Politik
Krankenkassen drängen auf mehr Steuergeld für Gesundheitsfonds
Dienstag, 5. Mai 2020
Berlin – Angesichts der hohen, aber noch nicht bezifferbaren Kosten für das Gesundheitswesen aufgrund der Coronapandemie fürchten die Krankenkassen um ihre finanzielle Stabilität. Am 11. Mai soll es dazu ein Spitzengespräch im Bundesgesundheitsministerium (BMG) zwischen dem Minister sowie Spitzenfunktionären der Krankenkassen geben. An dem Gespräch im Ministerium nehmen unter anderem die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer, sowie der AOK-Bundesverbands-Chef Martin Litsch teil.
Es sei eine erste Diskussion mit dem Minister zum Thema, heißt es aus Kassenkreisen. Dabei soll offenbar darauf gedrängt werden, dass es einen höheren Bundeszuschuss zum Gesundheitsfonds gibt. Ebenso soll darüber gesprochen werden, ob der GKV-Schätzerkreis, der den jährlichen durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz errechnet, zu einer vorzeitigen außerordentlichen Sitzung zusammen kommt.
Normalerweise tagt der Schätzerkreis Mitte Oktober. Er setzt sich aus Experten des BMG, des Bundesamtes für Soziale Sicherung und des GKV-Spitzenverbands zusammen. Konkrete Zahlen, welche Kosten insgesamt in dieser ersten Welle der Pandemie auf die Krankenkassen zukommen und wie sich dabei die Liquidität des Gesundheitsfonds entwickelt, gibt es noch nicht. Auch Schätzungen sind derzeit nicht seriös möglich.
Unwahrscheinlich ist, dass sich mit den demnächst erscheinenden sogenannten KV45-Zahlen für das erste Quartal 2020 ein Trend für die Kosten der vergangenen Wochen abzeichnet. Dies wird auch in Kassenkreisen bestätigt, da noch unklar ist, wie sich die einzelnen Schutzschirme für Krankenhäuser, die Ausfallzahlungen für Heilmittelerbringer, die zusätzlich geplanten Tests sowie die Kompensation der sinkenden Fallzahlen in der ambulanten Versorgung auswirken.
Es gäbe dafür noch „kein Fahrgefühl“, heißt es aus Kassenkreisen. Sobald es konkrete Zahlen gebe, wolle man in weitere intensive Gespräche mit der Politik gehen, hieß es. Ebenso weisen Kassenfunktionäre darauf hin, dass die Gesetze von Minister Jens Spahn (CDU) schon vor der Coronapandemie für sie sehr kostspielig gewesen seien.
Konzeptpapier zeigt Sorgen auf
Die aktuellen Sorgen, die alle Kassenfunktionäre aller Lager teilen, haben sie in einem gemeinsamen Konzeptpapier dargestellt, das in einer Entwurfsfassung dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt. Die Diskussion darüber soll Donnerstag zwischen der Spitze des GKV-Spitzenverbands und Spitzenfunktionären einzelner Krankenkassenarten diskutiert werden.
Darin heißt es: „Für die weitere erfolgreiche Krisenbewältigung ist es von großer Bedeutung, dass sich Krankenkassen und Gesundheitsfonds auf der Finanzierungsseite weiterhin als flexibel und leistungsfähig erweisen.“ Dazu gehöre, dass Krankenkassen über ausreichende Mittel verfügten, um die absehbaren Zusatzaufgaben zu schultern und der Gesundheitsfonds über hinreichende Liquidität verfügt.
Außerdem – und dies war bereits in den vergangenen Wochen einigen Krankenkassen sauer aufgestoßen – müssten „die den Krankenkassen garantierten Zuweisungen trotz geringerer einnahmen gewohnt zeitnah“ ausgezahlt werden können. Anfang April hatte das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS, ehemals BVA) die regulären Zuweisungen an die Krankenkassen um einige Tage verzögert und teilweise gemindert ausgezahlt – was offenbar bei einigen Krankenkassen bereits zu finanziellen Engpässen geführt haben soll.
Daher fordern die Kassen, dass es eine Sicherung der Liquidität von Krankenkassen und Gesundheitsfonds geben müsse. Dazu zähle dass „der Mittelfluss von Gesundheitsfonds an die Krankenkasse dringend zu verstetigen“ sei. Dafür müsste auch über Bundesdarlehen zum Gesundheitsfonds diskutiert werden.
Da Krankenkassen auch für Kosten zahlen, die eigentlich zur Gefahrenabwehr gehörten, wie beispielsweise die 50.000 Euro pro vorgehaltenem Intensivbett, müsse auch dies durch einen „ausgabedeckenden Bundeszuschuss“ ausgeglichen werden. Damit solle mehr Steuergeld eingesetzt werden und weniger Geld aus dem Beitragsaufkommen.
„Auch ohne die unsachgemäße Belastung der Krankenkassen mit zusätzlichen versicherungsfremden Aufgaben werden die Krankenkassen in diesem Jahr pandemiebedingt Mehrausgaben auffangen müssen.“ Die Krankenkassen gehen davon aus, dass ohne gesetzliche Änderungen „das Finanzierungssystem der Krankenversicherung spätestens zum Jahreswechsel 2020/21 auf einen existenziell bedrohlichen Liquiditätsengpass“ zusteuere.
Das gelte vor allem für die derzeit gesetzliche Regelung, dass ein mögliches unterjähriges Bundesdarlehen an den Gesundheitsfonds bis zum Jahresende zurückgezahlt werden muss. „Die Rückzahlungsverpflichtung bis Jahresende bewirkt, dass der Gesundheitsfonds am 16.12.2020 keine Zuweisungen auszahlen könnte.“ Damit würden die Zuweisungen für Dezember 2020 spätestens Mitte Januar 2021 gezahlt werden. „Dieses Liquiditätsloch ist unbedingt zu vermeiden.“
Daher wollen die Krankenkassen bei den Gesundheitspolitikern dafür werben, dass die Liquiditätshilfe des Bundes an den Gesundheitsfonds in diesem Jahr in einen „nicht rückzahlbaren Bundeszuschuss umgewandelt wird.“ Ansonsten drohten, so die Krankenkassen, deutliche Steigerungen des Zusatzbeitragssatzes, möglicherweise um 0,3 Prozentpunkte. Der derzeitige Zusatzbeitrag liegt im Schnitt bei 1,1 Prozent.
Auch in der Gesundheitspolitik kommen die Forderungen der Krankenkassen nach einem höheren Zuschuss aus Steuermitteln bereits an. So erklärte die SPD-Gesundheitsexpertin Bärbel Bas Anfang der Woche: „Mir ist wichtig, dass wir die gesetzlichen Krankenversicherungen und damit die Versicherten nicht überlasten. Schon jetzt ist klar: Wir brauchen einen höheren Steuerzuschuss und müssen die Privaten Krankenversicherungen viel mehr an den Kosten beteiligen.“
Grünen-Politikerin Maria Klein-Schmeink erklärte in einem Statement: „Notwendig ist ein Schutzschirm für die gesetzliche Krankenversicherung. Der Bundeszuschuss in diesem und im kommenden Jahr muss erhöht werden.“ Denn insgesamt seien die finanzielle Last für die Krankenkassen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen.
„Zusammen mit den zahlreichen Lasten, die die Koalition der gesetzlichen Krankenversicherung in den vergangenen Jahren übergeholfen hat und den wegbrechenden Beitragseinnahmen, wird das enorme Folgen für die Beiträge der gesetzlichen Krankenkassen im nächsten und vereinzelt auch schon in diesem Jahr zur Folge haben“, sagte sie. © bee/aerzteblatt.de

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