Medizin
SARS-CoV-2: Evidenz spricht gegen Ansteckung über die Luft
Dienstag, 14. Juli 2020
Boston - Seit in experimentellen Studien gezeigt wurde, dass sich SARS-CoV-2 nicht nur über Tröpfchen, sondern auch über Aerosole verbreitet, herrscht eine rege Debatte darüber, ob Maske und Abstand überhaupt als Schutz ausreichen. Die Evidenz spricht allerdings gegen eine Ansteckung über die Luft, wie US-Mediziner in JAMA darlegen (DOI: 10.1001/jama.2020.12458).
Mittlerweile bekannt ist, dass die Mischung aus Tröpfchen und Aerosolen, die beim Sprechen und Husten entsteht, bis zu 8 Meter weit fliegen kann. Darüber kann SARS-CoV-2 – abhängig von der Raumbelüftung – offenbar über Stunden in der Luft schweben. Dass Sprechen und Husten Aerosole verursacht und dass man SARS-CoV-2 in Luftproben nachweisen konnte, ist Michael Klompas von der Harvard Medical School und seinen Co-Autoren zufolge aber kein Beweis dafür, dass es zu Infektionen über Aerosole kommen kann.
Trotz der experimentellen Daten zu einer möglichen aerosolbasierten Übertragung ließen sich die Infektionsraten in der Bevölkerung nur schwer mit einer aerosolbasierten Ansteckung über größere Distanzen vereinbaren, schreiben sie.
Auch die Reproduktionszahl von SARS-CoV-2, die vor dem Inkrafttreten von Eindämmungsmaßnahmen bei etwa 2,5 lag, entspricht mehr der Influenza als Viren, die sich bekanntermaßen über die Luft verbreiten, wie etwa Masern mit einer Reproduktionszahl von 18.
„Entweder ist die Menge an SARS-CoV-2, die für eine Infektion nötig ist, viel größer als bei Masern, oder Aerosole sind nicht der dominante Übertragungsweg“, schreiben Klompas und sein Team.
Wenige Ansteckungen auch im direkten Kontakt
Darüber hinaus gibt es noch einige weitere Punkte, die gegen eine prädominant aerosolbasierte Übertragung von SARS-CoV-2 sprechen: In Fallserien mit engen Kontakten von infizierten Patienten steckten sich nur 5 % der Kontaktpersonen an.
Auch die Ansteckungsraten von medizinischem Personal, das unwissentlich COVID-19-Patienten behandelte, sind niedrig. Studien kommen auf einen Anteil unter 3 %.
„Menschen mit einer SARS-CoV-2-Infektion produzieren möglicherweise konstant Tröpfchen und Aerosole, aber die meisten dieser Ausscheidungen infizieren niemanden“, so Klompas und Kollegen. Das spreche mehr für Sekrete, die schnell und innerhalb eines kleinen Radius zu Boden fallen, als für virusgeladene Aerosole, die stundenlang in der Luft schweben.
Eine Ausnahme sehen die US-Mediziner in der andauernden Exposition gegenüber einer infizierten Person in einem schlecht belüfteten Raum. In diesem Fall könne es passieren, schreiben sie, dass sich ansonsten nicht signifikante Mengen an virusbeladenen Aerosolen ansammelten und zu einer Ansteckung führten.
Das Hauptargument für eine Ansteckung mit SARS-CoV-2 über die Luft sind die immer wieder auftretenden Cluster an Infektionen in Chören, Restaurants oder Großraumbüros. Basierend auf der Reproduktionszahl von SARS-CoV-2 sind diese Ereignisse für Klompas und seine Co-Autoren aber eher die Ausnahme als die Regel.
Die US-Mediziner weisen darauf hin, dass Viren keineswegs über die Luft übertragbar sein müssen, um sich rasend schnell auszubreiten. So hätten etwa Experimente mit markierten Phagen gezeigt, dass sich die Erreger ausgehend von einer einzigen kontaminierten Türklinke innerhalb von 7 Stunden auf ein gesamtes Bürogebäude ausbreiten können.
Diese Vorbehalte seien natürlich spekulativ und schlössen die Übertragung über die Luft nicht aus, insbesondere, wenn sich viele Menschen in schlecht belüfteten Räumen aufhielten, aber sie lieferten alternative Erklärungen für die beobachteten Infektionscluster, so die Autoren.
N95-Masken müssten bei Aerosolübertragung besser schützen
Das beste Maß für die Bedeutung von Aerosolen im Vergleich zu Tröpfchen sind möglicherweise Studien zur Wirksamkeit von Atemschutzausrüstung. Würde SARS-CoV-2 überwiegend durch die Luft übertragen, müssten N95-Masken besser schützen als einfache medizinische Masken. Eine kürzlich veröffentlichte Metaanalyse kam tatsächlich auch zu diesem Schluss.
Sie habe allerdings nicht N95- und medizinische Masken miteinander verglichen, kritisieren Klompas und Kollegen. Vielmehr handelte es sich um eine post hoc durchgeführte bayesianische Analyse zweier unabhängiger Studien.
Diese hatten die beiden Maskentypen jeweils mit keiner Maske verglichen. Noch dazu seien 9 der 10 Studien mit SARS-CoV-1 und MERS durchgeführt worden, nicht mit SARS-CoV-2, ergänzen die Autoren.
„Und wenn man schon von Infektionen mit anderen Viren auf SARS-CoV-2 extrapolieren will, dann sollte man doch die 4 randomisierten Studien heranziehen, die N95-Masken direkt mit medizinischen Masken verglichen haben – und keinen Unterschied fanden“, schreiben sie.
Auch wenn die Übertragung von SARS-CoV-2 noch lange nicht vollständig verstanden sei, so erweise sich die vorhandene Evidenz doch inkonsistent mit einer aerosolbasierten Übertragung, speziell in gut belüfteter Umgebung, resümieren Klompas und seine Co-Autoren.
Praktisch heiße das, dass eineinhalb Meter Abstand und das Tragen von Mund-Nasen-Schutzmasken ausreichen sollten, um die Verbreitung von SARS-CoV-2 zu minimieren. © nec/aerzteblatt.de

Orginal Quelle lesen hilft
"...All told, current understanding about SARS-CoV-2 transmission is still limited. There are no perfect experimental data proving or disproving droplet vs aerosol-based transmission of SARS-CoV-2. The balance of evidence, however, seems inconsistent with aerosol-based transmission of SARS-CoV-2 particularly in well-ventilated spaces. What this means in practice is that keeping 6-feet apart from other people and wearing medical masks, high-quality cloth masks, or face shields when it is not possible to be 6-feet apart (for both source control and respiratory protection) should be adequate to minimize the spread of SARS-CoV-2 (in addition to frequent hand hygiene, environmental cleaning, and optimizing indoor ventilation).
To be sure, there are rarely absolutes in biological systems, people produce both droplets and aerosols, transmission may take place along a spectrum, and even medical masks likely provide some protection against aerosols.6,10 It is impossible to conclude that aerosol-based transmission never occurs and it is perfectly understandable that many prefer to err on the side of caution, particularly in health care settings when caring for patients with suspected or confirmed COVID-19. "

Es wird wieder nur verallgemeinert...
Es geht nicht darum dass es IMMER so ist, es geht darum dass Aerosole ein möglicher, ernst zu nehmender Übertragungsweg sein können. Und dafür gibt es eine Evidenz, ganz entgegen dem Titel dieses Artikels.

Überschrift führt in die Irre

Studien zeigen keine Evidenz zum Tragen von Masken

@Muad`Dib: "Schönrechnen" hilft nicht immer
Die falsch negativen Tests sollte man m. E. auch bedenken, denn die gibt es auch. Vermutlich sind die falsch negativen Tests deshalb sehr zahlreich, weil das Virus nur in der 1. Woche der Infektion sicher mit Abstrich nachweisbar sein soll und weil ein Test vermutlich eher erst in der 2. Woche der Infektion erfolgt - vor allem, wenn er noch durch ein überlastetes Gesundheitsamt vorher genehmigt werden muss und ein Termin für den Test noch bestimmt werden muss (=zuviel Bürokratie wie ich meine).
Hinzu kommt, dass doch die Menschen, die einen positiven Test auf das Virus erhalten, sicher darauf drängen werden, dass ein 2. Test gemacht wird, der das 1. Ergebnis dann bestätigt oder auch nicht.
Bevor ein Mensch an Covid-19 stirbt, wird er fast immer stationär im Krankenhaus behandelt und dort wird doch die Diagnose nochmals überprüft.
D. h. die Zahl der Todesfälle dürfte schon ziemlich korrekt sein.
Ihre Aufforderung, dass sich Ärzte wichtigeren Themen zuwenden sollen, finde ich bei einer Krankheit, die potentiell tötlich ist und gegen die es noch kein wirksames Mittel gibt - auch keine Impfung - nicht sinnvoll.
Womöglich würden Sie Ihre Meinung ändern, wenn Sie selbst sich infizieren würden und nach einem Aufenthalt auf der Intensivstation nur knapp überleben würden ?
Solange man nicht selbst betroffen ist, ist es immer leichter, Ratschläge zu geben.

Konjunktiv vs Messwert

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