Politik
Viel Kritik für Spahns zurückgezogenes Hebammen-Gesetz
Freitag, 12. Juni 2020
Berlin – Die Situation der Hebammen in der klinischen Geburtshilfe gilt als prekär. Kaum planbare Dienste an Wochenenden, Feiertagen und nachts, viele fachfremde Aufgaben und Gehälter, die der hohen Arbeitsbelastung nicht gerecht werden.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will die Situation schon seit Längerem angehen. Jetzt legte sein Ministerium überraschend ein Förderprogramm vor, dass die Koalitionsfraktionen in der kommenden Woche als fachfremden Änderungsantrag in die Beratungen des Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetzes einbringen sollten. Kurz vorher wurde das Papier aber wieder zurückgezogen.
Kern des auf drei Jahre ausgelegten Programms sollte die Schaffung zusätzlicher Stellen sein. Das Papier sah eine Förderung von 0,5 Hebammenstellen pro 500 Geburten vor. Auf diese Weise sollten rund 600 Stellen refinanziert werden.
Ein Ansatz mit zwei „elementaren Schwachstellen“, wie Anton Scharl, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) sowie DGGG-Vizepräsident Frank Louwen und Michael Abou-Dakn, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft für Geburtshilfe und Pränatalmedizin in der DGGG in einer gemeinsamen Stellungnahme, die dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt, erklären.
„Bereits jetzt beruht der Hebammenmangel in der klinischen Geburtshilfe überwiegend nicht auf einem Mangel an freien Stellen. Vielmehr können in den meisten Kliniken die vorhandenen Stellen nicht ausreichend besetzt werden“, so die Experten. Zusätzliche, durch das Ministerium finanzierte Stellen würden daher überwiegend nicht die Zahl der Hebammen in der Klinik, sondern nur die Zahl der freien Stellen erhöhen.
Auf diesen Umstand deutet bereits ein vom Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gegebenes Gutachten des Instituts für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) hin. Der Bericht erschien im September 2019 und sollte auch als Grundlage für mögliche gesetzliche Maßnahmen dienen.
Demnach haben 57 Prozent der Kliniken Vakanzen von im Schnitt 18 Prozent der Planstellen. Die Hälfte dieser Kliniken habe Schwierigkeiten die Stellen zu besetzen, heißt es dort. Auch die Suche nach ärztlichem Personal für die klinische Geburtshilfe gestaltet sich laut Gutachten für knapp 60 Prozent der Kliniken schwierig. Die Gründe seien in beiden Fällen die gleichen: Eine hohe Arbeitsbelastung für ein nach Angaben der Befragten unangemessenes Gehalt.
Fördermöglichkeiten beschränkt
Die zweite Schwachstelle liegt nach Ansicht der DGGG-Experten in der Beschränkung der Fördermöglichkeiten auf fest angestellte Hebammen. In manchen Bundesländern seien vor allem Beleghebammen in der klinischen Geburtshilfe tätig. In dem ursprünglichen Änderungsantrag seien diese jedoch nicht berücksichtigt worden. Kliniken, die vorranging mit diesem Modell arbeiten, wären leer ausgegangen.
Beide Punkte kritisiert auch Emmi Zeulner, die für die CSU im Gesundheitsausschuss sitzt. „Ich begrüße den Rückzug des Änderungsantrags, so besteht die Möglichkeit einige Punkte nochmals zu überarbeiten“, so die Bundestagsabgeordnete. Es dürfe nicht bei einem reinen Stellenförderungsprogramm bleiben. Beleghebammen müssten Teil des Programms sein und die Finanzierung von Geburtskliniken und Kreißsälen explizit im Vordergrund stehen.
„Das könnte über eine Stand-Alone-Finanzierung gelingen“, so Zeulner, „wenn wir die klinische Geburtshilfe nachhaltig stärken wollen, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, sollten Geburtsstationen nicht zentral aus einem Topf für das gesamte Krankenhaus, sondern unabhängig davon finanziert werden“.
Für Belegärzte auf Geburtsstationen habe man im Gespräch mit den beteiligten Verbänden bereits 2019 erste Erfolge erzielt. Durch eine höhere Vergütung sei ein Ausgleich für die extrem hohen Haftpflichtkosten geschaffen worden.
Höhere Qualifikation muss sich in höherer Vergütung niederschlagen
„Aber wir wollen Verbesserungen für die gesamte Geburtshilfe erreichen, dazu zählen auch die Hebammen und angestellten Ärzte.“ Als nächstes wolle man sich auf die Hebammen konzentrieren. Hier ließe sich eine Verbesserung der Gehaltsstruktur über die seit diesem Jahr auch gesetzlich verankerte Akademisierung des Berufes erreichen, hofft Zeulner. Dabei müssten auch die Tarifpartner mitziehen.
„Eine höhere Qualifikation muss sich auch in einer höheren Vergütung niederschlagen. Wenn ich vonseiten der Politik die Hebammen unterstützen kann, mache ich das selbstverständlich gerne“, erklärte die CSU-Abgeordnete.
Die Länder seien in der Pflicht, die entsprechenden akademischen Strukturen zu schaffen, um den Fachkräftemangel aufzufangen. Allein über die Ausbildung sei dieser derzeit kaum noch zu decken. „Die Ausbildungszahlen der Hebammen lagen 2017/2018 bei circa 2.400 Auszubildenden in allen drei Jahrgängen“, sagt Zeulner.
In diese Richtung zielt auch ein dritter Kritikpunkt, der von Andrea Ramsell, Präsidiumsmitglied im Deutschen Hebammenverband, kommt. „Im Moment schätzen wir, dass eine Hebamme in Deutschland 120 Geburten im Jahr betreut. Im europäischen Vergleich sind das doppelt so viele Geburten wie in anderen Ländern. Wir brauchen ganz andere Personalschlüssel.“
Selbst unter der Maßgabe, dass die in dem zurückgezogenen Änderungsantrag geplanten 600 Stellen hätten besetzt werden können, wäre mit 0,5 zusätzlichen Stellen pro 500 Geburten kaum eine Entlastung erreicht worden, glaubt Ramsell. Dazu bräuchte es laut IGES-Gutachten ab 500 Geburten rund 0,9 Stellen pro Schicht mehr als bislang.
Ziel des Änderungsantrags sollte ein Betreuungsschlüssel von 1:2 sein. Doch aktuell betreut laut IGES-Gutachten ein Viertel der Hebammen selbst in einer üblichen Schicht vier und mehr Frauen im Kreißsaal gleichzeitig. Während Diensten mit einer überdurchschnittlich hohen Zahl an Gebärenden − laut Gutachten sind dies etwa 28 Prozent der Schichten − betreut ein Drittel der Hebammen nach eigenen Angaben sogar vier oder mehr Frauen gleichzeitig bei der Geburt.
Diese Kapazitätsengpässe, die tendenziell häufiger auch zu Aufnahmestopps für Frauen in den Wehen führten, seien zwar keine flächendeckende Erscheinung, aber auch keine seltenen Einzelfälle mehr, heißt es im IGES-Gutachten.
Vor allem in städtischen Ballungsräumen dürfte sich die Situation in den kommenden Jahren noch verschärfen. Laut Bericht erwarten 70 Prozent der Geburtskliniken einen steigenden Bedarf an Hebammen in den nächsten fünf Jahren − doch das Angebot an Arbeitskraft sinkt.
Belastung hoch
Jede dritte Hebamme arbeitet demnach schon jetzt weniger als 20 Stunden pro Woche, 40 Prozent der Hebammen ziehen laut dem Gutachten eine Reduzierung der Arbeitszeit in Erwägung, ein Viertel will die Tätigkeit womöglich ganz aufgeben. „Momentan ist die Belastung durch eine Vollzeitstelle so hoch, dass die Kolleginnen mehrheitlich in Teilzeit arbeiten“, bestätigt Ramsell.
Sie fordert neben einem deutlich höheren Verdienst die konsequente Entlastung von fachfremden Tätigkeiten. „In einigen Kliniken putzen die Hebammen regelhaft den Kreißsaal, weil es keine 24-Stunden-Putzdienste gibt“, so Ramsell. Hebammen müssten ihren originären Tätigkeiten nachgehen können.
Um dieses Problem anzugehen, waren in Spahns Änderungsantrag auch Stellen für assistierendes medizinisches Fachpersonal vorgesehen. Die Förderung zusätzlicher Stellen sollte auf zehn Prozent der auf Vollzeit umgerechneten Gesamtzahl der zum 1. Januar 2020 in Deutschland beschäftigten Hebammen gedeckelt werden. Nach Berechnungen des Gesundheitsministeriums hätten so etwa 700 neue Stellen für Assistenzpersonal refinanziert werden können.
Nachbesserungen sind geboten
Die Option, Personal im Kreißsaal zu entlasten, bezeichnen die Experten des DGGG als „Sehr sinnhaft“. Sie regen an, in einer Neuauflage des Antrags auch „Hilfspersonal ohne spezifisch medizinische Ausbildung“ aufzunehmen – etwa Reinigungskräfte. „Personal ohne medizinische Ausbildung wäre sofort verfügbar, könnte Hebammen und ärztliche Geburtshelfer entlasten und von nicht unmittelbar für die Betreuung von Schwangeren notwendigen Maßnahmen befreien“, so die Autoren.
Aus ihrer Sicht sind Nachbesserungen an dem jetzt zurückgezogenen Papier geboten. Die Initiative sei „allenfalls geeignet, einige Teilaspekte des Mangels anzugehen. Sie bietet aber keine nachhaltige und erfolgversprechende Lösung der Grundprobleme“, heißt es in der DGGG-Stellungnahme.
Auch Ramsell hofft, „dass schnell ein neuer, nachgebesserter Vorschlag eingebracht wird, der einen wirklichen Unterschied in der klinischen Geburtshilfe bewirkt und die Arbeitsbedingungen und Entlohnung der Hebammen tatsächlich verbessert“.
Nach Ansicht von Gesundheitsexpertin Zeulner soll das noch 2020 geschehen: „Ich werde mich dafür einsetzen, dass die Verbesserung der wohnortnahen Geburtshilfe noch in diesem Jahr wieder Thema wird“. © alir/aerzteblatt.de

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