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Politik

Telematik­infrastruktur: Ministerium duldet keinen Aufschub mehr

Mittwoch, 15. Juli 2020

/Wellnhofer Designs, stock.adobe.com

Berlin – An den Fristen und gesetzlichen Vorgaben für die Telematikinfrastruktur (TI) wird nicht mehr gerüttelt. Daran lässt das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in einem aktuellen Schreiben an die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) keinen Zweifel. Der Brief, der auf vorges­tern datiert ist und der eine Antwort auf einen KBV-Aufruf an Bundes­gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vom 16. April ist, liegt dem Deutschen Ärzteblatt vor.

Darin schreibt Gottfried Ludewig, zuständiger Leiter der Abteilung Digitalisierung und In­no­vation im BMG, die bestehenden Fristen für den Fortschritt der TI seien aus Sicht des Ministeriums „weiterhin an­spruchsvoll, aber gleichzeitig realistisch“.

Die KBV hatte in ihrem Brief im April an das BMG bereits die große Sorge geäußert, dass die notwendi­gen Konnekto­ren, die die Funktionsfähigkeit der elektronischen Patientenakte (ePA), des elektronischen Re­zepts (eRe­zept) und der elektronischen Arbeitsunfähig­keitsbescheini­gung (AU) erst ermöglichen, nicht recht­zeitig in den Praxen bereitstehen. Dafür sei ein Vorlauf von sechs Monaten notwendig, so die KBV.

Das wäre Mitte dieses Jahres. Der Gesetzgeber will, dass die ePA zum 1. Januar 2021 an den Start geht. Wann die Gematik mit einer Umsetzung in Bezug auf die sogenannten PTV3- und PTV4-Konnektoren in den Arztpraxen rechnet, ist derzeit unklar. Darauf gab es auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblattes bislang keine Antwort.

Das Ministerium, das mit 51 Prozent Mehrheitsge­sell­schafter der für die TI zuständige Ge­matik ist, bleibt aber zuversichtlich, wie die Antwort zeigt. Die Gematik arbeite „mit Nach­druck an der Verfüg­barkeit der erforderlichen Konnektoren zu den Zielterminen“, so das BMG.

Kein Einlenken bei der Sanktionierung

Bereits seit Anfang März dieses Jahres müssen Vertragsärzte den Abgleich der Versicher­ten­­stamm­daten (VSDM) vornehmen. Wer dem nicht Folge leistet, wird mit einem Honor­arabzug von 2,5 Prozent sanktioniert. So hat es der Gesetzgeber vorgegeben.

Umsetzen müssen das die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen). Die hatten sich gestern in seltener Vehemenz an die KBV gewendet und ihren Unmut über den Stand der TI und den Umgang der Gematik mit den TI-Problemen geäußert. Zuletzt funktionierte der VSDM-Abgleich nicht. Erst seit heute sind laut Gematik alle Praxen wieder an die TI angebunden.

Dass die KVen nichts von Sanktionen halten und diese zurückgenommen werden müssen, hatten neun von ihnen gestern in ihrem Brandbrief an die KBV deutlich gemacht. Sie hatten die KBV darin unter an­de­­­rem aufgefordert, das Anliegen noch­mals bei Bundes­ge­sundheits­mi­nister Jens Spahn (CDU) vorzutragen. Die KBV hatte das mit dem Schreiben vom 16. April bereits umgesetzt. Darin forderte sie das BMG auf, die Sanktionen auszu­setzen.

Die KVen sollten die Möglichkeit erhalten, speziell für Neupraxen, nicht zu sanktionieren, schreibt die KBV. Das gelte inbesondere insofern der verspätete Anschluss an die TI durch Ursa­chen bedingt sei, die nicht in der Verantwortung der Vertragsarztpraxis lägen. Die KBV begründet die Forderung unter anderem mit den Coronaregeln, die die Installation in den Praxen ausgebremst hätten.

Das Ministerium ist anderer Meinung. Ludewig machte deutlich, dass die Anschluss­pflicht an die TI „bereits deutlich vor der COVID-19-Pandemie umzusetzen“ gewesen sei. Inso­fern könne die Pandemie keine Begründung liefern. Das gelte auch bei der Neugründung von Praxen.

Keinen Handlungsdruck sieht das BMG auch in der Frage der Heilmittel-Richtlinie und der Richtlinie für organisierte Krebsfrüherkennungsprogramme. Die KBV hatte beklagt, dass die Industrie Probleme bei der erforderlichen Anpassung der Praxisverwaltungssys­teme habe. Das Ministerium sieht bis Oktober 2020 noch genügend Puffer, das zu behe­ben.

BMG droht mit aufsichtsrechtlichen Schritten

Ein großes Hemmnis für die KBV – und auch die KVen und die ärztliche Basis – ist die Umsetzung der Richtlinie zur IT-Sicherheit. Die KBV hatte moniert, das die Umsetzung der Vorgaben aus der Sicherheitsrichtlinie gemäß § 75b Absatz 1 Sozialgesetzbuch V der­zeit „viel Aufwand in den Praxen“ verursache und wichtige Versorgungsres­sourcen binden würde. Die KBV hatte in ihrem Brief an den Minister mit Nachdruck eine spätere Inkraft­setzung – keinesfalls mehr in diesem Jahr – verlangt.

Das Ministerium sieht dafür überhaupt keinen Grund. Man habe die Belastung für Praxen durch die Möglichkeit des Rückgriffs auf zertifizierte Dienstleister sowie durch ein suk­zessives Vorgehen bereits „deutlich abgemildert“, erläutert Ludewig. Im Übrigen sollte das Vorhandensein einer verbindlichen Richtlinie im Interesse der Ärzte liegen, weil da­mit Rechtssicherheit einhergehe.

Auch in allen anderen Fragen wischt das Ministerium die Bedenken der KBV beiseite. Ein­zig in Bezug auf die Frist für angepasste Schnittstellen der Verordnungssoftware (VOS) so­wie der Archiv- und Wechselschnittstelle (AWST) kann sich das Ministerium „eine mo­de­rate Verlängerung“ bis Ende 2021 vorstellen.

KBV zieht Verweigerung in Betracht

Wie ernst es das Ministerium mit den gesetzlichen Fristen meint, zeigt auch ein Schrei­ben des BMG vom 7. Juli. In Bezug auf die IT-Sicherheitsrichtlinie warnt das BMG ganz offen die KBV. Man gehe davon aus, dass die KBV die „IT-Sicherheitsrichtlinie auch ohne aufsichts­rechtliche Maßnahmen schnellstmöglich verabschieden“ werde, schreibt Lude­wig darin.

Die KBV zeigte sich zuletzt unbeeindruckt. Sie teilte heute sämtlichen KVen – auch als Reaktion auf die gestrigen Äußerungen von neun KV-Vorsitzenden – mit: „Wenn die ge­meinsamen Bemühungen weiterhin erfolglos bleiben sollten, wird der KBV daher auch nicht anderes übrig bleiben, als im Rahmen des Möglichen die Umsetzung der Vorgaben gegenüber dem BMG zu verweigern, da der KBV-Vorstand sehr genau um die Bedeutung dieser Forderungen für unsere Vertragsärzteschaft weiß.“ © may/aerzteblatt.de

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