Politik
Bundestag beschließt neue Regeln für Berufskrankheiten
Freitag, 8. Mai 2020
Berlin – Der Bundestag hat gestern mit dem siebten Sozialgesetzbuch-IV-Änderungsgesetz ein Paket beschlossen, dass auch neue Regeln für Berufskrankheiten festlegt. So soll künftig der Unterlassungszwang wegfallen. Dieser sieht bei einigen Krankheitsbildern vor, dass sie nur dann als Berufskrankheit anerkannt werden können, wenn der Betreffende die entsprechende Tätigkeit aufgibt.
Den Unterlassungszwang hatte der Gesetzgeber 1961 eingeführt, weil in einigen Bereichen nur sehr wenige der angezeigten Verdachtsfälle letztendlich als Berufskrankheit anerkannt wurden. Er sollte sicherstellen, dass „Bagatellerkrankungen“ nicht als Berufskrankheiten angezeigt werden. Außerdem sollte der Unterlassungszwang eine weitere Schädigung durch die Fortsetzung der bisherigen Tätigkeit verhindern. Dieses Ziel will der Gesetzgeber nun durch mehr Individualprävention erreichen.
„Durch das Zusammenwirken von Versicherten, Arbeitgebern und Unfallversicherungsträgern kann darüber hinaus das allgemeine Ziel, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben bereits eingetretener Berufskrankheiten so weit wie möglich zu verhindern, künftig besser erreicht werden“, heißt es in den Erläuterungen zum Gesetz. Die Regelungen beschränkten sich deshalb nicht auf die Berufskrankheiten, bei denen bisher der Unterlassungszwang galt, sondern gelte für alle Berufskrankheiten.
Fälle, in denen eine Anerkennung als Berufskrankheit in der Vergangenheit aufgrund der fehlenden Aufgabe der schädigenden Tätigkeit nicht erfolgen konnte, werden laut dem Gesetz überprüft, wenn sie nach dem 1. Januar 1997 entschieden worden sind. Rückwirkende Leistungen soll es aber nicht geben – lediglich die Möglichkeit, dass eine Berufskrankheit jetzt anerkannt wird.
Neu im Gesetz verankert ist außerdem ein ärztlicher Sachverständigenbeirat zu Berufskrankheiten. Er soll eine Geschäftsstelle erhalten, die den Sachverständigenbeirat bei der Erfüllung seiner Arbeit organisatorisch und wissenschaftlich unterstützt.
„Der Sachverständigenbeirat ist ein wissenschaftliches Gremium, das das Ministerium bei der Prüfung der medizinischen Erkenntnisse zur Bezeichnung neuer und zur Erarbeitung wissenschaftlicher Stellungnahmen zu bestehenden Berufskrankheiten unterstützt“, heißt es in der Gesetzesnovelle. Zusammen mit der entsprechenden Geschäftsstelle soll er Entscheidungsprozesse bei neuen Berufskrankheiten beschleunigen. Der Beirat soll zwölf Personen umfassen.
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Die gesetzlichen Neuerungen sollen zudem einheitliche Regelungen zur Anerkennung von Bestandsfällen bei neuen Berufskrankheiten schaffen und mehr Transparenz und Anreize zur Berufskrankheitenforschung durch eine öffentliche Berichterstattung der Unfallversicherung schaffen. Die Maßnahmen sollen Anfang 2021 in Kraft treten und 2026 evaluiert werden.
Das Gesetzespaket sieht auch weitere Maßnahmen für eine „effektivere Gestaltung bestehender Verfahren in der Sozialversicherung“ vor. Künftig sollen beispielsweise die Sozialwahlen online stattfinden können.
Lob und Kritik
Lob kam von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). Hauptgeschäftsführer Stefan Hussy sieht das Gesetz als großen und zugleich ausgewogenen Schritt zur Weiterentwicklung des Rechts der Berufskrankheiten. Der Gesetzgeber habe damit in weiten Teilen Vorschläge aufgegriffen, die die Vertreter der Arbeitgeber und Versicherten in der Selbstverwaltung der gesetzlichen Unfallversicherung erarbeitet hätten.
„Der Unterlassungszwang ist nicht mehr nötig. Wir haben seit einiger Zeit Verfahren, die es zum Beispiel Versicherten mit einer Hauterkrankung ermöglichen, ihren Job weiter auszuüben“, sagte die stellvertretende Hauptgeschäftsführerin der DGUV, Edlyn Höller. Das Gesetz stärke die Individualprävention und trage somit dazu bei, die Arbeitswelt gesünder zu machen.
Kritik am Gesetz übte der Sozialverband VdK Deutschland. Künftig sollten auch psychische Erkrankungen im Berufskrankheitenrecht berücksichtigt werden. Außerdem sollte der Gesetzgeber die Anerkennung als Berufskrankheit erleichtern, so der Verband.
Der VdK setzt sich außerdem für einen neuen „Sozialen Ausschuss Berufskrankheiten“ beim Bundesarbeitsministerium ein. Der Sachverständigenbeirat beleuchte nur die medizinische Seite. „Um die Rechte der Erkrankten wahrzunehmen, muss es einen ‚Sozialen Ausschuss‘ geben, der aus den Sozialpartnern und Sozialverbänden besteht“, so der VdK. © hil/may/aerzteblatt.de

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