Politik
Sieben Prozent aller SARS-CoV-2-Infizierten arbeiten in medizinischen Einrichtungen
Dienstag, 19. Mai 2020
Berlin – Fast sieben Prozent aller rund 175.000 in Deutschland erfassten Infektionen sind bei Mitarbeitenden in Gesundheitseinrichtungen aufgetreten (6,8 Prozent). Dem aktuellen Lagebericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) zufolge waren bis gestern mindestens 11.800 Beschäftigte der Gesundheitsversorgung mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert. 541 von ihnen wurden bisher hospitalisiert, 19 sind verstorben (Stand 18.5.2020, 0 Uhr).
Die Zahlen haben sich seit dem 14. April verdoppelt: Damals waren dem RKI rund 5.850 Infizierte Beschäftigte solcher Institutionen bekannt. Das waren rund 5 Prozent aller Infizierten (4,6 Prozent).
Das RKI weist allerdings darauf hin, dass es sich bei den Zahlen aus dem Lagebericht um Mindestangaben handele. Bei knapp einem Drittel (31 Prozent) aller Meldungen aus den Gesundheitsämtern an das RKI fehle die Angabe zur genauen Tätigkeit der infizierten Personen. Rechnet man diese Meldungen mit fehlenden Angaben heraus, stellen die Gesundheitsmitarbeitenden fast zehn Prozent (9,8 Prozent) aller Fälle in Deutschland.
Differenzierung der Einrichtungen
Die genannten Zahlen fassen alle Beschäftigten in sogenannten „für den Infektionsschutz relevanten Einrichtungen nach §23 im Infektionsschutzgesetz (IfSG)“ zusammen. Dazu zählen Krankenhäuser, ambulante OP-Zentren, Arztpraxen, Rettungsdienste, Dialyse- und Entbindungseinrichtungen sowie ambulante Intensiv-Pflegedienste und Rehabilitationskliniken, die eine krankenhausähnliche medizinische Versorgung anbieten.
Darüber hinaus nennt das RKI auch Zahlen für Mitarbeitende in Einrichtungen nach §36 IfSG. Darunter sind Alten- und Behindertenheime, aber auch Asyl- und Obdachlosenunterkünfte sowie Gefängnisse zusammengefasst. Mehr als 8.500 Beschäftigte dieser Institutionen waren dem RKI-Lagebericht zufolge bereits mit dem Virus infiziert, rund 350 wurden in Kliniken behandelt, 42 sind verstorben.
„Die hohen Fallzahlen bei Betreuten und Tätigen in diesen Einrichtungen stehen im Einklang mit der Anzahl der berichteten Ausbrüche in Alters- und Pflegeheimen der letzten Wochen“, schrieb das RKI in ihrem Lagebericht. Zusammengenommen sind so aktuell mindestens 20.425 Mitarbeitende von Gesundheitseinrichtungen infiziert. Das sind mehr als elf Prozent aller in Deutschland erfassten Infizierten (11,7 Prozent).
Keine verpflichtende Erfassung
Dem Infektionsschutzgesetz zufolge müssen Ärzte dem zuständigen Gesundheitsamt melden, ob eine mit SARS-CoV-2 infizierte Person in einem Krankenhaus, einer Arztpraxis oder einer anderen medizinischen Einrichtung tätig ist. Eine verpflichtende Meldung, die zwischen der Arbeit in der jeweiligen Einrichtung unterscheidet, ist im Infektionsschutzgesetz jedoch nicht vorgesehen.
Zwar sei den Gesundheitsämtern „die Tätigkeit in der Regel bekannt“, erklärte das RKI dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ) auf Anfrage. Die Gesundheitsämter würden auch die erforderlichen Infektionsschutzmaßnahmen einleiten, sodass „unmittelbar keine Risiken dadurch entstehen, dass diese Informationen nicht an das RKI übermittelt werden“.
Doch eine vollständige, nach Arbeitsplatz differenzierte Erfassung der Zahl infizierter Mitarbeiter von Gesundheitsberufen erfolgt nicht. Unklar sei zudem, wo die Ansteckung mit dem Virus stattgefunden hat: am Arbeitsplatz oder im privaten Umfeld, erklärte das RKI.
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Mehr Tests für Gesundheitsberufe
Der Marburger Bund (MB) kritisiert das Fehlen eines bundesweit einheitlichen Verfahrens zur Erfassung der Tätigkeitsbereiche von Infizierten. Denn eine solche Untererfassung berge Risiken: Neben dem Ansteckungsrisiko für Patienten und Mitarbeitende könnten auch die verfügbaren Personalressourcen falsch eingeschätzt werden.
Zudem sei es für die epidemiologische Bewertung der Wirksamkeit von Hygiene- und Schutzmaßnahmen notwendig, die Infektionszahlen im medizinischen Bereich mit denen in der Gesamtbevölkerung vergleichen zu können.
„Wir müssen sehr viel häufiger testen, damit wir infizierte Beschäftigte und Patienten gleichermaßen schützen können. Wenn die Krankenhäuser wieder mehr und mehr auf Regelbetrieb umstellen, wird das noch wichtiger sein“, betont die 1. Vorsitzende des MB, Susanne Johna, dem DÄ.
Um ein genaues Bild der Lage zu erhalten, müssten „in allen Ländern auf der Grundlage einheitlicher Meldekriterien alle infizierten Ärztinnen und Ärzte sowie weitere Gesundheitsberufe tagesaktuell erfasst werden“. Sonst könnten präventive Maßnahmen zu spät erfolgen. Der MB fordert daher klare Vorgaben zur Erfassung der Tätigkeit im Infektionsschutzgesetz.
Auch der Deutsche Pflegerat (DPR) setzt sich für eine differenzierte Erfassung der Gesundheitsberufe ein. Positive wie negative Testergebnisse sowie die Zahl der Erkrankten, der Infizierten in Quarantäne und der Verstorbenen müssten bundesweit statistisch erfasst werden. „Diese Zahlen würden eine Einschätzung der Gefährdungslage erlauben und eine Planungsgrundlage für das Auftreten einer potenziellen zweiten Infektionswelle bilden“, sagt der Präsident des DPR, Franz Wagner, dem DÄ.
Bereits Mitte April hatte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) in einem Konzeptpapier festgehalten: Medizinisches und Pflegepersonal sollte regelmäßig auf eine Coronainfektion mittels PCR-Methode getestet werden, um nosokomiale Ausbrüche zu verhindern. Jedoch müsse die Finanzierung klar geregelt werden.
Testkapazitäten reichen aus
Die Labore könnten solche breit angelegten Personaltestungen leisten. Die Testkapazitäten reichten aus, um auch kurzfristig Hunderttausende zu testen, betonte der Interessenverband der akkreditierten Labore in der Medizin (ALM) Anfang Mai. Aktuell könnten wöchentlich rund 845.000 PCR-Tests durchgeführt werden. Davon würden derzeit nur knapp 43 Prozent genutzt.
„Wir sind gut gerüstet für die Ausweitung der PCR-Diagnostik auf Risikogruppen, Pflegeheime und Krankenhäuser und insbesondere auf die Kontaktpersonen“, sagte ALM-Vorstand Evangelos Kotsopoulos. © jff/fos/aerzteblatt.de

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