stellen müssten. Das sei ganz normal. Und diese Debatte finde seiner Meinung nach auch statt. Die Regierung müsse anhand der Meinungen am Ende aber zu politischen Entscheidungen kommen, die „sehr weitreichende und einschneidende Folgen“ für die Menschen hätten.
In einem Statement sagte der Minister darüber hinaus, es müsse nun gelten, das bisher Erreichte auch zu sichern. Entscheidend sei die Bereitschaft der Bürger mitzumachen und sich an die Regeln, wie etwa die Abstandsregelung und Hygiene, zu halten.
In Bezug auf den Start einer Impfstoffstudie in Deutschland sprach Spahn heute von einem „guten Signal“. Auch wenn nun mit ersten klinischen Studien begonnen werden könne, werde es aber noch Monate dauern, bis ein Impfstoff auserprobt und auserforscht zur Verfügung stehen könne.
Scheuer kündigt bessere Versorgung mit Schutzausrüstung an
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) kündigte unterdessen bei der Befragung an, den Warentransport in der Coronakrise ausweiten und auch den grenzübergreifenden Personenverkehr möglichst schnell wieder starten zu wollen.
Dafür würden in dieser Woche „verkehrsträgerübergreifend verschiedene Szenarien“ durchgespielt, sagte Scheuer. Der Minister kündigte auch eine bessere Versorgung mit Schutzausrüstung an und verwies unter anderem auf eine zusätzliche „Landbrücke“ zwischen China und Deutschland.
„Heute rollt der erste Zug von China los, und das im wöchentlichen Turnus mit mehreren Millionen Schutzgütern“, sagte Scheuer. Auch bei anderen Bedarfswaren sowie Produktionsgütern werde Deutschland „jetzt in eine nächste Phase kommen, nämlich in ein Grundangebot Plus“.
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) betonte heute vor der Befragung, die Politik stehe regelmäßig vor schwierigen Abwägungsprozessen. „Es ist unsere Aufgabe als Parlamentarier, die unterschiedlichen Gesichtspunkte und Gewichtungen in der Debatte sichtbar zu machen“, sagte er.
Dabei gelte es, wissenschaftliche Expertise in ihrer ganzen Breite einzubeziehen. In der Frage erster Lockerungen der Kontaktbeschränkungen zeige sich, dass man sich nicht allein von der virologischen Perspektive leiten lassen könne zu sehen seien auch rechtliche, ökonomische und soziale Aspekte.
Infektionszahlen steigen weiter an
Unterdessen sind in Deutschland bis heute Nachmittag nach Angaben der Johns-Hopkins-University mehr als 148.700 Infektionen mit SARS-CoV-2 registriert worden. 5.117 Menschen mit dem Erreger Infizierte sind den Angaben zufolge bislang bundesweit gestorben.
Die Zahl der täglich registrierten Neuinfektionen lag laut einer Tabelle des RKI in den vergangenen Tagen bei um die 2.000. Anfang des Monats waren es demnach noch etwa doppelt so viele.
Die Reproduktionszahl lag mit Stand heute bei 0,9. Nach RKI-Schätzungen haben in Deutschland rund 99.400 Menschen die Infektion überstanden. Wie für andere Länder rechnen Experten auch in Deutschland mit einer hohen Dunkelziffer nicht erfasster Fälle. © may/dpa/afp/aerzteblatt.de

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