Politik
Größere Zurückhaltung der Patienten nach Urteil zu Leistungsanträgen erwartet
Donnerstag, 28. Mai 2020
Berlin – Ein aktuelles Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) zu Fristen der Krankenkassen bei Leistungsanträgen wird zu einer noch größeren Zurückhaltung von betroffenen Patienten führen, sich Leistungen selbst zu beschaffen. Davon geht die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) aus.
Laut Gesetz müssen die Krankenkassen „zügig“ über Leistungsanträge entscheiden, spätestens innerhalb von drei Wochen. Schaltet die Kasse den Medizinischen Dienst ein und informiert sie den Versicherten rechtzeitig, verlängert sich die Entscheidungsfrist auf fünf Wochen. Bei Zahnleistungen gilt generell eine Frist von sechs Wochen.
Die Kassen können auch Verzögerungsgründe nennen. Schweigen sie, „gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt“, heißt es im Sozialgesetzbuch. Dann greift die sogenannte Genehmigungsfiktion.
Das BSG hat nun entschieden, dass bei einer Nichteinhaltung der gesetzlichen Fristen durch die Krankenkassen zwar weiterhin ein Anspruch auf Kostenerstattung besteht, der bisherige Anspruch auf Sachleistung aber wegfällt. Fehlen zunächst also Geld oder Gelegenheit, sich die entsprechende Leistung selbst zu beschaffen, geht der Anspruch durch eine spätere Ablehnung durch die Krankenkasse verloren.
Die juristische Leiterin der UPD, Heike Morris, betonte, dass ohnehin „nur ein Bruchteil der Versicherten“ die Genehmigungsfiktion kennen würde. Das zeigten Erfahrungen aus den Beratungsgesprächen der UPD. Selbst, wenn Betroffene von der UPD über die rechtlichen Möglichkeiten aufgeklärt worden seien, würden fast alle abblocken. „Die meisten haben Angst, auf den Kosten der Therapie sitzen zu bleiben“, sagte Morris.
Sie bezeichnete die gesetzliche Regelung der Genehmigungsfiktion als „weltfremd“. Denn der Großteil der Menschen könne es sich nicht gar leisten, in Vorleistung für Therapien und Behandlungen zu treten. Das aktuelle Urteil, mit dem das Risiko steige, auf den Kosten sitzen zu bleiben, werde daher schätzungsweise dazu führen, dass die Zurückhaltung der Menschen noch weiter wachse, sagte sie.
Die Tendenz des Urteils hält sie generell für eine „ganz unglückliche Entwicklung“. Die vollständigen Konsequenzen aus dem Urteil ließen sich allerdings erst dann ablesen, wenn die genaue Urteilsbegründung vorliege.
Der Sozialverband VdK hatte bereits gestern angekündigt, gegen das Urteil des BSG Verfassungsbeschwerde einzureichen. Der VdK hält die Entscheidung für „versichertenfeindlich“. Das Gericht stelle den Krankenkassen „einen Blankoscheck für langsames Arbeiten“ aus, kritisierte VdK-Präsidentin Verena Bentele. Das Urteil benachteilige einseitig die gesetzlich Krankenversicherten. Damit werde das Gleichheitsgebot verletzt. © may/afp/aerzteblatt.de

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