Politik
Experten plädieren für vollständiges Tabakwerbeverbot
Dienstag, 30. Juni 2020
Berlin – Sachverständige sehen noch deutliche Lücken im geplanten Gesetz zum Tabakwerbeverbot über das übermorgen abgestimmt werden soll. Zwar begrüßten die sieben Experten, die gestern in einer kurzfristig anberaumten öffentlichen Anhörung ihre Einschätzung darlegten, den Ansatz des Werbeverbots grundsätzlich. Dieser ließe der Tabakindustrie aber noch zu viele Freiräume, um auch die besonders schützenswerte Gruppe der Jugendlichen weiterhin anzusprechen.
„Ich habe selten eine Anhörung miterlebt, wo es so viel Konsens gab“, erklärte der Leiter der Anhörung, Alois Gerig (CDU/CSU), im Anschluss an die Veranstaltung. Das galt sowohl für die generelle Zustimmung für ein Tabakwerbeverbot als auch für die Kritik daran.
So umfasst der Gesetzesentwurf in seiner jetzigen Form Außenwerbeverbote etwa für Haltestellen und Litfaßsäulen. Ausgenommen sind bislang Werbeflächen des Fachhandels. Auch Sponsoring etwa von Konzerten, Festivals, Kulturveranstaltungen oder auch Organisationen und politischen Parteien sollen weiterhin erlaubt bleiben.
„Es ist also nur ein teilweises Verbot, das deshalb wenig wirksam ist“, erklärte unter anderem Laura Graen, Expertin für Menschrechte und Tabakkontrolle bei „Unfairtobacco“, einem Projekt der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Umwelt und Entwicklung. Schon jetzt mache Sponsoring mit fast 150 Millionen Euro pro Jahr mehr als 60 Prozent der Werbeausgaben der Tabakindustrie aus. Es sei davon auszugehen, dass diese Ausgaben künftig noch weiter steigen.
Definition fehlt
„Die begrenzten Verbote erlauben ein Ausweichen auf andere Kanäle“, kritisierte auch Ute Mons, Leiterin der Stabsstelle Krebsprävention des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ). Es fehle eine eindeutige Definition des Begriffs Fachhandel in dem Gesetzentwurf. „Es gibt über 100.000 Verkaufsstellen für Tabakprodukte in Deutschland“, so Mons. Darunter auch Drogerien, Bäckereien oder Tankstellen. Im Stadtbild blieben die Produkte damit weiterhin sichtbar und das Verbot zur Außenwerbung werde unterlaufen.
Tabakwerbung könne als eigener Risikofaktor für den Einstieg ins Rauchen im Jugendalter angesehen werden, berichtete Reiner Hanewinkel, Leiter des Instituts für Therapie- und Gesundheitsforschung in Kiel. Dieses Risiko sei durch zahlreiche Studien gut belegt, die auch den Schluss auf eine Dosis-Wirkung-Beziehung zuließen.
„Je mehr Tabakwerbung Kinder und Jugendliche ausgesetzt sind, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie im späteren Lebensalter mit dem Rauchen beginnen.“ In diesem Zusammenhang sei auch das geplante Verbot von Kinowerbung vor Filmen, die für unter 18-Jährige zugelassen sind, zu begrüßen.
Martin Storck, Direktor der Klinik für Gefäß- und Thoraxchirurgie in Karlsruhe, äußerte Bedenken, dass die in dem Gesetzentwurf vorgesehene Gleichsetzung von Tabakzigaretten mit E-Zigaretten und Tabakerhitzern ein falsches Signal senden könne.
So könnten die nach jetzigem Kenntnisstand deutlich weniger schädlichen Tabakalternativen ein wichtiges Instrument zur Raucherentwöhnung darstellen. Die gesetzliche Gleichbehandlung vermittle jedoch den Eindruck, dass die Alternativprodukte ebenso schädlich seien wie konventionelle Zigaretten.
Hier müsse der Jugendschutz jedoch den Vorzug erhalten, argumentierten unter anderem Gesundheitsforscher Hanewinkel sowie Ulrike Helbig, Leiterin des Berliner Büros der Deutschen Krebshilfe. Während es bislang keine überzeugenden Belege für den Erfolg der E-Zigarette als Mittel zum Rauchstopp gebe, wäre die Rolle der Produkte bei Jugendlichen gut beleget, so Hanewnikel.
„Die Werbung suggeriert, dass die E-Zigarette ein unproblematisches Produkt ist“, erklärte der Experte. So würden auch Jugendliche angesprochen, die sich für konventionelle Tabakerzeugnisse sonst gar nicht interessiert hätten: „Ich sehe die Gefahr einer Einstiegsdroge“.
In diesem Zusammenhang kritisierten auch mehrere Sachverständige die in dem Entwurf vorgesehenen Übergangsfristen für Tabakerhitzer und E-Zigaretten. Außenwerbung für Erhitzer soll erst 2023, für E-Zigaretten erst 2024 verboten sein.
Den möglichen Erfolg einer freiwilligen Selbstverpflichtung zum Werbeverbot schätze sie als sehr niedrig ein, erklärte Helbig auf Nachfrage des CDU-Abgeordneten Hans-Jürgen Thies. Es habe immer wieder solche Versuche gegeben.
Dass Deutschland auf der Tabakkontrollskala, einem alle drei Jahre erscheinenden Bericht europäischer Gesundheits- und Bildungseinrichtungen, den letzten Platz belege, zeige, dass solche Selbstverpflichtungen ein schwieriges Unterfangen seien.
Auch laut europäischem Gerichtshof müsse Tabakkontrolle über gesetzliche Regulierung umgesetzt werden. Der Erfolg dieser Maßnahme sei in den europäischen Nachbarländern zu sehen. Dort gelten teils noch deutlich strengere Werbeverbote als im jetzt von der Koalition vorgelegten Entwurf.
Dieser geht übermorgen in die zweite Lesung. Abgeordnete haben noch die Möglichkeit, Änderungsanträge einzubringen. Sollte das nicht passieren, wird im Anschluss über den Entwurf in seiner jetzigen Form abgestimmt. © alir/aerzteblatt.de

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