Medizin
Antikörper-Studie: Viele Bürger Ischgls waren infiziert
Donnerstag, 25. Juni 2020
Innsbruck – Im österreichischen Ischgl war ein großer Teil der Bevölkerung mit SARS-CoV-2 infiziert. Nach Angaben der Medizinischen Universität Innsbruck haben 42,4 % der in einer umfassenden Studie untersuchten Bürger Antikörper auf das Coronavirus entwickelt. Das sei der weltweit höchste bisher publizierte Wert, sagte die Direktorin des Instituts für Virologie, Dorothee von Laer, heute in Innsbruck.
Ischgl mit seinen Après-Ski-Bars gilt als Brennpunkt für die Ausbreitung des Coronavirus in Österreich und Teilen Europas. Nach Angaben österreichischer Behörden waren zeitweise 40 % aller Fälle im Inland auf Ischgl zurückzuführen. Auch viele deutsche Touristen haben sich nach ihrer Überzeugung in Ischgl angesteckt.
Auffällig sei, dass von den positiv auf Antikörper getesteten Personen zuvor nur 15 % die Diagnose erhalten hätten, infiziert zu sein, sagte von Laer. „85 % derjenigen, die die Infektion durchgemacht haben, haben das unbemerkt durchgemacht.“ Trotz der hohen Rate an Antikörperpositivität sei auch in Ischgl keine Herdenimmunität erreicht. Entscheidend für den Rückgang der Fälle seien die Quarantäne und die soziale Distanz gewesen, hieß es.
Rund 80 % der Ischgler Bevölkerung nahmen an der Studie teil. Insgesamt waren zwischen 21. und 27. April 1.473 Bewohnerinnen und Bewohner (1.259 Erwachsene, 214 Kinder) der Tiroler Gemeinde untersucht worden. Nun liegen erste Ergebnisse aus der von der Medizinischen Universität Innsbruck durchgeführten und bislang unveröffentlichten Studie vor.
Da es sich bei Ischgl um eine Gemeinde handelt, die aufgrund von Superspreading-Events überdurchschnittlich von der aktuellen Coronapandemie betroffen und infolge der strikten Quarantänemaßnahmen von der Umwelt abgeschlossen war, können aus der populationsbasierten Querschnittstudie wichtige Erkenntnisse zu Virusausbreitung und Infektionsverlauf gewonnen werden. Im Hinblick auf den erhobenen Nachweis von Antikörpern ist die Studie jedoch nicht repräsentativ für die österreichische Gesamtbevölkerung.
Die Seroprävalenz in Ischgl liegt der Studie zufolge bei 42,4 %. Von den Kindern unter 18 Jahren weisen 27 % Antikörper auf. Der Anteil der seropositiv Getesteten liegt damit etwa 6 Mal höher (bei Kindern 10 Mal höher) als die Zahl der zuvor mittels PCR positiv getesteten Personen, die Rate der offiziell gemeldeten Fälle beträgt damit nur 15 % der de facto Infizierten.
Die Zahl der nicht dokumentierten Fälle, die aufgrund eines asymptomatischen oder milden Infektionsverlaufs nicht getestet wurden, lässt sich ausschließlich mit Antikörpertests nachweisen. „Eine hohe Rate nicht dokumentierter Fälle haben wir bereits vor Studienbeginn angenommen und sie hat sich nun, wie in anderen Hotspots auch, bestätigt“, so von Laer.
Mittels Fragebogen konnten in der Studie auch vorsichtige Rückschlüsse auf den Infektionsverlauf erhoben werden. So berichtete ein Großteil der seropositiv getesteten Studienteilnehmer über Geschmacks- und Geruchsstörungen, gefolgt von Fieber und Husten.
Unter den seropositiv getesteten Kindern verlief die Infektion meist asymptomatisch. Lediglich neun Erwachsene unter den Studienteilnehmern mussten im Krankenhaus behandelt werden.
Auch die Tests standen auf dem Prüfstand
Im Fokus der Studie stand außerdem die Anwendungssicherheit der Testverfahren zur Feststellung von Antikörpern.
„Um die SARS-CoV-2 spezifischen Immunglobuline IgA und IgG im Blut nachweisen zu können, haben wir ein dreistufiges Verfahren mit maximaler Sensitivität und praktisch 100 % Spezifität etabliert“, beschreibt von Laer die neue Teststrategie.
Dabei wurden 2 hochsensitive ELISA-Tests eingesetzt, deren negative Ergebnisse als endgültig negativ beurteilt wurden. Übereinstimmend positive Ergebnisse wurden als „Hinweis auf eine zurückliegende Infektion mit SARS-CoV-2“ beurteilt. War nur ein ELISA positiv, der andere negativ, wurde zur weiteren Abklärung ein Neutralisationstest durchgeführt.
Die Frage der Immunität bzw. wie lange Träger von SARS-CoV-2 Antikörpern vor einer Infektion geschützt sind, ist auch mit dieser Studie nicht aufgeklärt. „Es wäre sicher sinnvoll, die Ischgler Kohorte weiterhin zu begleiten und die Seroprävalenz zu einem späteren Zeitpunkt wieder zu untersuchen“, so der Rektor der Medizinischen Universität Innsbruck, W. Wolfgang Fleischhacker. © nec/dpa/aerzteblatt.de

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