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Politik

Tausende bei Demos gegen Coronaregeln

Sonntag, 10. Mai 2020

Coronaproteste am 9. Mai in Stuttgart /picture alliance, NurPhoto

Berlin – Der Protest gegen die Beschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens im Zuge der Coronakrise nimmt trotz zahlreicher Lockerungen der Vorschriften stetig zu. Er hat sich inzwischen auf ganz Deutschland ausgeweitet.

Vorgestern demonstrierten in Berlin, Frankfurt, Köln, München und Stuttgart, aber auch in kleineren Städten Tausende Menschen – oft unter Missachtung des Verbots großer Ver­sammlungen und der Abstandsregeln. Die Polizei schritt trotz der Verstöße nicht immer ein. In Berlin nahm sie wegen des Nichteinhaltens der Regeln zur Eindämmung des Virus' mehr als 100 Menschen vorübergehend fest.

Zu den Demonstrationen kamen Verschwörungstheoretiker ebenso wie Impfgegner, Rechtspopulisten und politisch schwer einzuordnende Menschen. Sie protestierten gegen die aus ihrer Sicht übertriebenen Einschränkungen und Grundrechtseingriffe sowie gegen eine angebliche drohende Impfpflicht gegen das Coronavirus.

Auf Transparenten waren Slogans wie „Erhebt Euch“, „Panik-Politik stoppen“, „Wir wollen unser Leben zurück“ oder „Stoppt die Gesundheitsfaschisten“ zu lesen, Demonstranten riefen Parolen wie „Legt den Maulkorb ab“ und „Widerstand“.

Für Empörung und Kritik auch aus den eigenen Reihen sorgte die Teilnahme des kurzzei­ti­gen Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich an einem Protest in Gera. Der FDP-Politiker schrieb auf Twitter, er habe an einer Veranstaltung für „Verhältnismäßigkeit und einen Coronaexit mit Maß und Mitte“ teilgenommen.

Ministerpräsident Bodo Ramelow reagierte ebenfalls auf Twitter auf ein Bild, das den FDP-Politiker ohne Mund-Nase-Schutz und ohne Abstand in einer Menschenmenge zeigt: „Abstand halten oder Mund/Nasenschutz/Bedeckung? - Fehlanzeige! Vorbildfunktion? – Fehlanzeige!“

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner äußerte deutliche Kritik an seinem Parteifreund: „Wer sich für Bürgerrechte und eine intelligente Öffnungsstrategie einsetzt, der demons­triert nicht mit obskuren Kreisen und der verzichtet nicht auf Abstand und Schutz.“ Kem­merichs Aktion schwäche die Argumente der FDP. „Ich habe dafür kein Verständnis.“ Heu­te räumte Kemmerich daraufhin Fehler ein.

Von fast allen Protestveranstaltungen berichtete die Polizei, dass die Teilnehmer den Ab­stand von 1,5 bis 2 Meter nicht eingehalten hätten. Etwa in München, wo sich auf dem Marienplatz rund 3.000 Menschen versammelten – angemeldet waren laut Polizei 80 Teil­nehmer. Aus „Gründen der Verhältnismäßigkeit“ habe man die Demonstration laufen lassen. Alle hätten sich friedlich verhalten.

Kritik an Demonstranten

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) kritisierte heute die Demonstranten scharf. „Grund­sätzlich habe ich Verständnis dafür, dass die Menschen sich durch die getroffenen Maß­nah­men in ihrer persönlichen Freiheit eingeschränkt fühlen und baldmöglichst wieder zu einer gewissen Normalität zurückkehren möchten“, sagte er.

„Gar kein Verständnis habe ich für Aktionen oder Demonstrationen, die durch fehlende Distanz und Mund/Nasenschutz jede positive Entwicklung des Infektionsgeschehens kon­terkarieren und weitere Lockerungen eher gefährden als ermöglichen.“ Reiter bezeichnete es auch als „absolut unerträglich“, dass politisch extrem rechte Gruppierungen versuch­ten, die Stimmung zu nutzen, um demokratiefeindliche Hetze zu verbreiten.

Auf dem Cannstatter Wasen in Stuttgart versammelten sich nach Angaben der Polizei am Samstag rund 5.000 Menschen. Größere Probleme habe es nicht gegeben. Die Vorgaben etwa zum Abstand seien meist eingehalten worden, die Veranstaltung sei friedlich ge­blie­ben.

Dagegen sprach die Polizei in Berlin bei einer Demonstration auf dem Alexanderplatz von „teils großer Aggressivität“. Dort hätten sich etwa 1.200 Menschen versammelt. Es habe Angriffe auf Polizeibeamte gegeben, Flaschen seien geflogen, die Abstandsregeln oft nicht eingehalten worden. Die Beamten reagierten unter anderem mit dem Einsatz von Pfefferspray. 86 Menschen wurden festgenommen. Auch bei einer Demonstration am Reichstag wurden wegen des Nichteinhaltens der Regeln 45 Menschen vorübergehend festgenommen.

Gegen diese seit Wochen zunehmenden Demonstrationen regt sich inzwischen aber auch Protest. So zählte die Polizei in Hannover auf dem Opernplatz rund 800 Demonstranten – dazu gab es eine Gegendemo mit etwa 900 Teilnehmern. In Bremen wollten nach Polizei­angaben Gegner der Coronamaßnahmen einen Konvoi mit 45 Autos abhalten. Das wurde aber von rund 200 Gegendemonstranten auf Fahrrädern verhindert.

„Die Pandemie wird zum Anlass genommen, um die Bundesregierung in hetzerischer Art zu kritisieren, zum Teil antisemitische Verschwörungstheorien zu verbreiten und Migran­ten als Überträger des Virus zu stigmatisieren“, erklärte eine Sprecherin des Innenminis­te­riums in Mecklenburg-Vorpommern. Sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter, die die Existenz der Bundesrepublik nicht anerkennen, stellten die Pandemie als eine gesteu­erten Aktion durch globale Eliten und Großkonzerne dar.

„Beunruhigend ist das Zeichnen von Untergangsszenarien, die mit Vorstellungen eines radikalen Wandels von Staat und Gesellschaft im Sinne der eigenen Ideologie verbunden werden“, erklärte das Innenministerium. Die rechtsextremistische Szene glaube, dass ihre im Internet verbreiteten Positionen bei einer verunsicherten Bevölkerung auf Zustim­mung stießen. Szenemitglieder beteiligten sich darum auch an Protesten gegen Maßnah­men zur Eindämmung des Virus.

Die Bundesbürger sind in Sachen Coronakrise gespalten. Ein am Freitag veröffentlichtes ZDF-„Politbarometer Extra“ zur Coronakrise ergab, dass 47 Prozent der Befragten die Öffnungsschritte „gerade richtig“ finden. Elf Prozent meinten, diese wären „besser schon früher“ gekommen. Mit 38 Prozent hält mehr als ein Drittel die Lockerungen allerdings auch für verfrüht. © dpa/afp/aerzteblatt.de

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