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Politik

„Es fehlt der Anreiz, in die Ausbildung junger Ärzte zu investieren“

Mittwoch, 15. Juli 2020

Köln – Die Coronapandemie hat ein Schlaglicht auf die Krankenhausstrukturen in Deutschland geworfen und die Diskussion darüber weiter entfacht, wie das System um­gestaltet werden sollte. Das Deutsche Ärzteblatt () hat vier Gesundheits­ökonomen zu den Lehren aus der Pandemie für den stationären Sektor befragt, unter anderem Stepha­nie Stock, kommissarische Leiterin des Instituts für Gesundheits­ökonomie und Klinische Epidemiologie der Uniklinik Köln.

Fünf Fragen an… Stephanie Stock, Uniklinik Köln

DÄ: War die Bewältigung der Coronapandemie in Deutschland so erfolgreich, weil Deutschland so viele Krankenhausbetten hat?
Stock: Ja und nein. Vier wichtige Faktoren könnten zur erfolgreichen Bewältigung der Coronapandemie beigetragen haben. Zu den strategischen Erfolgsfak­toren zählen erstens das sehr gut ausgebaute ambulante Versorgungsnetz: ein größerer Teil geringgradig erkrankter Patientinnen und Patienten ist nicht wie in anderen europäischen Ländern in die Krankenhäuser geströmt, sondern konnte ambulant abgefangen werden.

Zweitens die große Zahl vorhandener Krankenhaus­betten. Werden die Intensivbettenkapazitäten vor Ausbruch der Pandemie betrachtet, stellt man fest, dass Deutschland 33,9 Intensivbetten pro 100.000 Einwohnern hatte, während Nachbarländer wie Belgien 17,4 oder die Niederlande nur 6,7 pro 100.000 Einwohner vorhalten.

Ein dritter Faktor ist sicherlich auch die Möglichkeit, sehr rasch auf eine große Zahl von planbaren Eingriffen zumindest kurzfristig verzichten zu können, da es nicht wie in anderen Gesundheitswesen schon lange Wartelisten für grundsätzliche planbare Behandlungen gibt.

Als vierter Faktor hat vermutlich dazu beigetragen, dass deutsche Krankenhäuser aus der Situation von Italien lernen konnten. Die Krankenhäuser haben die Lehren zum Teil sehr rasch und gut umgesetzt. Als Beispiel ist die Trennung von Infektionsschutzzentren von der Regelversorgung, das frühe Auffangen von Personalrückkehrern in den Krankenhäu­sern aus Coronahotspots, die rasche Erarbeitung von neuen Hygieneplänen und die strikte Umsetzung sowie der Umbau von ganzen Stationen zu COVID-19-Stationen, die für die Belegung bereitgestanden hätten, zu nennen.

: Welche Erkenntnisse haben Sie persönlich im Hinblick auf die Struktur der deutschen Krankenhauslandschaft aus der Coronapandemie gezogen?
Stock: Es war sehr erfreulich zu sehen, mit welcher Geschwindigkeit und Lösungsorien­tierung über sämtliche System- und Sektorengrenzen des deutschen Gesundheitswesens hinweg gearbeitet werden konnte. Für die Perspektive der stationären Versorgung gilt dies insbesondere für die Zusammenarbeit mit den Kassenärztlichen Vereinigungen, dem öffentlichen Gesundheitsdienst, dem Rettungsdienst, aber auch den Organisationen des Katastrophenschutzes.

Es hat sich aber auch sehr deutlich gezeigt, dass wir grundsätzlich eine Angebotsmedizin und keine Bedarfsmedizin in Deutschland betreiben, das heißt, es gäbe hier Spielraum für sinnvolle Anpassungen in Bezug auf die Versorgungsqualität, aber auch die Versorgungs­intensität.

In Deutschland suchen Patientinnen und Patienten mehr als doppelt so häufig Ärzte und Krankenhäuser auf als in den meisten anderen europäischen Ländern, ohne dass wir bessere harte Endpunkte haben. Die Folge ist unter anderem, dass unsere Pflegekräfte und Ärzte viel mehr Patienten betreuen müssen als in irgendeinem anderen europä­ischen Land.

Zudem hat sich in der Krise auch im Krankenhausbereich gezeigt, dass die digitale Infrastruktur verbessert werden muss. Die von der Bundesregierung geplante Ertüch­tigung der Krankenhäuser ist daher ein Schritt in die richtige Richtung.

DÄ: Wie sollte vor diesem Hintergrund die Krankenhauslandschaft in den kommenden Jahren umgestaltet werden?
Stock: Das Verhältnis von ärztlichem und pflegerischem Personal im Krankenhaus zur Anzahl der zu betreuenden Patienten sollte verbessert werden. Hierfür sind zwei Bewegungen notwendig: Für Betten in überversorgten großstädtischen Regionen sollte geprüft werden, ob diese im Rahmen einer spezialisierten Schwerpunktversorgung, einer Umwidmung oder einer Reduktion sinnvoll angepasst werden können und gleichzeitig die flächendeckende Versorgung gewährleistet werden kann.

Zweitens sollte die Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in spezifischen Bereichen erhöht werden. Drittens sollte eine Stärkung der Telemedizin durch Aufbau einer flächendeckenden Struktur und Refinanzierung durchgeführt werden.

Gelingen kann all dies nur in einer deutlich überregional angelegten Strukturplanung mit klaren Zielen, welches Versorgungsniveau Patientinnen und Patienten erwarten dürfen. Hierfür werden auch geeignete Kennzahlen und Qualitätsindikatoren benötigt.

Überdies ist es zu überdenken, ob die sehr stark markwirtschaftliche Orientierung des hiesigen Gesundheitswesens mit dem Ziel der Leistungssteigerung zur Erlössteigerung zur Kostendeckung aus nachhaltiger Betrachtungssicht der richtige Weg ist. Auch die schlanken Lagerreichweiten beziehungsweise geringe Vorhaltung von wichtigen Materialien müssen auf den Prüfstand und gegebenenfalls neu geregelt werden.

Außerdem sind Mindestmengen in der Versorgung festzulegen beziehungsweise einzu­halten und eine „Hierarchisierung“ der Systemverantwortung ist vorzunehmen. Es hat sich gerade in der Pandemie gezeigt, dass ohne die Universitätsmedizin die dringend erforder­liche unmittelbare Translation nicht möglich gewesen wäre. Dies muss sich auch in der Unterstützung der deutlich höheren Organisations- und damit Kostenaufwendungen der Universitätsmedizin niederschlagen.

DÄ: In der Coronapandemie haben Krankenhäuser, über Trägergrenzen hinweg, vielfach gut und effizient zusammengearbeitet. Wie kann eine solche Kooperation für die Zukunft angereizt werden?
Stock: Schon lange vor der Pandemie haben Kliniken über Trägergrenzen hinweg zusammengearbeitet. Ein gutes Beispiel ist das Kölner Infarkt Modell, welches seit 2006 bei einem akuten Herzinfarkt zur Anwendung kommt.

Infarktpatienten werden in einem qualifizierten Interventionszentrum behandelt und anschließend erfolgt die Nachbehandlung in einer wohnortnahen Klinik. Generell gilt: Wie alles andere ist auch die Zusammenarbeit grundsätzlich anreizabhängig. Schafft ein System Anreize, gegeneinander zu arbeiten, werden die unterschiedlichen Träger im stationären Gesundheitswesen gegeneinander arbeiten. Gelingt es, ein Anreizsystem auf die Zusammenarbeit auszurichten, wird auch dies geschehen.

DÄ: Welche Lehren kann man aus der Coronapandemie hinsichtlich der Krankenhaus­finanzierung ziehen? Wie sollte die Krankenhausfinanzierung aus Ihrer Sicht vor diesem Hintergrund umgestaltet werden?
Stock: Mögliche Anreize der Krankenhausfinanzierung sind auf den Bedarf und auf die Qualität der Leistungserbringung auszurichten. Dabei sollten auch Vorhalteleistungen für Bereiche wie zum Beispiel die Geburtshilfe oder Vorhalteleistungen in unterversorgten Gebieten berücksichtigt werden.

Meines Erachtens wäre auch eine stärkere Berücksichtigung der interdisziplinären und berufsgruppenübergreifenden Ausbildung in Krankenhäusern wichtig und sinnvoll. Die Kosten-Effektivität unseres Gesundheitssystems ist eng mit der Qualität der Ausbildung von ärztlichem und nicht-ärztlichem Personal verwoben.

In der derzeitigen Krankenhausfinanzierung fehlt der Anreiz, Zeit und Ressourcen in die adäquate Ausbildung junger Ärzte zu investieren. Die Weiterbildung zur Allgemein­medizin hat hier schon positive Akzente gesetzt, die aber sicherlich noch ausgebaut werden können.

Zum Beispiel könnten an einem Universitätsklinikum neben forschenden auch auf die klinische Ausbildung spezialisierte Oberärzte die Regel sein, deren Aufgabe es ist, die jungen Kolleginnen und Kollegen auszubilden. Dazu bräuchte es allerdings einen Anreiz im Finanzierungssystem. © fos/aerzteblatt.de

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